Es regnet. Letzte Blätter fallen von den Bäumen. Gestern noch
raschelte es, als wir durch den Wald liefen. Wie bald wird sich das Laub
am Boden in Matsch verwandeln und nach und nach zu neuer Erde werden.
Vorbei ist die Lust meiner 4- bis 6-jährigen Nachbarskinder, die
sich in der vergangenen Woche in den Laubhaufen zweier Bäume fallen
liessen, dazu jauchzten und sangen. Einen Tag später dann sassen sie,
bis zum Oberkörper bedeckt, in ihm. Erstaunlich still. Das Wort „daheim“
könnte nicht schöner dargestellt werden. Auch darum, weil die Blätter
nicht weggeführt, sondern den beiden Stämmen als Schutz und Nahrung zu
Füssen gelassen werden. In meinen Augen sind diese Bäume ein Liebes-
oder Elternpaar. Ein weit ausholender Ast der grösser gewachsenen Esche
beschützt die gedrungene Hagebuche gut sichtbar. Und sie wiederum neigt
sich ihm zu.
Ganzjährig raschelt es im Papierblätterwald. Aber auch da fallen
täglich Blätter ab: Die Zeitungen und Zeitschriften, sogenannte
Leibblätter, Wochen- und Monatsblätter inklusive Reklameblätter, liegen
in der Stube oder im Büro auf oder herum. Sie zu durchforsten ist der
Lust, in die Laubhaufen zu springen, sehr ähnlich. Ohne Papiere, ohne
Buchstaben, Worte und Geschichten zu leben, kann ich mir gar nicht
vorstellen. Der Computer ist nur die Ergänzung dazu. Das raschelnde
Papier und vor allem Texte, die in Händen gehalten werden können, das
ist für mich die wirkliche Lektüre. Erfassen, begreifen, diese Worte
gehören dazu.
Die Tageszeitung kommt uns da entgegen. Ihre Mitteilungen sind in Bünde gefasst. Primo
und ich können sie individuell lesen. Er beginnt meist hinten und ich
vorn. In der Mitte angelangt, werden sie mit allerlei Hinweisen
ausgetauscht. Lustiges und Kurioses wird aber sofort vorgelesen. So
beginnt unser Frühstück, unser Tag.
Oft nehme ich mir vor, Berichte, die wertvolle Informationen
enthalten oder in einer wohlklingenden Sprache geschrieben sind,
aufzubewahren. Da ich sie meinem Ehemann nicht vorenthalten will, nehme
ich solche Blätter nicht sofort an mich. Und vergesse sie. Und wenn ich
mich an sie erinnere, ist es oft zu spät. Sie wurden schon weggetragen.
Denn einmal in der Woche werden auch sie zu einem grossen Haufen
zusammengeschichtet und alle 2 Wochen der Wiederverwertung abgeliefert.
Und die Buchstaben, was geschieht mit ihnen? Zu Zeiten des
Handsatzes wurden sie wiederverwendet. Jede einzelne Letter an ihren
angestammten Ort in den Setzkasten zurückgelegt. Und später, zu Zeiten
des Bleisatzes, wurden die Zeilen zur Wiederverwendung eingeschmolzen.
Wie ist das eigentlich mit den Buchstaben und Texten aus dem
Computer? Wo werden sie wiederverwertet? Die Delete-Taste wird kaum
alles löschen können, was dem Stromgehirn schon anvertraut worden ist.
Ergeht es ihnen wie unseren Gedanken, von denen wir ebenfalls nicht
wissen können, wo sie aufgefangen, verwendet und ob vielleicht Teile von
ihnen vor dem totalen Zerfall gerettet werden.
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