Freitag, 24. Dezember 2010

Die Geschichte von Johann Hinrich Wicherns Adventskranz

In einer Zeitschrift stiess ich dieser Tage auf die Besprechung eines Weihnachtsgeschichtenbuchs, das mir gerade noch gefehlt hatte. Einerseits soll ich die Enkelkinder mit Geschichten füllen, wie meine Tochter dies aussprach, andererseits tauche ich immer wieder gerne in alte Weihnachtsgeschichten ein, weil sie weniger rational gestaltet sind. Mir gefallen Geschichten, die der Seele gut tun. Solche, in denen wir miterleben können, wie sich Menschen verändern, wie Wundersames geschieht und solches noch mit nüchternen Überlegungen erklärt werden kann.
 
Das im Verlag Urachhaus erschienene Buch Als Weihnachten beinahe ausgefallen wäre konnte ich kaufen. Vom Kapitel „Advent im Rauhen Haus" will ich erzählen.
 
Es geht hier um verwahrloste Kinder und Jugendliche aus dem Armenviertel von Hamburg in der Zeit ab 1832. In der Geschichte wird erzählt, dass ein Johann Hinrich Wichern das sogenannte „Ruges Hus“ (Raues Haus) ins Leben rief. Ein Zuhause für Kinder, die kein eigenes mehr hatten. Wir können uns damalige Armut und Verwahrlosung wohl kaum vorstellen. Solche Kinder aufzunehmen und sie zu einem menschenwürdigen Leben hinführen, erfordert ein ganz grosses Charisma.
 
In diesem Rauhen Haus galt die Losung, dass man eine Familie und jeder jedem Bruder sei. Aber die Jungen aus schlimmstem sozialen Elend waren noch nicht fähig, solche Forderung zu erfüllen. 2 ungefähr gleich starke Burschen beanspruchten die Führung. Beiden folgten ungefähr je die Hälfte der Buben. Es wurde gestritten, einander geplagt. Es muss eine hochaufgeladene Stimmung geherrscht haben, die zu jenem Zeitpunkt niemand entschärfen konnte. Einer der Anführer hatte sich eine Kerze beschafft und drohte, bald werde es brennen. Schlussendlich beschafften sich alle Knaben, auch jene der Gegnergruppe, eine Kerze. Und niemand wusste eigentlich, was denn brennen sollte.
 
Und dann war es ein kleines Kind, das die Atmosphäre entspannte. Als die Frau, die den Kindern jeweils das Frühstück zubereitete, an einem Morgen auf dem Weg ins Rauhe Haus unterwegs war, fand sie auf der Strasse ein kleines, dunkelhäutiges Kind, fast nackt auf der Strasse liegen. Sie hob es auf, nahm es an ihren Arbeitsort mit. Dort wurde der Kleine in der warmen Stube in den Holzkorb gelegt. Und ab diesem Moment hörten die Raufereien unter den Burschen auf. Sie achteten darauf, dass es diesem kleinen Gast gut gehe. Gab es doch noch Streit, fing der Kleine zu brüllen an und bewirkte, dass sie sich beruhigten.
 
Die Händel rückten nun weg von ihnen. Dieser neugeborene Mensch verwandelte sie, weil er klein und verwundbar war, aber auch, weil er immer wieder auf sich und sein Wohl aufmerksam machte. Sie lernten die Ehrfurcht vor dem Leben kennen. Die Burschen setzten sich zu ihm neben den Holzkorb und schauten nach ihm, fühlten sich vielleicht verantwortlich. Einmal stimmte Vater Johann ein Adventslied an und die Burschen sangen mit. Der Kleine aber, solcher Stimmung fremd, weinte und schluchzte. Einer der Rädelsführer holte nun seine Kerze aus dem Hosensack, entzündete sie am Ofen, brachte sie dem Kleinen vor die Augen und beruhigte ihn augenblicklich. Und weiter heisst es in der Geschichte, Vater Johann sei behilflich gewesen, dass die Kerze am Korbrand sicher befestigt wurde, damit der Kleine das beruhigende Licht und seine Bewegung gut sehen könne. Und dann sei noch ein zum Holzkorb passendes Gestell gebaut worden, auf dem dann nach und nach täglich eine weitere Kerze aus einem der Hosensäcke dazu kam.
 
Und das sei die Geburtsstunde des Adventskranzes gewesen, hiess es. Wicherns Kranz ist aber lichtvoller als derjenige in der Schweiz. Er trägt je eine Kerze für jeden Tag im Advent.
 
Noch vor Jahren hätte ich diese Erzählung einfach als eine erbauende Geschichte aufgefasst. Aber heute, mit dem Zugang zum Internet, habe ich dort bestätigt gefunden, dass es dieses Rauhe Haus gegeben hat und immer noch gibt. Mit grossem Interesse habe ich die entsprechenden Beiträge über Johann Hinrich Wichern gelesen. Er lebte von 1808 bis 1881 und wird als bedeutendste sozialpolitische Persönlichkeit der evangelischen Diakonie in Deutschland bezeichnet. War er mit unserem schweizerischen Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi 1746‒1828 seelenverwandt?
 
Im Internet wird übrigens ebenfalls darauf hingewiesen, dass der Adventskranzbrauch 1839 von Wichern im Rauhen Haus eingeführt worden sei.

Freitag, 17. Dezember 2010

Füsse, Schuhe, Beschwerden, Fussabdrücke im Schnee

Die Füsse haben aufgejault, als ich sie beim ersten Schnee in die schweren Winterschuhe zwängte. Gewohnt an leichtes und bewegliches Schuhwerk, empfanden sie die warmen, aber schweren Schuhe als grosse Last. Knochen und Fersen beklagten sich in Form von Schmerzen, obwohl es Schuhe sind, die meine Füsse seit Jahren kennen und mich an viele Orte hingetragen haben.
 
Auch neue Schuhe wurden nicht sofort akzeptiert. Das ganze Knochengerüst will neuerdings mitreden, wenn es eine Veränderung gibt. Mit zunehmendem Alter meldet sich in diesem Bereich eine anspruchsvolle Sensibilität und fordert geduldige Gewöhnung.
 
Am Morgen des 15.12.2010, als ich zum Einkaufen wieder in den Winterschuhen unterwegs war, fühlte ich keine Probleme mehr. Es lag leichter Schnee und dieser wirkte stossdämpfend. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich locker gehen konnte. Ich freute mich, schaute auf den Boden, der mir sofort allerlei Geschichten zu erzählen begann.
In den Schnee gedrückt, sah ich grobe, filigrane, absatzbetonte und ganz flache Sohlen. Männerfüsse, Frauenfüsse, Kinderfüsse, aber auch Pfoten von Hunden und Spuren von Vögeln. Dekoriert war der Schnee mit letzten locker verstreuten Blättern und Samen von den hier heimischen Bäumen. Ein schönes Bild.
 
Fortan schaute ich nur noch auf meinen Weg, auf die nächsten Schritte. Und ich sah, dass wir alle, die diesen Weg benützen, unsere Spuren hinterlassen. Unwissend, dass wir dabei das Muster von vorher zerstören. Im Dialekt nennen wir das „vertrampe“ (zertreten). Ein Stück weiter hatte ein Auto sogar alle Fussspuren auf dem Trottoir überwalzt. Wieder einmal dachte ich: Der Schnee deckt zu, aber er deckt auch auf.
 
Er deckt auf, dass viele, sehr viele Menschen den gleichen Weg gehen, aber nichts voneinander wissen. Kämen alle zur selben Stunde daher, es wäre ein ungemütliches Gedränge. Da würden gewiss die Ellbogen eingesetzt, um den eigenen Platz und das Fortkommen zu behaupten. Schwache würden beiseite geschoben und möglicherweise „vertrampet“.
 
Auf dem Heimweg hörte ich die Glocke von der kleinen Kirche am Suteracher läuten, wie üblich am Mittwochmorgen zu dieser Zeit. Ich fühlte mich, wie schon oft hier oben, in einem Dorf. Jetzt war ich allein unterwegs. In der Zwischenzeit hatten die umliegenden Schulhäuser die vorher noch herumalbernden Kinder verschluckt. Es war ruhig, friedlich. Jetzt, auf dem Rückweg, erspähte ich noch einige Partien mit frischem, unberührtem Schnee. Als Kind wäre ich sofort dorthin gesprungen, um meinen persönlichen Fussabdruck zu deponieren. Damals noch auf dem Land wohnhaft, gefiel es mir und meinen Freundinnen auch, uns in den Schnee zu setzen und mit ausgestreckten Armen, die Wirbelsäule abrollend, auf den Rücken zu liegen. Wenn wir sorgfältig aufstanden, sahen wir die eigene Abbildung. Das bin ich! Das waren wichtige Momente im Leben als Kind.
 
Und heute freue ich mich einfach an diesem unberührten Flecken Schnee und wünsche ihm, dass er bis zur Schmelze so belassen werde. Achtsamkeit ist mir wichtiger geworden.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Adventskalender aus der Papeterie oder aus dem Internet

Der Adventskalender ist immer noch beliebt. Er ist Begleiter auf Weihnachten hin. Er soll uns das Warten auf ein grosses Fest hin lehren. Tag um Tag wird ein Türchen geöffnet. Neuerdings gibt es auch Adventskalender im Internet. Gestern bin ich auf eine mich ansprechende Ausgabe gestossen: den Astrodienst-Adventskalender 2010. Anders als beim herkömmlichen Kalender müssen im Internet auch Ungeduldige warten. Hier lässt sich kein Türchen früher öffnen.
 
Eine kleine, feine, aber nur 3 Tage dauernde Ausstellung in St. Anton Basel zeigte Adventskalender aus verschiedenen Zeiten. Und entführte uns alle gleich in die Weihnachtsstuben von einst. Es standen nämlich auf der Bühne 2 Christbäume, einer aus der Stadt, der andere aus der Landschaft. Der eine mit vielen glänzend roten Kugeln, der andere bescheidener mit Strohsternen, Äpfeln und gebackenen „Willisauer“-Ringli geschmückt. Das kannte ich nicht. Weder in Zürich noch im Zürcher Oberland gab es meines Wissens Muster oder Vorgaben für den Christbaum der Region. Für mich gibt es bis heute nur Weihnachtsbäume, die eine Familie oder Menschen, die für öffentliche Räume zuständig sind, charakterisieren.
 
Zu den Bäumen wurden in der Ausstellung Familienmitglieder nachgestellt, ebenso der Nikolaus, der einem Knaben zuhört, wie er sein Gedicht vorträgt. Daneben, unter dem anderen Baum, lagen Geschenke. Und diese müssen einer gewissen Norm entsprochen haben: Eine Märklin-Eisenbahn, noch nicht elektrisch und eine Dampfmaschine für die Buben und den kleinen Stubenwagen für die Puppen und ihre Mütter. Ebenso Puppenhausmöbel für die Mädchen. Ähnlich wurden wir in meiner Familie auch beschenkt. Zwischen diesen 2 Welten sass eine Mutter und vor ihr auf dem Boden spielte ein Säugling. Obwohl es sich um Schaufensterpuppen handelte, vermochte das Bild unsere einstige Weihnacht nullkommaplötzlich ins Bewusstsein zu heben. Andern Besuchern erging es wie mir.
Aber eigentlich gehörten die Adventskalender an die erste Stelle meines Berichts. Nur, das Weihnachtsbild auf der Bühne empfing uns gleich beim Eintreten und lockte uns zu sich.
 
Die Adventskalender, einst ein reiner Artikel aus der Papeterie, hat Wandlungen erfahren. War er früher ein doppelwandiger, bedruckter Karton mit nummerierten Fensterläden, hinter denen ein Bild versteckt war, ist er heute etwas Voluminöses. Zum Beispiel eine kleine Eisenbahn bestehend aus 24 Schubladen, die zu einer Lokomotive und 2 Wagen gestaltet worden sind. Oder an Leinen gehängt: 24 Stoffsäcklein, die individuell gefüllt werden können. Säcklein auch an verschiedenen Gestängen. Die Inhalte wurden nicht preisgegeben. Sie gehören zum Geheimnis der Adventszeit.
 
In den einen vermute ich Schokolade, Bonbons, Nüsse. Es hiess, es könne auch ein Zettel mit einer guten Botschaft drin liegen. Z. B. dass das Kind an diesem Tag von einem Ämtli befreit sei. Andererseits könne auch eine neue Aufgabe gefischt werden. Das ist spannend.
 
Ich wurde auch auf einen papierenen Tannenbaum aufmerksam, dessen Dekoration aus gerollten Papierstreifen bestand. Dazu wurde erklärt, alle Rollen enthielten je einen Vorschlag für Erwachsene, wie der gemeinsame Weg auf Weihnachten hin die Partnerschaft stärken könnte. Wer schenkt denn hier wohl solche Anregungen? Ich weiss es nicht. Da habe ich schon etwas gestutzt, doch weiss ich seit meiner Arbeit in einer Buchhandlung, dass der Mensch von heute für alles eine gedruckte Anleitung wünscht. Und ich denke immer noch: Liebe macht doch erfinderisch.
 
Gut gefallen haben mir die 2 robust hergestellten Adventsbücher, die aufgestellt werden können. Das eine im Format wie eine Pyramide, will aber den Tannenbaum darstellen. Öffnet man das Buch, finden sich 24 Blätter fächermässig, immer grösser werdend. Ein Buch, das meinen Kindern damals sicher als Weihnachtswohnung für die Puppenhaus-Leute gedient hätte. Es hat einen festen Stand.
 
Das zweite der robusten Bücher ist eines mit einer auffaltbaren Weihnachtsgeschichte. Wird das Buch geöffnet, stehen die Figuren auf. Flaches wird räumlich. Menschen und Tiere kommen näher.
 
Es mag mit meinem Alter zusammenhängen oder mit den Erstlingseindrücken aus der Kindheit, dass ich den klassischen Adventskalender aus der Papeterie als meinen Favoriten nenne. Der in Basel ausgestellte mag aus den 60er-Jahren stammen. Im Hochformat konzipiert, zeigt er die Weihnachtsgeschichte auf 4 Ebenen: Erde, Stadt, Brauchtum und Himmel.
 
Da ist eine wunderschöne, orientalisch anmutende Stadt abgebildet. Ein Zusammenhalt von Häusern. Alle, auch farblich, individuell und doch zu einem Ganzen verschmolzen. Mit vielen Kirchen und Türmen, die auf verschiedene Religionen hindeuten. In diese Stadt kann man durch ein prächtiges Tor eintreten.
 
Auf dem weiten Platz davor stehen Vater, Mutter, Kinder, Verwandte und auch ein Hund und alle schauen ergriffen in die Höhe.
 
Hinter der Stadt, die an einen Berg anlehnt, tritt eine grüne Berglandschaft mit einem Dorf hervor. Auf einem ihrer Wege kommen die Heiligen Drei Könige mit ihrem Gefolge daher. Ich deute sie als Darstellung des bis heute lebendig gebliebenen Brauchs, am 6. Januar ihr Fest „Epiphanie“ zu feiern.
 
Nun trennen uns nur noch die Berge mit dem ewigen Schnee vom Himmel, wo 3 Engel das Tor, also das Fenster mit dem dahinterliegenden Weihnachtsbild, bewachen. Der eine mit der Trompete, die beiden anderen scheinen mit der Aufgabe betraut, das Weihnachtsbild zu schützen.
 
Diesen Adventskalender, der nicht mir gehört, habe ich fotografieren können. Die inneren Bilder, also jene hinter den Türchen, muss ich selber erfinden, wenn ich meinen Enkelkindern die Weihnachtsgeschichte aufgrund dieser Darstellung erzähle. So wird es gewünscht. Die Mädchen freuen sich, mit uns Weihnachten zu feiern. Unsere Einladung ist gut angekommen. Die bald 9-jährige Mena lese sie täglich vor. Wenn am Schluss unsere Frage gestellt wird: „Ist das gut so? Was sagt ihr dazu?" dann rufen sie jedesmal: „Ja, ja, ja" und tanzten in der Wohnung umher.
 
Beliebt ist in unserer Familie ist auch der feinfühlig gestaltete papierene Adventskalender der Vogelwarte Sempach. Hier sind Vögel hinter den Türchen versteckt und warten darauf, dass wir uns für sie interessieren. Im Inneren des Türchens finden wir Namen und Informationen zu ihrer Nahrung und Lebensweise. Und selbstverständlich vermittelt das Türchen Nr 24 jedesmal auch Weihnachtliches.
 
Dann weise ich noch auf Popis Adventskalender hin. Letizia gestaltet ihn seit einigen Jahren fürs Internet. www.popi.lorenzetti.ch.
 
Popi verkörpert etwas von der Seele unserer Familie. Von unserer Kreativität, von unserer Freude an Geschichten und liebenswürdigem Humor. Mit Popi lösen wir manchmal Probleme, indem wir ihm die Stimme leihen, um etwas zu entschärfen.
 
Popi spricht Zürcher Dialekt. Die Geschichten leben aber auch von den Bildern.