Brit brachte Frakfisk (Gärfisch), braunen Käse und
Moltebeeren mit. Sie besuchte uns wieder einmal. Seitdem sie innert 5 ½
Jahren 6 Mal Grossmutter geworden ist, reist sie weniger. Als
pensionierte Primarlehrerin kümmert sie sich heute gerne um ihre Enkel.
Wir haben uns kennengelernt, weil ich vor 35 Jahren in einem
norwegischen Hausfrauenblatt meinen Wunsch platzieren konnte, mit einer
Norwegerin Briefe zu tauschen. Brit meldete sich. Die Frau vom
Nachbarshof hatte sie darauf aufmerksam gemacht, brachte ihr die
Annonce, war überzeugt, dass sie einen solchen Wunsch erfüllen könne.
Wir liessen einander am eigenen Leben teilhaben, berichteten über
unser Land, seine Menschen, seine Geografie und Kultur. Es waren immer
besondere Momente, wenn Post aus Norwegen eintraf. Viele aussagekräftige
Postkarten und lange Briefe sind hin- und hergeflogen.
Vor Monaten schrieb sie: „Ich habe Heimweh nach der Schweiz."
Und als sie wieder einmal da war, sagte sie unvermittelt, es könnte
sein, dass sie zum letzten Mal gekommen sei. Unsere Lebenszeit sei
vielleicht bald abgelaufen. Jetzt wollte sie nochmals über alles reden,
was sie bewegte. In ihrem Dorf habe sie wohl eine Freundin, aber mit ihr
könne sie nur über die Handarbeit sprechen. Die beiden stricken
miteinander, tauschen Modelle und Muster aus. Sie stellte mir wieder
viele, ganz persönliche Fragen. Sinnfragen, Fragen zur Ehe und Familie,
Fragen zur Gesundheit usw. Sie erzählte von ihren Töchtern, dem Sohn und
den Enkelkindern. Und sie sinnierte darüber, warum zwischen uns beiden
nichts störe. Die Antwort gab sie sich gleich selber, nachdem sie die
Frage ausgesprochen hatte: Weil wir den Alltag nicht miteinander teilen
müssen.
Solche Freundschaften, die eben nicht anecken, sind ein besonderes
Geschenk. Auch für mich. In Briefen konnte ich, ähnlich wie in den
Blogs, etwas beschreiben, was ich so nicht hätte erzählen können. Zu
detailreich für ein Gespräch und da, wo ich lebe, weiss man über mein
Land Bescheid. Gedanken in einem Brief zusammenfassen, erzählen, wie
mein Leben gerade jetzt aussieht, das mache ich immer noch gern. Und
wenn sich jemand darüber freut, ist es sinnvoll.
Wenn ich morgen den Gärfisch auftische, werden starke Fischgerüche
um uns sein. Dieser Fisch ist dominant. Dank ihm können wir uns für eine
Weile in Norwegen fühlen. Erinnerungen werden aufsteigen,
Reiseerlebnisse erwachen. Dann stehen wir vielleicht in Oslo am Strand
und essen Crevetten aus der Tüte.
Im Internet habe ich soeben ein Rezept für die norwegischen „Lefsen"
entdeckt. Eine Art Omelette, die uns Brits Schwiegermutter seinerzeit
auf ihrem Hof zum „Höchsttagskaffee" auftischte. So wurde damals die
Zwischenmahlzeit um 12 h mittags genannt. Ein schöner Begriff,
vielleicht nicht ganz korrekt ins Deutsche übersetzt. Für mich gut
verständlich. Wir konnten uns zum Zeitpunkt, als die Sonne am höchsten
stand, mit Lefsen stärken.
Vom braunen Käse, ebenfalls aus Norwegen, haben wir schon genascht.
Sein Caramelaroma ist hier unbekannt. Und aufs Butterbrot gibt es –
solange Vorrat – wieder Konfitüre aus Moltebeeren. Damals durften wir in
einem heideartigen Gebiet nach diesen gelb-orangen Beeren suchen und
sie pflücken. In der Form ähneln sie unseren Brombeeren. Sie wachsen nur
wenige Zentimeter über dem Boden. Als wir diese köstlichen Beeren
kennenlernten, stand sogar in Brits Tageszeitung , dass diese jetzt reif
seien. Ein Aufruf zum Pflücken.
Auch in der Schweiz gibt es Erinnerungen. Brit bereiste mit uns
einmal das Wallis und anschliessend den Gotthard. Ein prägendes
Erlebnis, aus dem viel Verständnis für unsere Verkehrsprobleme erwachsen
ist. Und besonders der „Kafi fertig" (Kaffee mit Schnaps) blieb
in Erinnerung. Mit ihm feierten wir die Ankunft im Gotthard-Hospiz.
Brit, die bis dahin keinen Alkohol trank, entschuldigte sich bei sich
selber mit dem Humor ihres Schwiegervaters, der dieses Getränk „Doktor-Kaffee" nennt. Sie rief sogar einen Gast an unseren Tisch, damit er sie in der Gesellschaft mit Primo und mir und dem Entspannungstrunk fotografierte.
Nun ist sie wieder heimgereist. Mir fehlt ihr Singen. Manchmal
hörte ich aus dem Gästezimmer ein paar Takte eines Volksliedes, nur so
hingeworfen, wie Blätter fallen. Auch in der Bahn, als sie den Rhein
sah, stimmte sie unerwartet ein ihm gewidmetes deutsches Volkslied an.
Sie hatte es als Kind in der Schule im Deutschunterricht gelernt.
Auch wenn ich nicht weiss, ob sie nochmals hieher kommen wird oder
wir zu ihr nach Norwegen reisen werden, unser Briefkontakt wird
fortfahrend bestehen. Dieses Wort „fortfahrend" ist eines, das mir Brit beigebracht hat.
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