Donnerstag, 30. Juni 2016

Besuch im Hohen Venn und wie es mich beschenkte

Hier begann unsere Wanderung. Dieses Feuchtgebiet nahm mich augenblicklich in seinen Bann. Aus der Ferne – links im ersten Bild – grüsste eine Tannenkrete, bestehend aus einer Armee Zipfelmützen. Gross gewachsene Heinzelmänner aus Köln?

Rechts oben auf der Foto ist der Holzsteg sichtbar. Man gehe auf Brettern, sagten meine Freunde. Ohne diese Stege würden wir im Moor versinken. Das Holz zeigte viele Gesichter. Auch humoristische. Unsere 2-stündige Rundwanderung sprach alle meine Sinne an. Die Fotos erzählen Geschichten.

Und Godwin erzählte die seine. Vor Monaten wanderte er mit seiner Frau auf denselben Wegen wie wir an diesem Tag. Obwohl gut ausgerüstet, rutschte er an einem feuchten Ort, wo sich kleine Bäche treffen aus. Auf dem Holz hatte sich Eis gebildet. Pflotschnass sei er auf festen Boden zurückgekehrt. Total durchnässt, musste er auf dem Rückweg im erstbesten Textilgeschäft Unterwäsche und neue Kleidung kaufen, erzählte mir seine Frau.
Meine Lieblingsfoto. Die Pflanzen im Wasser mit ihrem Schattenbild. Eine Bildkomposition, wie es nur die Natur hervorbringen kann.

Wir befanden uns auf Wanderwegen im Hohen Venn, dem Naturschutzgebiet zwischen Belgien und Deutschland. Da kreuzten junge Menschen unseren Weg. Hallo! tönte es freundlich, als sie an uns vorübergingen. Dieses Hallo ist in meiner Heimat – der Schweiz – so nicht oder nur selten anzutreffen. Ich sage oder rufe manchmal auch Hallo!, aber mehrheitlich nur dann, wenn ich etwas Ungehöriges stoppen will. Und dann ist auch der Tonfall anders, eher streng.

Das Hallo! im Hohen Venn tönte freundlich. Beim ersten Gruss wollte ich gleich mit Grüss Gott antworten, doch dann stoppte ich die Worte, die sich für ein Echo aus meiner Kehle aufgestellt hatten. Wird ein solcher Gruss von jungen Menschen überhaupt noch verstanden, fragte ich mich. Was soll ich antworten? Auf jeden Fall mit keiner leeren Worthülse. Ich blieb stehen und wünschte Guten Tag!

In jenem Augenblick erinnerte ich mich an eine Frage, die mir unsere Tochter Letizia im Sekundarschulalter gestellt hatte, als ich jemanden mit dem erwähnten Grüss Gott angesprochen hatte. Sie empfand dieses anmassend. Sie deutete es so, dass das Gegenüber als Gott verstanden werde.

Meine persönliche Deutung lautete ungefähr so: Wir grüssen die Mitmenschen mit solchen Worten, weil wir das Leben ansprechen wollen, wie es in uns allen wohnt und uns miteinander verbindet.

In der Schweiz gibt es regionale Grussformen. Im Kanton Zürich, wo ich lebe, grüsst man sich mehrheitlich mit dem Wort Grüezi, einer Abwandlung von Grüss Gott. Wir grüssen einander zu verschiedenen Tageszeiten auch mit Guätä Tag! (Guten Tag) Guätän Abig (Guten Abend). Manchmal auch verkürzt: Naabig. Sprechen wir Mitmenschen, die wir gut kennen oder Kinder an, benützen wir gern das Wort Sali oder Salü. Ich vermute, dass dieses aus der französisch sprechenden Schweiz übernommen und an unsere Dialekte angepasst worden ist. Verabschieden wir uns, sagen wir Adiö. Französisch à dieu (zu Gott). Diese Form kann darauf hinweisen, dass wir hoffen, einander in einer anderen Dimension wieder zu treffen.

In der Hochmoor-Welt, in der die Menschen nur Zuschauer sind und nicht in sie eingreifen, müssen auch Gespräche stattfinden. Der Zusammenhalt der vielen Gewächse ist beeindruckend. Sie arrangieren sich, leben in einer vielschichtigen, dicht besiedelten Gemeinschaft. Und diese scheint gesund zu sein. Ich sah keine leidenden Pflanzen.

Schlussendlich wies dieser Besuch im Hohen Venn auf eine Wandlung in mir hin. In jungen Jahren belasteten mich die Farben im Moor. Heute nicht mehr.

Das Internet beherbergt vielfältige Angaben und Fotos zum Hohen Venn.