Die Füsse haben aufgejault, als ich sie beim ersten Schnee in die
schweren Winterschuhe zwängte. Gewohnt an leichtes und bewegliches
Schuhwerk, empfanden sie die warmen, aber schweren Schuhe als grosse
Last. Knochen und Fersen beklagten sich in Form von Schmerzen, obwohl es
Schuhe sind, die meine Füsse seit Jahren kennen und mich an viele Orte
hingetragen haben.
Auch neue Schuhe wurden nicht sofort akzeptiert. Das ganze
Knochengerüst will neuerdings mitreden, wenn es eine Veränderung gibt.
Mit zunehmendem Alter meldet sich in diesem Bereich eine anspruchsvolle
Sensibilität und fordert geduldige Gewöhnung.
Am Morgen des 15.12.2010, als ich zum Einkaufen wieder in den
Winterschuhen unterwegs war, fühlte ich keine Probleme mehr. Es lag
leichter Schnee und dieser wirkte stossdämpfend. Plötzlich wurde mir
bewusst, dass ich locker gehen konnte. Ich freute mich, schaute auf den
Boden, der mir sofort allerlei Geschichten zu erzählen begann.
In den Schnee gedrückt, sah ich grobe, filigrane, absatzbetonte und
ganz flache Sohlen. Männerfüsse, Frauenfüsse, Kinderfüsse, aber auch
Pfoten von Hunden und Spuren von Vögeln. Dekoriert war der Schnee mit
letzten locker verstreuten Blättern und Samen von den hier heimischen
Bäumen. Ein schönes Bild.
Fortan schaute ich nur noch auf meinen Weg, auf die nächsten
Schritte. Und ich sah, dass wir alle, die diesen Weg benützen, unsere
Spuren hinterlassen. Unwissend, dass wir dabei das Muster von vorher
zerstören. Im Dialekt nennen wir das „vertrampe“ (zertreten). Ein Stück
weiter hatte ein Auto sogar alle Fussspuren auf dem Trottoir überwalzt.
Wieder einmal dachte ich: Der Schnee deckt zu, aber er deckt auch auf.
Er deckt auf, dass viele, sehr viele Menschen den gleichen Weg
gehen, aber nichts voneinander wissen. Kämen alle zur selben Stunde
daher, es wäre ein ungemütliches Gedränge. Da würden gewiss die Ellbogen
eingesetzt, um den eigenen Platz und das Fortkommen zu behaupten.
Schwache würden beiseite geschoben und möglicherweise „vertrampet“.
Auf dem Heimweg hörte ich die Glocke von der kleinen Kirche am
Suteracher läuten, wie üblich am Mittwochmorgen zu dieser Zeit. Ich
fühlte mich, wie schon oft hier oben, in einem Dorf. Jetzt war ich
allein unterwegs. In der Zwischenzeit hatten die umliegenden Schulhäuser
die vorher noch herumalbernden Kinder verschluckt. Es war ruhig,
friedlich. Jetzt, auf dem Rückweg, erspähte ich noch einige Partien mit
frischem, unberührtem Schnee. Als Kind wäre ich sofort dorthin
gesprungen, um meinen persönlichen Fussabdruck zu deponieren. Damals
noch auf dem Land wohnhaft, gefiel es mir und meinen Freundinnen
auch, uns in den Schnee zu setzen und mit ausgestreckten Armen, die
Wirbelsäule abrollend, auf den Rücken zu liegen. Wenn wir sorgfältig
aufstanden, sahen wir die eigene Abbildung. Das bin ich! Das waren
wichtige Momente im Leben als Kind.
Und heute freue ich mich einfach an diesem unberührten Flecken
Schnee und wünsche ihm, dass er bis zur Schmelze so belassen werde.
Achtsamkeit ist mir wichtiger geworden.
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