Dienstag, 31. Januar 2012

Zürich: Lieder und Bilder begleiteten mich nach Armenien

Der Abend mit den armenischen Mariengesängen, Wiegen- und Volksliedern im Stadthaus Zürich kam einer Reise gleich. Dargeboten wurden sie von der aus Istanbul gebürtigen Sängerin Hasmig Greys Imer-Güzelyan, am Klavier begleitet von Lidia Schaad Shahinian aus Jerewan. Beide leben heute in der Schweiz.

Begleitet wurden die Gesänge von einigen Lichtbildern, und diese führten mich ins unbekannte Armenien. Die Lieder, von Text her unverständlich, im Klang an vorüberhuschenden Wind mahnend. Ich fühlte mich gut auf meinem Stuhl im Stadthaus, liess alles geschehen und erlebte dann, wie sich meine Wahrnehmung veränderte.

Ich sah auf einem Dia 2 goldene Kunstwerke abgebildet. Sehr grosse Objekte. Eine Art Kabinen, aber grösser als unsere alten Telefonkabinen. Gebaucht wie eine feine Schatulle aus Metall. Vergoldet. Mit religiösen Motiven bemalt. Ich erinnere mich an lichtes Blau und Rot, schaute lange staunend auf sie, ohne die Abbildung einordnen zu können.

Dann wurde das Dia weggeschoben. Landschaftsbilder aus Armenien und Ansichten aus der Hauptstadt Jerewan lösten diese eine, mich packende Aufnahme ab. Später brachte sie mir der Bildrundlauf aber nochmals vor die Augen. Und wieder sah ich die Schatullen. Und auf einmal waren sie verschwunden. Und an ihrer Stelle standen jetzt Kapellen, also religiöse Nischen, wie wir sie hier in der Schweiz auf Pilgerwegen finden. Meine persönliche Wahrnehmung war gekippt. Aus dem Gold war lichtes Gelb geworden. Aus dem Metall Stein. Und aus den gebauchten Körpern nach innen geöffnete Nischen. Aber wie das geschehen konnte, weiss ich nicht.

Primo bestätigte später, dass er die Nischen auch gesehen habe. Drinnen eine Darstellung von Christus am Kreuz. Aber keine Schatullen. Es war also meine persönliche Wahrnehmung, die sich in Bruchteilen von Sekunden verändert hatte.

Ich erinnerte mich an eine weit zurückliegende Ausstellung mit dem Thema Mandala. Dort erfuhren wir, dass gewisse Bilder anregen, aus der zweidimensionalen die dreidimensionale Form optisch-geistig zu produzieren. Seither nennen wir das in der Familie „Bilder kippen“, wenn es möglich ist, ein Bild eben optisch-geistig sowohl als Pyramide nach aussen zu holen und dieses dann auch in die Tiefe zu schicken. Da befinden wir uns dann jeweils in einer Art Wettbewerb, wem es zuerst gelinge. Meist dem Ehemann, weil Planlesen für ihn zum Beruf gehört. Weil er aus flachen Zeichnungen einen Körper ablesen können muss.

Das Schöne am erwähnten Liederabend war für mich, dass ich nichts wollte, nichts anstrebte und dann mit einem aussergewöhnlichen Bild beschenkt wurde, das ich hoffentlich nicht mehr vergesse. Ich hatte mich den Liedern und Klängen geöffnet, sah alle Bilder zum ersten Mal. Kein noch so kleines Vorwissen konnte mich beeinflussen oder ablenken.

Und darum verstehe ich jetzt die goldenen Schatullen als ein Symbol des kulturellen Reichtums von Armenien.
*
In Zürich ist seit dem 9. November 2011 und noch bis 31.03.2012 die Ausstellung „Ein Stück Himmel auf Erden“ zu sehen. In diesem Zusammenhang stand auch der besprochene Liederabend.

Hier im Raum Zürich leben gegenwärtig etwa 15 000 Menschen, die christlichen Ostkirchen angehören. Ihnen ist diese beeindruckende Ausstellung mit prächtigen Fotos im Stadthaus Zürich gewidmet. Eine Ausstellung der Abteilung Kultur in Zusammenarbeit mit der Integrationsförderung der Stadt Zürich.

16 Gemeinden, die sich selber als orthodox bezeichnen oder die zumindest ihre Ursprünge im Osten haben, werden vorgestellt. Mit ihren eigenen Ritualen und oft archaischen Ausdrucksformen. Am Sonntag, 22. Januar 2012, waren wir dabei, als Mitglieder der Russisch-Orthodoxen Auferstehungskirche die Wasserweihe des Zürichsees vollzogen. Anschliessend tauchten einige junge Männer und eine Frau in den See, um sich diesen Segen einzuverleiben. Eindrücklich. Keine Show. Ausdruck ihres Glaubens und in meinen Augen ein Geschenk an alle, die in Zürich zu Hause sind. Sie tauchten 3 x unter Wasser und bekreuzigten sich jedes Mal.



Verschiedene Festlichkeiten, Vorträge und Musik stehen noch an. Zum Beispiel der Äthiopische Abend am 19. März 2012 um 19 Uhr. Da wird Asfa-Wossen Asserate, Grossneffe des letzten Kaisers Haile Selassie, Autor und Unternehmensberater, die lange Geschichte der Kirche Äthiopiens von 34 nach Christus bis heute erzählen.

Weitere Informationen im Internet unter Ein Stück Himmel auf Erden Zürich

Montag, 16. Januar 2012

Zur Bahnfahrt gehörten Entspannung, Schreck und Glück

Für ein gemeinsames Vorhaben hatte ich mich mit einer Verwandten verabredet. Wir wollen uns mehrmals treffen. Dafür musste ich mit der Bahn und dem Postauto zu ihr reisen. Ich kaufte mir am Bahnschalter eine Mehrfahrtenkarte.

Für die Anfahrt zum Bahnhof Altstetten (Zürich) benützte ich mein Velo. Ich fand sofort einen Parkplatz und stellte dann fest, dass ich sehr früh angekommen war. Es blieb mir eine ganze Viertelstunde Wartezeit. Diese benützte ich für 2 kleine Kommissionen und ging danach auf den entsprechenden Perron. Noch immer war ich zu früh. Es war kaltes, windiges Wetter, darum schritt ich aus, stadteinwärts und -auswärts, so lange bis mein Zug hier eintraf. Auf einmal bemerkte ich einen Marienkäfer auf dem Asphalt, und da ich den Fotoapparat bei mir hatte, fotografierte ich ihn. Er war lebendig, bewegte sich vor mir her. Im Winter? Seltsam. Welche Art Wärme hatte ihm eingegeben, der Frühling sei da?

Dann wurde mein Zug (Richtung Basel) ausgerufen. Bald traf er ein. Ich legte Mantel und Halstuch ab, richtete mich gemütlich ein.

Das Reisen im Zug ist für mich immer noch spannend und entspannend. Ich schaute nur aus dem Fenster, fühlte mich wohl, dachte an nichts und niemanden. Bis nach 10 Minuten der nächste Halt ausgerufen wurde: Dietikon!

Ich erschrak. Vor lauter freier Zeit hatte ich vergessen, meine Mehrfahrtenkarte abzustempeln. Was mache ich jetzt? Am besten aussteigen. Versuchen, das Versäumte nachzuholen. Alles hing von etwas Glück ab. Aber wo befindet sich auf dem Perron in Dietikon ein Automat? Keine Ahnung. Und wenn schon, habe ich dafür überhaupt genügend Zeit? Und wie informiere ich Rose, wenn ich den Zug für die Weiterfahrt abfahren lassen muss? Ich besitze kein Handy. Noch bevor der Zug anhielt, hatte ich meine Siebensachen beisammen und den Mantel wieder angezogen. Draussen im Korridor neben der Treppe traf ich auf den Zugbegleiter, der sich gerade etwas notierte. Ich sprach ihn sofort an, informierte mein Versäumnis. Er schaute auf meine Mehrfahrtenkarte und dann auf mich und sagte, ja das könne ich machen, also aussteigen und abstempeln und er fügte bei: Das wäre Ihnen teuer zu stehen gekommen. Ich wusste es. Neuerdings beträgt die Busse CHF 90.‒ zusätzlich die Fahrkosten.

Ich öffnete die Tür. Imposantes Glockengeläute empfing mich. Kaltes Wetter lässt Glocken gern laut ertönen. Obwohl ich mich in diesem Augenblick nur für einen Billettautomaten interessierte, fragte ich mich doch, was hier los sei? An einem Werktag, nachmittags um halb 2? Glockengeläute für eine Beerdigung tönen doch dumpfer, schwerer. Hier schienen sie etwas Heiteres zu verkünden.

Und schon stand ich vor einem der kleinen, orangefarbenen Kästen, in denen Fahrkarten abgestempelt werden können. Aber leider, leider war dieser gerade ausser Betrieb. Ich eilte zurück, informierte den Zugbegleiter. Wir hasteten wieder hinaus, doch auch er konnte meine Karte nicht abstempeln. Er wies mich an meinen Sitzplatz zurück und entwertete mir dann im Lauf der Weiterfahrt meine Karte. Mit einem handschriftlichen Eintrag und dem Aufdruck seiner persönlichen Billettzange.

Jetzt, Tage später, frage ich mich, wer oder welche Macht hat mir in dieser brenzligen Situation geholfen? Ich habe einen Fehler gemacht, habe meine Nachlässigkeit zwar gemeldet, doch woran lag es, dass man mir glaubte? Die Zahl der Schwarzfahrer ist doch so immens, dass Fehler wie der meine gut diesem Kapitel zugeordnet werden könnten. Wäre der Zugbegleiter an einer Busse interessiert gewesen, hätte er sie unbarmherzig einfordern können.

Diese Begebenheit ist nur eine kleine Geschichte, aber sie trägt vieles in sich, das auch zu den grossen gehört. Da sind reale Gegebenheiten, Menschen, Gespräche und Entscheidungen, die nicht immer nachvollziehbar sind.

Für meine Geschichte gilt: Alles, was ich hier berichtete, ist wahr. Auch der Marienkäfer war eine reale Erscheinung und ist auf einer Foto verewigt.

Und die Glocken läuteten wirklich wie an einem Festtag oder für einen feierlichen Empfang. Für mich persönlich haben sie nicht geläutet, aber während sie es taten, bekam ich Hilfe.

Wieder einmal Glück gehabt!

Und so stellen wir doch Glück auf Glückwunschkarten gerne dar: Mit Marienkäfern und schwingenden Glocken.