Silvester und Neujahr scheinen am Jahresende die abschliessenden
Feste zu sein, doch gehört auch die Ankunft der drei Könige aus dem
Morgenland zur Weihnachtsgeschichte. Darum feiern die orthodoxen
Christen ihr Weihnachtsfest erst am 6. Januar. An diesem Tag gedenkt die
katholische Kirche ebenfalls der Ankunft der 3 Weisen im Fest
Epiphanie.
Und am 13. Januar geben die Appenzeller immer noch ihrem „alten
Silvester“ die Ehre. Sie weigerten sich 1582, die damalige
Kalenderreform anzunehmen. Obwohl sie schon längst auch zur üblichen
Kalenderordnung gefunden haben, orientieren sie sich aber für ihren
Silvester immer noch am Julianischen Kalender. Diese Feier steht noch
bevor. Längst ist sie zu einem Magnet geworden. Die Kläuse, die an
diesem Tag in Urnäsch AR unterwegs sind, geben den Blick frei in die
vorchristliche Zeit.
Wer sie einmal gesehen und gehört hat, wird sie nicht mehr
vergessen. Die schönen Kläuse bezaubern mit den kunstvollen Aufbauten,
die sie auf ihren Köpfen tragen. Es sind Frauengestalten, die von
Männern verkörpert werden. Die „Schö-Wüeschte“ (die nicht ganz
Hässlichen) oder die „Wüeschte“ (Furchterregenden) widmen sich dem
Vertreiben von bösen Geistern. Zum Ritual dieser Kläuse gehören die
Zäuerli, die den Appenzellern eigene Art des Naturjodels. Diese
ergreifenden Klänge müssen liebenswürdige Geisterbeschwörungen sein.
Am Tag vor Silvester meldeten sich plötzlich auch die Schnappesel
aus Wald (Kanton Zürich) wieder bei uns. Nicht persönlich. Durch einen
Zufall. Die Tochter Letizia googelte im Internet den Begriff „Schnappesel“ und landete auf der Homepage von „sunneland-oberland“.
Sie staunte, dass da ihre Mutter zum gesuchten Begriff zitiert wird. Es
war mir, als hätten mich diese Brauchtumsgestalten gerufen, auch wieder
einmal beim Schlusstanz dabei zu sein. Es stand uns kein anderes
Programm im Weg, und so fuhren wir am Silvesternachmittag nach Wald im
Zürcher Oberland. Und gleich weiter im Postauto nach Faltigberg, dem Ort
der Höhenklinik. Der Tag war auch hier trüb, und doch überraschte uns
die Aussicht ins Tal, auf die gegenüberliegenden Hügelzüge, nach
Dietzikon und Laupen und sogar bis zur Linthebene hin. Weiss der Schnee,
grau und schwarz die Bäume und Landschaft. Ein sehr schönes Bild.
Wir schlenderten der Klinik entlang zum Wald hin und trafen dort
auf 2 Figuren aus Schnee: ein Schneemann der üblichen und eine
Frauenfigur ganz eigentümlicher Art, eine Schneefrau. Ich war
elektrisiert. Es schien, diese Figur würde leben. Obwohl aus Schnee
gebaut, hätte sie eine Brauchtumsfigur sein können. Ich ging ihr
entgegen, wusste sofort, dass sie Gret heisse, Waldgret.
Sie lachte. Sie lacht noch heute. Ich habe mich nämlich neben ihr
fotografieren lassen. So kann ich auch exakt beschreiben, was sie
auszeichnet: ein schön gerundeter Kopf mit dickem Hals, der Körper als
Frauenkörper erkennbar, eine wohlproportionierte Taille, ein etwas nach
aussen gestellter Rock. Der rechte Arm hält einen feingliedrigen,
besenartigen Ast in der Hand. Auf dem Kopf trägt sie einen diademartigen
Schmuck aus Tannnadelsprossen. Als Augen wurden ihr trockene Blätter in
die Augenhöhlen gesteckt. 2 ungleiche, trichterartige Blätter, die dem
Gesicht jene Lebendigkeit geben, die mich angesprochen hat. Auch der
Mund ist mit einem länglichen, leicht gebogenen Blatt gestaltet, und
diese Form weist die Waldgret als eine humorvolle, verschmitzte
Persönlichkeit aus. Dank der Digitalkamera kann ich sie hin und wieder
in meinem Computer begrüssen.
Zurück im Dorf, besuchten wir noch den Friedhof, auf dessen Gräbern
viele lebendige Lichter flackerten und auch einen prächtigen Christbaum
erleuchteten. Wir fanden da eine festliche, ganz und gar nicht tote
Stimmung und konnten noch einer lieben Verwandten das Kerzengefäss aus
dem Schnee befreien und das Licht darin anzünden. Von den Aussenwachten
her hörten wir Schnappesel und Kläuse sich dem Dorfkern nähern. Es war
Zeit, sich zuerst beim Bahnhof einzufinden und von dort aus die 7
Klaus-/Schnappeselpaare zum Schwertplatz zu begleiten, wo dann der
Schlusstanz stattfand. Wir bewunderten deren ganztägigen Einsatz. Die
körperliche Leistung besonders jener Männer, die den Glockenkranz tragen
mussten, ist enorm. Der Festplatz vor dem Gasthaus Schwert war gefüllt.
Man sah viele Familien und viele Kinder auf den Schultern ihrer Väter.
Die Begeisterung aller und eine Art Verzauberung waren auch diesmal
wieder zu spüren. Und für uns löste ein Ereignis das andere ab.
Auf einen Hinweis von Radio DRS 1 fuhren wir am 2. Januar
2011 nach Hallwil (Kanton Aargau), um noch das Bärzelitreiben zu
erleben. Ohne Kenntnis des Orts liefen wir den wilden Gesellen gleich in
die Arme. Ein Ausweichen war unmöglich. Ich kann mich nur an 3
Gestalten erinnern, die auf mich zukamen. Ein Strohmann, ein
„Hobelspäniger“ und das Stechpalmenungeheuer. Jemand hielt eine
Sammelbüchse vor mich hin. Als ich einen Batzen hineingeworfen hatte,
wurde ich gleich vom „Stechpalmenen" gepackt. Erst später erlebte ich,
wie die jungen Frauen kreischten und davonrannten, wenn ihnen die wilden
Gesellen nachstellten. Aber ich als Grossmutter wurde zwar für einige
Augenblicke in der stacheligen Umarmung gefangen gehalten, aber mir
wurde freundlich „Ä guets Nöis Jahr" gewünscht, derweil Primo vom
Strohmann gepackt und geschüttelt wurde. Kaum befreit, wurde auch er
noch vom „Stechpalmenen" überfallen und ebenfalls mit einem
wohlwollenden Glückwunsch und stacheligem Druck beschenkt. Die
Dorfjugend führte den Umzug an, allen voran ein König. Nach und nach
bewunderten wir den „Hobelspänigen", eine Figur, die rundum mit
Hobelspänen bedeckt war, ebenso eine Gestalt mit einem Gewand voller
Schneckenhäuser bekleidet. Es ging auch ein Kamel daher. Unter grobem
Sackleinen marschierten 2 Männer und markierten sowohl die Beine wie
auch die Höcker des Tiers. Vor ihnen her ging ein Mohr und führte sie.
Es gab Burschen, die Saublatern schwangen und einen treffen wollten. Der Begriff „Die Sau herauslassen" passte dazu. Nachdem nochmals ein Obolus in die Kasse fiel, wurden wir nicht mehr angegriffen.
Als wir dann später auf der Station auf die Seetalbahn warteten,
wurden wir gefragt, woher wir kämen und wie es uns hier gefallen habe.
Gut! Wir haben ein lustvolles, unverdorbenes Treiben gesehen, das der
Jugend Spass macht und ihr Zusammenhalt gibt. Als ich erzählte, wir
seien vom „Stechpalmenen" gepackt worden, sagte der Mann: „Siiie! Das
bringt Glück!" So sind wir gespannt, wann und wo es sich im Lauf dieses
neuen Jahres dann zeigen wird.