Mittwoch, 25. September 2013

Der Suteracher – immer noch mein beliebter Einkaufsort

Der Ort, wo sich die Coop-Filiale am Suteracher befindet, war mir vom ersten Moment an sympathisch. Noch immer trägt er etwas Ländliches an sich. Der Name weist auf einen Acker hin, der einer Familie oder einem Mann namens Suter gehört haben muss.
Als ich erstmals hier angekommen war, zeigte sich mir ein prägendes Bild. Es standen da im Umfeld des Coop-Ladens ein Mann und eine Frau gesetzten Alters in lebhaftem Gespräch. Die Frau trug einen Korb mit ihren Einkäufen am Arm. Ich fühlte mich in die Kindheit zurückversetzt und sofort zu Hause.
 
Begeistert erzählte ich meiner Familie von dieser Entdeckung und verglich den Ort mit einem Dorf im Bündnerland, denn am Suteracher befinden wir uns auch auf einer Anhöhe. Wir sehen zum Hönggerberg hinüber und wissen, dass unten im Tal die Limmat Richtung Aare fliesst.
 
Dieser Coop-Laden musste nun modernisiert werden. „Für Sie modernisisieren wir“, hiess es in der Mitteilung. Gleichwohl wurde ich sofort heimatlos. Immerhin: Der Einkaufsort wurde erhalten. Und in der Umbauzeit konnte ich auf andere Filialen ausweichen. Doch keine bot mir eine vergleichbare velotaugliche Zufahrt. Und Parkierungsmöglichkeiten sind auch nicht überall ideal. Dann wurden mir schon wieder meine wertvollen über den Packträger gestülpten Taschen gestohlen. Nicht aber vor einer Coop-Filiale.
 
Während der Umbauzeit fühlte ich ein gewisses Heimweh, und die Wartezeit schien mir unsäglich lang. Als sie vorüber war, änderte sich dieses Zeitgefühl. Ich begann, von dieser Warte aus über Heimat nachzudenken. Was ist Heimat, wo sind wir heimisch? Dort, wo wir die Ordnungen kennen, wo wir nicht mehr über sie nachdenken müssen. Wo uns Menschen bekannt sind, wo die eigene Sprache verstanden wird. Wo wir als Bekannte gegrüsst werden, wo wir dazu gehören.
Der Umbau ist nun abgeschlossen. Der Laden, der sich nun Coop-Center nennt, ist geöffnet und bietet eine viel grössere Produkte-Palette an. Als ich erstmals hier zum Einkaufen ankam, empfand ich die ganze Atmosphäre, wie wenn hier eine militärische Parade stattfände. Jede Packung, jede Flasche, jede Büchse usw. standen Spalier. Kein Produkt trat aus der Reihe, keine Lücke war auszumachen. Perfektion auf einen Blick. Einladend im Eingangsbereich die Farben von Gemüsen und Früchten.
 
Enorm die Erweiterung des Raums und der Angebote. Mit Wein kann man offenbar Geld verdienen. Ihm steht viel Raum zur Verfügung. Aber für unsere Müesliflocken, die wir im alten Laden immer einkaufen konnten, gibt es keinen Platz mehr. Käse wurde in einer Kühltruhe locker zu einem Haufen eingefüllt, wie wenn der Begriff „Auf den Markt werfen“ dargestellt werden wollte.
 
Es wird eine geraume Zeit vergehen, bis ich hier wieder heimsich werde. Das Personal, das ich zum grossen Teil schon kenne, wird uns helfen, dass wir das finden, was wir suchen.
 
Jetzt, bei der Rückkehr, stelle ich fest, dass sich bei jenen Lebensmittelverteilern, die ich als Überbrückung benützt habe, auch ein gewisses Heimatgefühl eingestellt hat. Ich habe Orte besucht, die ich bis anhin ignoriert habe. Und ich habe Neues entdeckt. So kann Konkurrenz entstehen.
 
Doch für mich ist der Suteracher immer noch der Liebling. Einerseits wegen der problemlosen Zufahrt mit dem Velo, aber auch ganz sicher wegen des freundlichen und hilfsbereiten Personals, das ich grösstenteils seit 5 ½ Jahren kenne.

Sonntag, 8. September 2013

Wenn Mäuse im Traum erscheinen, verheissen sie Glück

Diese Prognose hat sich für mich noch nicht erfüllt. An sie glaubte man vor 100 Jahren im Zürcher Oberland. Als Kind hörte ich die Erwachsenen darüber sprechen. Mäuse lernte ich viele kennen, aber nie solche, die mir das grosse Glück im Traum gezeigt und dann in der Realität auch gebracht hätten.
 
Mäuse empfingen uns aber schon bei der Ankunft in Zürich. Wir hatten gerade unsere Wohnung betreten und die Zimmer angeschaut. Mutter wollte dann die mitgebrachten Lebensmittel im Küchenschrank versorgen. Sie öffnete die Tür und erschreckte ein Rudel Mäuse. Diese sprangen ihr entgegen, fielen zu Boden und rannten so schnell davon, dass wir sie unmöglich hätten fangen können.
Unsere Wohnung befand sich im Gebäude einer Glasmanufaktur. Das Haus war alt und von Mäusen bewohnt. Zusätzlich wurden diese Nagetiere noch importiert. Man entdeckte sie, wenn Glaslieferungen aus dem Ausland angekommen waren. Sie reisten im Güterzug im Verpackungsstroh mit. Es gäbe eine spannende Kindergeschichte, wenn man sich ihre Abenteuer ausmalen würde.
 
Für meine Mutter war es eine Art Tiefschlag, als sie von den Mäusen begrüsst wurde. Sie war eine Frau, die Ordnung und Sauberkeit schätzte und sie auch pflegte. Der Vater füllte dann alle erdenklichen Schlupflöcher und Ritzen mit Stahlwatte aus. Nach ruhigen Phasen wurden wir aber immer wieder neu überfallen.
 
Einmal jüngelte eine Mausmutter unter meinem Kopfkissen. Ich konnte nicht einschlafen. Unbekannte Töne ängstigten mich. Ich dachte eher an böse Geister als an Mäuse, stand auf, weckte den Vater. In diesem Zimmer würde ich nie mehr schlafen. Es sei unheimlich. Er stand sofort auf, kam in mein Zimmer, hörte die unbekannten Töne auch. Er zog die Bettdecke und dann das Kopfkissen von der Matratze weg. Und dann staunten wir. Wir sahen ein idyllisches Bild. Eine Mausmutter hatte unter meinem Kissen ihre Jungen geboren. 5 Mäuschen kuschelten sich an sie. Kein Wunder, haben sie gestöhnt, als das Gewicht meines Kopfes auf sie drückte.
 
Im Gespräch mit einem Bekannten, erwähnte ich dieses Erlebnis. Er sagte sofort: Mit dä Müüs machsch immer zweite. (Im Wettstreit mit den Mäusen verlierst du immer.) Und dieser Mann erzählte mir, dass er oft versucht habe, dieses Gesindel in einen ausweglosen Bezirk zu manövrieren, wo er sie dann fangen und ins Freie befördern könnte. Einmal sei es gelungen. Er freute sich enorm. Aber nicht lange. Als er dann zur Post ging und am Schalter seine Mappe auf der Ablegefläche öffnete, sprang noch die letzte Maus aus ihrem originellen Versteck heraus.
 
Florian, ein fröhlicher Bub im Vorschulalter, beobachtete im Riegelhaus seiner Eltern manchmal auch Mäuse, und er verstand, dass man sie dort nicht gern sah. Er wünschte, dass die gefangenen nicht sterben müssen. Die Eltern schlugen vor, Mäuse in Fallen zu fangen und sie dann im Wald wieder frei zu lassen. Der Bub freute sich, wie sich nur ein Kind freuen kann. Ich durfte ihn und seine Mutter in den Wald begleiten. Freudig schritt er aus, uns voran. Er schwenkte die Falle hin und her. Doch, noch bevor wir dort eintrafen, war die Maus eingeklemmt und tot.
 
Ohne Todesfall geht aber die nächste Geschichte aus:
 
Da wohnten wir schon im Bernoullihaus in Zürich. Eines der Nachbarhäuser wurde umgebaut und die Kellerräume vergrössert. Plötzlich beklagten sich verschiedene Anwohner über Mäuse, die offenbar ihr Zuhause verloren hatten. Als solche in unserer Stube entdeckt wurden, war ich nicht zu Hause. Der Vater betreute die Kinder. Sie erzählten mir anderntags, er habe es ihnen verboten, mir davon zu berichten, aber sie möchten es mir doch sagen, was passiert sei. Im Schrankfuss in der Stube, wo die Kirschensteinsäcke aufbewahrt wurden, hätten sie eine Maus-Familie entdeckt. Dieses Kirschensteingelände muss für ihre Wohnung ideal gewesen sein. Es liess sich leicht formen und ein gemütliches Zuhause zurechtdrücken.
 
Vater und Kinder suchten Kartons und richteten einen zur Haustür führenden Gang ein. Der Mausfamilie wurde geraten, ein neues Zuhause zu suchen. Dieses hier sei ungeeignet, nicht das richtige für sie. Die Steinsäcke wurden gekippt. Die Mäuse sausten davon, hatten keine andere Wahl, als das Haus zu verlassen. Und die Kinder hofften, dass sie bald einen Ort fänden, wo sie keine Angst vor Menschen haben müssen.
 
Danach suchten wir nach Mauslöchern, die wir dann mit Zement ausfüllten. Mein Vater brachte uns aus seinem Garten noch Pflanzen, die Mäuse nicht leiden können. Wir legten sie im Keller aus, wo wir früher Mäuse herumspringen sahen. Dann herrschte Ruhe. Eine Zeitlang fühlten wir uns dieser Eindringlinge wegen gar nicht mehr so richtig zu Hause. Letizia sagte einmal: Ich bi gar nüma eso heimelig da.
 
Im Umfeld der Glasmanufaktur gab es seinerzeit auch Ratten. Diese führten aber ihr Leben, ohne dass sie uns störten.
 
Meine Mutter erlebte einmal einen berührenden Besuch von einer Ratte. Sie stand am Schüttstein, das Fenster über ihm war geöffnet. Sie hörte eindringliche Klagelaute eines Wesens, das sie nicht zu kennen schien. Sie öffnete das grössere Fenster nebenan und sah auf dem Sheddach der Glasmanufaktur eine Ratte daherkommen. In der Schnauze hielt sie den Kopf ihres Kindes, dem ein grösseres Tier den Körper geraubt hatte. Die Mutterratte legte das, was von ihrem Kind noch übrig geblieben war, auf den Fenstersims unserer Küche und klagte über diesen Tod. Meine Mutter verstand den Schmerz sofort, hat gewiss ein paar mitfühlende Worte gesprochen, obwohl sie nicht wusste, wer das Ratten-Kind getötet hat. Wenn sie darüber sprach, verstand ich, dass Mütter, die ein Kind verlieren, denselben Schmerz verspüren, ob es ein Mensch ist oder ein Tier.
 
Ich weiss nicht, ob Katzen Ratten angreifen. Wenn dem so ist, könnte unsere Katze die neugeborene Ratte damals getötet haben. Dann wäre der Besuch als Klage an sie und unsere Familie aufzufassen. Dass ich nach mehr als 50 Jahren noch daran denke, ist ein eindrückliches Zeichen, wie stark diese Geschichte auf mich gewirkt hat.