Sonntag, 28. Oktober 2012

Immer Ende Oktober wird das Thema Friedhof aktuell

Es mögen etwa 30 Jahre her sein, als 2 Journalisten der Tageszeitung Tages-Anzeiger im Zürcher Friedhof Sihlfeld übernachten wollten. Sie erhielten die Erlaubnis und schrieben danach über ihre Erfahrungen. Sie interessierten sich vor allem, was in der Geisterstunde von 24 Uhr bis 01 Uhr geschehe ...

Ihren Bericht habe ich nicht aufbewahrt. Ich erinnere mich wahrscheinlich nur darum an sie, weil ich damals hoffte, dass sie bedeutsame Erfahrungen machen und uns darüber berichten würden. Aber es gab nichts Aussergewöhnliches zu berichten. Es spukte nicht. Es ängstigte sie nichts. Vielleicht froren sie ein bisschen, und den Nachtlärm haben sie möglicherweise eine Zeit lang analysiert und mit andern Orten verglichen.


In jenen Jahren verstand ich den Friedhof weder als Park noch als Paradiesgarten. Er war für mich ein Ort der Toten, der Trauer, des Abschieds. Eher etwas Düsteres. Und ein Ort, wo sich vielleicht unerlöste Geister tummeln.

Meine aus Finnland stammende Schwägerin aber hatte ein ganz anderes Verhältnis zu diesem Ort. In der Nähe des erwähnten Friedhofs wohnend, war er ein Park, in dem sie ihr Kind spazieren fuhr. Das grosse Areal ist ein gesunder Lungenflügel unserer Stadt. Und ein Ort, wo sie zur Ruhe kommt.

Eines Tages beschloss ich, mich mit dem Friedhof anzufreunden. Ich nahm an allen Beerdigungen aus meinem Umfeld teil, wollte diesen Ort und die dazugehörigen Ordnungen kennenlernen. Ich wollte gerüstet sein, wenn mich dann einmal ein naher Tod erschüttern sollte. Das war ein vernünftiger Entscheid. Seither habe ich für verschiedene Verwandte die letzte Begleitung und ihren letzten Willen erfüllt. Und dadurch ist mir der Friedhof vertraut geworden. Ebenso sind es Grabmalarbeiten von meinem Ehemann Primo, deretwegen ich oft in Friedhöfe kam.

Weiter profitierte ich von Historikerinnen, die Friedhof-Rundgänge anboten und alte Gewohnheiten und Rituale erklären konnten. Immer auch in Bezug auf die Rolle der Frau.

Und heute schätze ich in erster Linie die wertvolle Arbeit von Grün Stadt Zürich. Sie hat in den letzten Jahrzehnten die früher strenge und zum Teil düstere Gartenarchitektur in einen Naturpark verwandelt. Der Tod hat hier nicht mehr das letzte Wort. Den Bäumen, Sträuchern, Wiesen und Blumen wird jetzt mehr Natürlichkeit zugestanden.

Ja, der Friedhof ist ein Ort voller Leben. Hier wirken Insekten und Kleinstlebewesen als Bodenverbesserer. Mäuse und Würmer leisten grosse Arbeit. Maulwürfe werden auch in diesem Gebiet den Boden lockern. Nachts mag der Fuchs seine Runden drehen.

Vögel bevölkern den grossen Baumbestand. Bienen, Wespen und Schmetterlinge bestäuben Blüten und sammeln Honig. Ihre Ernte wird im Friedhof Forum verkauft. Dieses wurde erst kürzlich im Friedhof Sihlfeld eröffnet. Es ist eine Stelle für alle Fragen zum Tod, dem Grabangebot und der Vorsorge für die Gestaltung der Beerdigung.

Über den Tod wurde noch nie gern gesprochen. Oft wird dieses Thema zu lange ausgegrenzt. Sicher ist aber, dass wir alle einmal sterben werden. Darum ist es sinnvoll, sich um einen würdigen Abschied zu kümmern. Und den Hinterbliebenen etwas Vorarbeit abzunehmen. Im Bereich des Friedhofs geht es vor allem um die Beerdigungsform, um den Entscheid fürs Erdgrab oder die Kremation, für ein Einzel- oder Gemeinschaftsgrab. Es geht auch weiter um die Wünsche für oder gegen eine religiöse Abdankungsfeier und später dann um das Grabmal.

Unter dem Titel „Verschieden bis zuletzt“ las ich zum Thema Gestaltungsspielraum für Grabmäler im Veranstaltungskalender des "Friedhof Forums", "dass es normal ist, verschieden zu sein – im Leben ebenso wie auf dem Friedhof."

Mein erster Besuch in diesem Forum hat Fragen beantwortet und Ideen zugelassen. Jetzt können wir als Eltern den Wunsch unserer Töchter erfüllen. Sie erwarten von uns klare Hinweise, wie unser Abschied gestaltet werden soll. Wäre ich alleinstehend, könnte ich meine Wünsche beim Friedhofamt hinterlegen. Es ist sogar möglich, eine CD mit einer zum Abschied passenden Lieblingsmusik abzugeben, und diese würde dann nach meinen Angaben abgespielt.

Im vergangenen Frühjahr erlebte ich erstmals eine Abschiedsfeier, die von 2 Fährfrauen geleitet worden ist. Sie nennen sich Fährfrauen, weil sie ihre Begleitung beim Ableben mit dem Fährdienst in einem Boot von einem Ufer ans andere vergleichen. Die Reise aus dem hiesigen Leben in die uns noch unbekannte Anderswelt. Im Internet erklären sie ihre Philosophie. www.faehrfrauen.ch.

Diese Abschiedsform, ohne Religion, wirkte sehr respektvoll, feinfühlig und war schlicht. Auch darüber lohnt es sich, noch nachzudenken.

Das Thema Tod und Friedhof ist Ende Oktober immer präsent. Eingeläutet wird es regelmässig durch Angebote, die jetzt wieder vor den Lebensmittelfilialen stehen. Da die Töpfe mit den kleinen Astern, dort die Windlichter, mit denen die Gräber zu Allerheiligen und Allerseelen geschmückt werden.

Für mich ist das Thema Friedhof auch sonst noch aktuell. Dieser Tage feierte ein Schreiner aus unserem Freundeskreis das Bestehen seiner 33-jährigen Schreinerei und lud zu einer Führung ein. Er demonstrierte die Herstellung von hölzernen Grabkreuzen, wie sie jede verstorbene Person fürs 1. Jahr erhält, sofern sie christlichen Glaubens ist.

Dieses Kreuz, mit dem Namen der verstorbenen Person versehen, dient dem Auffinden ihres Grabes. Ein Jahr lang versieht es diesen Dienst. Erst wenn sich die Erde gesenkt hat, kann ein Grabstein, auch wieder mit Namen und Daten, gesetzt werden.

Und in der ersten Novemberhälfte 2012 wird das Grab meiner Eltern aufgehoben. Ich besuchte es dieser Tage nochmals mit einer meiner Schwestern. Diese hätte die hölzerne Stele, die Primo seinerzeit geschaffen hat, gerne zu sich nach Hause genommen und in die Stube gestellt. Ich konnte ihr dann zeigen, dass das Holz, jetzt 26 Jahre im Freien stehend, vom Xylariapilz befallen ist. Nun wird es entsorgt. Vielleicht geschreddert und einer neuen Aufgabe zugeführt. Oder verheizt und spendet irgendwem Wärme. Das ist auch gut so.

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