Dienstag, 2. August 2011

In Zürich singen die Vögel sogar im öffentlichen Bus

"Wenigstens einmal täglich sollten wir unsere Aufmerksamkeit nach innen richten." Dieses Dalai-Lama-Wort stand am 26.07.2011 auf meinem Kalenderblatt.
 
Als ich an jenem Tag im VBZ-Bus in die Innenstadt fuhr, waren wohl die meisten Fahrgäste drinnen, bei sich selbst. Zuhörend und in den Schwingungen eines Vogelgesangs schaukelnd. Und erfüllten, ohne es zu wissen, die buddhistische Vorgabe vom Abreisskalender.
 
Kaum war der Bus losgefahren, hörten wir Vögel singen. Ich fragte mich, wer diese hier so gut nachahmen könne. Beim Einsteigen war mir ein wackerer Mann aufgefallen, dem ich diese Kunst zutraute. Ein Weltreisender vielleicht. Mit Rucksack und Sombrero.
 
Möglichst unauffällig schaute ich nach hinten und beobachtete ihn. Er sass aber ganz ruhig da. Mehr noch, er schien in sich versunken. Er hörte zu. Nichts bewegte sich in seinem Gesicht. Sofort schied er als Imitator aus.
 
Der Gesang wiederholte sich. Kurz vor einer Haltestelle setzte er aus. Fuhr der Bus wieder los, ertönten auch die Vogelstimmen wieder. Niemand fragte, woher sie kämen. Wir hörten einfach zu. Sie hoben uns ab. Gedanken, die mich bis dahin umtrieben, verflüchtigten sich. So mag es auch anderen Fahrgästen ergangen sein. Es entstand eine friedliche Stimmung. Eine Art Andacht. Es wurde nicht gesprochen. Niemand stellte eine Frage. Den singenden Vögeln galt unsere ganze Aufmerksamkeit.
 
Ich fühlte mich in den Bergen. Dort werden Reisen im Postauto oft mit diskreter Musik begleitet.
 
Ich dachte auch an „unsere“ Amsel, die vor dem Eindunkeln ihr Abendlied singt. Dafür fliegt sie, ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang, auf den First des Nachbarhauses, setzt sich dort an die Front, richtet sich ein, schaut aus, wartet auf den richtigen Augenblick und beginnt dann zu singen. Wir können sie vom Balkon aus beobachten und hören. Manchmal warten wir auf sie, manchmal ist sie es, die uns ruft. Immer ist das ein schöner Abschied vom Tag. Wir fragen uns, ob es ein Loblied sei. Eines für die anbrechende Nacht oder einen Dank an den vergangenen Tag?
 
Jetzt, bei bedecktem Himmel und Regenwetter, ist sie nicht erschienen. Ist das ihre Antwort an uns, sie singe nur für den Sonnenuntergang?

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