Ich übernachtete in einem einfachen Gästehaus. Nach Mitternacht
erwachte ich. Ich fühlte Übelkeit. Stickige Luft liess mich kaum atmen.
Ich wollte das Fenster öffnen, doch mein Gleichgewicht war gestört. Ich
fühlte mich wie auf hoher See. Meine Augen konnten einen eingeschlagenen
Nagel an der Wand nicht mehr als ruhenden Punkt wahrnehmen. Geduldig
wollte ich warten, bis sich diese Wellen glätten würden. Dann fiel mir
ein, dass ich die Zimmertür öffnen sollte, falls ich am Morgen nicht
aufstehen könnte. Ich schwankte zur Tür, drehte den Schlüssel, öffnete
sie. Etwas später gelang es mir, auch noch das Fenster zu öffnen.
Der linke Arm war beängstigend verkrampft und strahlte in die
Herzgegend aus. Nur keine Panik aufkommen lassen! Ruhig wollte ich
warten, bis der Sturm vorüber sei. Ich versuchte, bewusst zu atmen. Es
fiel mir schwer.
In einem vorgefundenen Merkblatt dieses Gästehauses war vermerkt,
dass die Telefonnummern 20, 30 und 400 benützt werden dürfen, wenn Hilfe
nötig sei. Der Apparat befinde sich in der Mitte des Korridors, hiess
es. Meine Kräfte reichten aber für diesen Weg nicht aus.
Ich fragte mich, was geschehe, wenn ich mich einfach hinlege und
alles loslasse. Ob ich dann sterbe? Ich war aber gar nicht bereit dazu.
Zudem sah ich mannigfaltige Verwirrung voraus.
Am frühen Abend hatte ich noch nach Hause angerufen und erzählt,
was mir am Seminar missfalle (es gab abschätzige, diskriminierende
Reaktionen jenen Schülerinnen oder Schülern gegenüber, die sich mit den
Anleitungen nicht sofort zurecht fanden).
Das grosse Ganze aber gefiel mir. Am Telefon erwähnte ich es jedoch noch nicht.
Jetzt überlegte ich mir, dass ich ein falsches Bild hinterlassen
würde, wenn ich noch in dieser Nacht stürbe. Mein Mann wüsste nicht,
dass ich auch wertvolle Erfahrung gemacht habe. Er hätte gewiss einen
Groll gegen die Veranstalter und würde ausrufen, sie hätten seine Frau
fertiggemacht. (Später bestätigte er meine Vermutung.)
Auch aus meinen Notizen wäre man nicht klug geworden. Da waren nur Stichworte aufgeschrieben.
Und da war noch ein Buch, über das man sich gewundert hätte. Ich
hatte es aus der Hausbibliothek aufs Zimmer mitgenommen und noch eine
Weile darin gelesen. Es behandelte das Tätigkeitswort „segnen". Angekommen war ich beim Kapitel „Das Zeitliche segnen".
Was sich da alles zusammenfand und ein völlig falsches Bild abgegeben
hätte! Ich legte mich wieder ins Bett, diesmal ans Fussende, um einer
Elektrosteckdose auszuweichen. Dann packten mich die Rufe des Käuzchens,
das sich ganz in der Nähe bemerkbar machte. Weil ich zu diesem Vogel
eine ganz besondere Beziehung habe, horchte ich hin, wollte seine
Botschaft verstehen. Darüber muss ich eingeschlafen sein.
Am Morgen begrüsste ich den neuen Tag, begrüsste das Leben in mir.
Ich fühlte mich wieder gesund. Nachdem ich die erlebte Geschichte
nochmals überblickt hatte, erschien sie mir wie ein Hirngespinst und war
doch wahr. Dann lachte ich. Und dieses Lachen räumte noch die
allerletzten Verspannungen aus mir heraus.
Und bis heute gebe ich mir Mühe, möglichst keine einseitigen Bewertungen mehr auszusprechen.
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