Dienstag, 29. November 2016

Unsere Liebesgeschichte mit dem Rhein vergrössert sich um ein weiteres Kapitel

Der Rhein ist immer wieder ein Thema in unserer Familie. Allerlei Geschichten mit ihm befinden sich bereits im Blogarchiv. Die Urgeschichte veröffentlichte ich am 25.3.2007. Sie sensibilisierte uns von jeher auch für andere Flussläufe und animierte zu manchen Wanderungen und Reisen. Obwohl wir ihn schon lange kennen, ist uns sein ganzer Lauf bis zur Mündung noch nicht bekannt.
Unsere Gastgeber, die gefundenen neuen Verwandten V. und S., fanden für uns ein Hotelzimmer mit Ausblick auf den Rhein. Auf uns zugeschnitten. Besser hätten sie nicht wählen können. Uns gegenüber die Festung Ehrenbreitstein, eine der grössten Festungsanlagen Europas. Es sei keinem Feind je gelungen, sie einzunehmen, wurde uns gesagt. Aber uns für sie einzunehmen, das gelang ihr. Sie war beleuchtet, als wir das Hotel bezogen. Sie strahlte uns an. Da wussten wir bereits, dass uns die Seilbahn an einem kommenden Tag dort hinauf befördern werde. Diese überquert den Rhein und überwindet 112 Höhenmeter. Sie führt in einen Landschaftspark, der seinerzeit für die Bundesgartenschau Koblenz gestaltet worden ist. Überall, wo sich Einflüsse dieser Schau zeigten, bewunderten wir eine feinsinnige Gartenarchitektur.
Und aus der Höhe konnten wir den Zusammenfluss von Rhein und Mosel überblicken. Obwohl wir zuvor um das deutsche Eck spazierten, schenkte uns erst der Blick aus der Höhe das Gesamtbild der Flüsse Rhein und Mosel, die sich hier vereinigen. Das Prospektblatt spricht von einem spektakulären Ausblick über das UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal.

Imponiert hat mir auch die Römerbrücke über die Mosel kurz vor dem Zusammenfluss mit dem Rhein. Wenn wir jeweils am Abend ins Hotel zurückgefahren wurden, schaute ich regelmässig nach ihr aus. Sie war immer illuminiert. Sie wirkte auf mich wie ein Wegweiser aus ferner Zeit. Sie ist auf der Prospektfoto gut sichtbar.
Wer Übersicht liebt, dem wird Ehrenbreitstein gefallen. Ihr Ort in der Höhe und die Festung als solche, sie imponieren. Wege, Gänge, Hallen und Plätze beanspruchen und gestalten viel Raum. Sie dürfen begangen werden. Alles ist grossräumig, grossartig. Man kommt sich klein vor und freut sich gerade deshalb, dass diese machtvolle Anlage besucht werden darf und dass man den Heimweg problemlos wieder findet.

Hier oben werden im Jahreslauf auch Feste gefeiert und Veranstaltungen inszeniert.
Wir staunten über dieses grandiose Werk. Eine Anlage, die dem Land offensichtlich viel Ehre eingetragen hat. So deute ich den Namen Ehrenbreitstein. Ganz oben auf der offenen Plattform, dem Himmel nahe, erlebten wir den Sonnenuntergang. Und danach trug uns die Seilbahn lautlos wieder ins Tal zurück.
In Koblenz lernten wir Gaststätten mit Tradition kennen. Und wir besuchten Kirchen. In der Nähe unseres Hotels die Basilika St. Kastor. Diese Kirche schaut einen an. Ein Ort mit viel Geschichte und künstlerischem Reichtum. Ebenso berührte uns ihre Umgebung. Der Blumenhof im ehemaligen Umfeld einer Klostergemeinschaft trägt auch Züge der Bundesgartenschau. Eine natürliche Schönheit.
Ausserhalb der Kirchenmauer sind es dann Werke von Künstlern, die den Ort mitgestalten. Es sind weder Engel, die das Tor bewachen noch Heilige, die ihre Geschichte erzählen wollen. Nein, es sind Prestige-Objekte der Menschen von heute. Zum Schmunzeln.

Und nochmals zum Rhein zurück. In Koblenz habe ich ihn nicht nur als Fluss, sondern als Wasserstrasse erlebt. Diese Bezeichnung fiel mir erst ein, als ich Frachtschiffe, Ausflugsschiffe und Hotelschiffe beobachtet habe. Tag für Tag zogen sie zahlreich an uns vorbei oder legten an. Erwachte ich frühmorgens noch vor Sonnenaufgang, stand ich meist eine halbe Stunde am Fenster oder auf dem Balkon und beobachtete das hektische Treiben auf dem Wasser. Und liess mich bezaubern von den mannigfaltigen Lichtspielen.

Einerseits von Lampen an den Schiffen vorbeiziehender Kähne und andererseits von fixer Verkehrs- Beleuchtung. Ich fotografierte eine solche Schau und war dann enttäuscht über meine banale Aufnahme. So beeinflussen uns Emotionen. Sie können alles vergrössern.

Ich schaute auch immer ans rechtsrheinische Ufer und beobachtete die Zugskompositionen mit Frachtgütern. Sie folgten einander in nur geringen Abständen und machten viel Lärm. Die dort wohnenden Hausbesitzer sind nicht zu beneiden. Die Unruhe, die sie ertragen müssen, ist gewaltig.

Abschliessend grüsse ich die Vogelschwärme auf ihrem Zug ins Nachtquartier. Sie haben mich begeistert. Mehrmals konnte ich sie vom Balkon aus beobachten. So tief fliegend erlebe ich sie hier in Zürich nicht. Ich bewunderte ihre Schwünge und auch ihren Zusammenhalt. Wie gut es sich anfühlen muss, zu einem Ganzen zu gehören und von ihm gehalten zu sein.

Sonntag, 20. November 2016

Nach der Beerdigung öffneten sich Türen und Tore

Es gibt Wünsche, die jahrzehntelang auf ihre Erfüllung warten. Unerwartet erwachen sie eines Tages und werden wahr. Primo erlebte kürzlich einen solchen, beinahe magischen Moment.

Die Beerdigung einer Verwandten aus seiner Grossfamilie fand in kleinem Rahmen statt. Wir trafen uns im Feld des Gemeinschaftsgrabes im Zürcher Friedhof Sihlfeld. Der Sohn der Verstorbenen und seine Frau waren aus den USA angereist. Eine Nichte, von ihrem Mann begleitet, war aus Deutschland nach Zürich gekommen. Dieses Paar kannten wir noch nicht.
Wir standen um das vorbereitete Grab. Da entdeckte ich am Boden abgefallene Blätter eines Parkbaumes, dessen Name ich immer noch nicht kenne. Ich hob eines auf und sagte mehr zu mir selbst als zu anderen, hier sei Leben und Sterben abgebildet. Es war eines von vielen. Sofort wurde ich verstanden. Jedes der abgefallenen Laubblätter trug nämlich neben dem vertrockneten Braun auch ein Stück lebendig wirkendes Grün.
Wenige Augenblicke später sah die Frau aus Koblenz ein vierblättriges Kleeblatt in der Wiese. Sie pflückte es und schenkte es mir.

Es fand keine religiöse Zeremonie statt. Und doch wurde die Lebensgeschichte einer Mutter sehr einfühlsam und liebenswürdig erzählt. Dankbar skizzierte der Sohn ihr Leben und wir Verwandte werden unsere persönlichen Erlebnisse mit ihr denkend dazugefügt haben.

Die Enkelin der Verstorbenen, ebenfalls in Amerika lebend, übergab ihrem Vater einen Text und bat ihn, jemanden zu bestimmen, der ihn am Grab vorlesen könne. Ihr war es nicht möglich, nach Zürich zu reisen. Sie liess ausrichten, dass ihr die Grossmutter diesen Reim beigebracht habe. Vermutlich hat sie ihn immer wieder hören wollen. Darum sollte er auch am Grab nochmals erklingen. Mangels anwesenden italienisch sprechenden Personen, wurde Primo gebeten, den Text L’orfano (La neve) di Giovanni Pascoli zu lesen. Er spricht aber nicht italienisch.
Bevor er zu lesen begann, sagte er, dass er als Italiener geboren worden sei. Kindergarten und ein Jahr Primarschule habe er in der Casa d’Italia erlebt. Der Umzug in die Schweizer Schule verhinderte dann eine weitere Entwicklung der italienischen Sprache.

Die Musikalität aber ging nicht verloren. Seine Seele hat sie am Leben behalten. Und gerade darum, dass der Text am Grab der Verstorbenen nicht übersetzt werden musste, konnten die klangvollen Worte wirken. Es war für alle ein berührender Moment.

Beim anschliessenden Mittagsmahl entstanden zwischen dem Verwandten aus Koblenz und Primo interessante Gespräche. Ihre Berufe wurden besprochen. Als Primo berichtete, dass er als selbständiger Möbelschreiner arbeite, wollte der Mann aus Deutschland wissen, ob ihm Möbel von Abraham und David Roentgen ein Begriff seien. Und das war dann Primos magischer Moment. Er erzählte, dass er vor 60 Jahren, zur Zeit seiner Berufslehre als Möbelschreiner auf David Roentgen und seine Luxusmöbel aufmerksam gemacht worden sei. Sein Lehrer in der Gewerbeschule zeigte den Lehrlingen Lichtbilder von Verwandlungstischen, Kommoden, Stühlen, Schatullen usw. Alles hochkarätige Kunstwerke, denen er immer nacheifern wollte. In späteren Jahren festigten jeweils Publikationen von Roentgen-Möbeln in der Schreinerzeitung die Begeisterung aufs Neue. Und manchmal mag er geträumt haben, das Roentgen-Museum doch einmal aufsuchen zu können.
Promenade in Koblenz
Und plötzlich ist der Weg dorthin gebahnt. Wir wurden nach Koblenz und nach Neuwied ins Roentgen-Museum eingeladen.

Unsere Gastgeber haben darüber sinniert, ob vielleicht die verstorbene Tante Leni dafür gesorgt habe, dass wir einander kennen lernten.

Und mehr noch staunten wir, als wir erfuhren, dass dieses Paar zu den Donatoren des Roentgen-Museums Neuwied gehört.

Freitag, 4. November 2016

Schuhe gekauft und Haustürschlüssel verloren

Meine Füsse verlangen Achtsamkeit. Trage ich neue Schuhe, jaulen Schwachstellen meist sofort auf. Das Zusammenspiel mit der Wirbelsäule, aber auch mit einigen Muskeln melden sich sofort, wenn die Füsse ein neues Fussbett akzeptieren müssen.

Etwas naiv glaubte ich, ich könne nach 7 Monaten nochmals dasselbe Schuhmodell kaufen. Dieses war eine sehr gute Wahl. Füsse und auch die Wirbelsäule arrangierten sich sofort mit ihm. Darum wollte ich dieser Tage ein Doppel anschaffen, um dem bereits vorhandene Paar das Leben zu verlängern. Ich wollte sie beide abwechselnd benützen.

Nicht mehr möglich. Auch diese (teuren) Schuhe würden laufend neue Veränderungen erfahren, sagte mir der Schuhmacher und Schuhändler. Es liess sich dann beim Grossisten doch noch ein ähnliches Modell mit demselben Leisten finden, dem ich nun zwangsläufig zustimmte. Wie schade, dass ich zu spät gekommen bin. Hoffentlich zeigt sich das neue Paar bald auch von der guten Seite.

Das ist der neue Teil der Geschichte. Der 7 Monate alte erzähle ich auch noch.

Frühjahr 2016 – Damals kaufte ich die erwähnten Schuhe, die ich heute beim selben Schuhändler im Quartier Seefeld wieder zu finden glaubte.

Als ich damals nach Hause zurückkam, fehlte mir der Schlüsselbund. Ich konnte nicht ins Haus eintreten. Erschrocken kippte ich meine Tasche auf den Plattenweg vor dem Haus. Keine Schlüssel. Die Haustür wie üblich abgeschlossen. Glücklicherweise war Frau B. zu Hause. Ich läutete bei ihr. Sie öffnete mir die Haustür und lud mich zu sich ein. Sie half mir beim Suchen. Aber auch sie fand keinen Schlüsselbund.

Ich durfte bei ihr telefonieren, wollte mit dem Schuhändler sprechen und nachfragen, ob die Schlüssel vielleicht in seinem Geschäft gefunden worden seien. Aber auf der Kassenquittung fehlte seine Telefon-Nummer. Frau B. fragte nach dem Namen des Schuhgeschäftes und wusste sofort Bescheid. Auch sie hätte dort schon Schuhe gekauft. Gerade dieser Tage sei ihr ein Reklamegutschein zugekommen. Und diesem Papier konnten wir dann die Telefon-Nummer entnehmen. Ich rief an. Es wurde kein Schlüsselbund gefunden. Seine Kundschaft hätte ihn gewiss aufmerksam gemacht, wäre er in seinem Geschäft liegen geblieben, sagte der Schuhhändler.
Und gleich danach läutete das Telefon bei Frau B. Es meldete sich die Stadtpolizei vom Hottingerplatz. Es wurde nach mir gefragt.

Ich sässe neben ihr. Sie beantwortete Fragen, dann wurde der Hörer weitergereicht. Ich musste dem Polizisten mein Schlüssel-Etui beschreiben und die Schlüssel benennen. Irritiert war ich einen Moment lang, warum sich meine Schlüssel in Hottingen befänden. Ich sei nicht dort gewesen. Aber im Seefeld, wurde mir geantwortet. Dort sei das Etui gefunden worden. (Aus der Jackentasche gefallen).

Die Signatur meines Wohnungsschlüssels wies auf meinen Wohnort hin. Warum die Polizei bei Frau B. anrief, erklärte sie mir. Bei einer Namenssuche stehe Ihr Familienname mit seinem «B» immer oben. Dort werde eine Suche begonnen. Sie sei es gewohnt, in solchen Situation angesprochen zu werden. In meinem Fall enthielt die Liste offensichtlich die Namen der Einwohner unseres Hauses.

Der Polizist lud mich ein, auf den Posten zu kommen. Frau B. hatte mitgehört und gab mir gleich Bus- und Tramlinie an. Ihre Stille Art beruhigte mich. Obwohl innerlich unsicher, fand ich den Weg dorthin. Während der ganzen Tramfahrt hielt ich mich an einer Halterung, die ich sonst nur beim Aussteigen benützte. Ich stand unter leichtem Schock.

Bei der Polizei war schon alles vorbereitet. Ich konnte eine Empfangsbescheinigung mit der Auflistung meiner Schlüssel unterschreiben. Dann erhielt ich meinen Schlüsselbund zurück. Es wurde mir noch Name und Adresse des Finders mitgeteilt, damit ich mich bei ihm bedanken konnte. Ich freute mich, mit ihm zu sprechen. Es war mir ein Anliegen, ihm zu danken. Dieser Mann ist der Meinung, wenn man andern helfe, werde einem auch geholfen. So denke ich auch. Trotzdem schickte ich ihm gern noch einen Finderlohn.

Im Polizeibüro dankte ich mit dem mir seit der Kindheit bekannten Slogan:
Die Polizei, dein Freund und Helfer.

Auf dem langen Heimweg konnte ich den Schrecken loslassen. Ich hatte mir vorher überlegt, welch hohe Kosten entstünden, wenn eine Schliessanlage für alle Mieter neu installiert werden müsste.

Ich habe also Glück gehabt.