Früchte- und Gemüsemärkte sind beliebt. Sie bringen Farbe auf
Plätze und vor alte Mauern. Sie erfrischen einen Ort, machen ihn
festlich.
Dahin war ich unterwegs. Nach Wipkingen an den Röschibachplatz, wo die Tochter Letizia
an einem solchen Samstagsmarkt mitarbeitet. Sie empfindet diesen
Arbeitsplatz als Bühne in ihrem Leben, wo sie plaudern, spassen und gute
Produkte verkaufen kann.
Ich fuhr mit dem Velo kurz nach 6 Uhr von zu Hause weg und hoffte,
zuschauen zu können, wie der Stand aufgestellt, Gemüse und Früchte
angeliefert werden. Zu spät! Der Lastwagen mit den Produkten ab Hof und
den zusätzlichen Einkäufen in der Gemüsezentrale war schon da gewesen.
Wackere Männer transportieren diese Ware und stellen auch die Stände
auf.
Als ich mit Letizia am Röschibachplatz eintraf, war die Fuhre schon
zu 2/3 ausgelegt. Ihre Kollegin hatte die Lieferung vor einer Stunde
entgegennehmen können. Jetzt mussten nur noch die schweren Kartoffel-
und Gemüsekisten an der Rückwand des Standes in Schienen eingehängt und
die Palette versorgt werden. Diese hatten dazu gedient, das Transportgut
vom Lastauto ins Umfeld des Standes zu kutschieren. Letizia widmete
sich danach den Blumen, löste sie aus den Verpackungen, sortierte sie
nach Farben in verschiedene Behälter, für die sie vorher vom Dorfbrunnen
entsprechend Wasser herbeigeschleppt hatte. Wer hier arbeitet, kann
zupacken, kann Lasten tragen, ist nicht zimperlich.
Es mussten auch noch die Preisschilder mit der Liste der aktuellen Preise verglichen und angeglichen werden.
Das Angebot ist immer vielfältig. Frische Produkte, farbenfroh,
gesund und zum Kochen einladend. Gemüse, Salate, Früchte, auch solche
aus dem Süden. Und schon Erdbeeren aus der Schweiz. Ebenso im Angebot zu
finden: Brote, Zöpfe, Wecken, Freilandeier vom eigenen Hof und oftmals
auch Käse aus dem Gotthard-Gebiet. Im Sommer werden hier Heidelbeeren
von der Göscheneralp verkauft.
Ein Marktbesuch ist mehr als alltägliches Einkaufen. Eine Spur
Gemütlichkeit gehört dazu. Der Gang zu ihm hin kann ein Spaziergang
werden. Mit zufälligen Kontakten. Man trifft sich auf diesem Dorfplatz
oder im Café Nordbrücke, das kürzlich vor dem Untergang gerettet
worden ist. Das markante Gebäude im Rücken des Gemüsestandes stammt aus
dem Jahr 1894 und gibt dem Ort einen ganz speziellen Charme. Und nebenan
befindet sich der Bahnhof Wipkingen, ebenfalls mit einem markanten Gebäude. Dieses aus den 1930er-Jahren.
Es war noch nicht 8 Uhr geworden, als schon erste Kundschaft
eintraf. Letizia machte mich auf 3 Personen aufmerksam, die schlurfend
und schwankend daherkamen. Erschöpft vom Partyleben. Nach einer wilden
Nacht sich mühsam vorwärts schleppend. Der Mann trug seine Frau oder
Freundin auf den Schultern. Eine 2. Frau ging hinter ihnen her. Sie
stillten ihren Hunger mit weichen Broten vom Stand. Letizia erzählte,
dass solche Kundschaft auch zum Markt gehöre. Leute auf dem Heimweg,
direkt aus den Clubs, fänden hier den ersten offenen Laden, um ihren
Hunger, auch nach Vitaminen, zu stillen.
Danach verabschiedete ich mich. Vom Herumstehen war mir kalt
geworden, während die beiden Frauen ihre Strickjacken schon längst
weggelegt hatten. Die Vorarbeit hatte sie in Schwung gebracht. Mithelfen
konnte ich nicht. Ich hätte ihnen höchstens im Weg gestanden. Alle
Bewegungen sind eingeschliffen, ihre Freude an der Arbeit darin
sichtbar. Beide tragen italienisches Temperament in sich. Das strahlt
aus.
Ich hatte schon viele Geschichten gehört und die Begeisterung an
dieser Arbeit bemerkt. Was wir als Konsumenten sehen und schätzen, ist
aber nur die Vorderseite oder das Gegenwärtige. Zum Erfolg gehört auch
eine immense Vorarbeit. Einerseits der Anbau, das Wachstum, die Ernte.
Oder in den frühesten Morgenstunden der Einkauf in der Gemüsezentrale
und später nach Marktschluss die Rücknahme und Weiterverteilung an
Gaststätten oder Institutionen.
Ich bewundere den Unternehmergeist, die Risikofreude und alle, die
in diesen Prozessen ihre Talente einbringen und mit Herzblut
zusammenarbeiten. Die nicht müde werden, auch schwierige Kunden zu
beraten und freundlich zu bedienen. Wie überall, gibt es am Marktstand
auch die knauserigen und unentschlossenen Menschen und solche, die den
Verkäuferinnen ihr Herz ausschütten. Am meisten wundert man sich am
Stand über das andernorts verlorene saisonale Wissen, was wann geerntet
werden kann.
Wie ich gehört habe, bekommen Kinder ein Rüebli (Karotte)
geschenkt. Einige knabbern dieses sofort an, andere wünschen, dass die
Mutter es schäle und wieder andere springen zum Brunnen, um es zu
waschen. Einmal, so erzählte Letizia, seien 2 Buben mit ihrem Vater zum
Einkaufen gekommen. Sie hätte ihnen je ein Rüebli geschenkt. Später
kamen sie in Begleitung der Mutter. Dabei übersahen die Verkäuferinnen
die Kinder. Darum wurden sie nicht beschenkt. Seither wollen sie nur
noch mit dem Vater Gemüse einkaufen.
Letizia erzählte auch von einem Kind, das an den Stand gekommen sei
und den Bestellzettel hinstreckte. Es hatte jedes Gemüse, jeden Salat
und jede Frucht gut erkennbar gezeichnet und davor die gewünschte Anzahl
geschrieben. Beeindruckend schön. Hoffentlich hat die Mutter diese
Zeichnung für später aufgehoben.
An diesem Morgen, als ich dastand und zuschaute, erinnerte ich mich
auf einmal an meinen Vater, der ebenfalls einen Gemüsehandel aufgezogen
hatte, aber wegen des Ausbruchs des 2. Weltkrieges und dem befohlenen
mehrmonatigen Militärdienst wieder aufgeben musste.
Als Erinnerung daran baute er dann später für meine 2 Jahre jüngere
Schwester und für mich einen Marktstand zum Spielen in der Art, wie er
in Wipkingen jeweils am Samstag zu sehen ist. Mit Kistchen aus Sperrholz
und ebenfalls blau-weissem Stoffdach. Das Weiss am Dach in Wipkingen
ist aber schon lange zu Grau mutiert.
Für alle, die sich für Wipkingens Geschichte interessieren, verweise ich auf die Homepage www.wipkingen.net
„Historische Bilder“ und „Historische Geschichten“ sind besonders interessant und spannend.
Wipkingen war einmal ein eigenständiges Dorf. Es wurde 1893 von der Stadt Zürich eingemeindet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen