Radio DRS 2 informierte über die Ausstellung. Das Gespräch mit der Projektleiterin Ursula Pfister
weckte sofort mein Interesse. Sie erzählte von ihren Eindrücken, als
sie das Zeughaus erstmals besuchen durfte und dass sofort der Wunsch
entstand, dieses Gebäude mit seiner Geschichte auf neue Art zu beleben.
Sie erzählte vom fettigen Raumgeruch, der ihr da entgegenkam, und
da war ich diesem Ort sofort nahe, obwohl ich bis dahin nie einen
militärischen Raum betreten habe.
Die Militärwelt war für mich in den 60er- und 70er-Jahren, als mein
Ehemann die befohlenen WKs (Wiederholungskurse) absolvierte, eine
Parallelwelt. Hatte ich mich von ihm verabschiedet, verschwand er in mir
unbekannte Gefilde. Noch heute sehe ich eine Art Nebel vor mir, wenn
ich zurückdenke. Bekam ich Post von ihm, trugen die Umschläge immer nur
denselben Stempel seiner Kompanie. Die Militärpost nannte sich Feldpost.
Und da gab es keine Hinweise auf Ortschaften, die ich auf einer Karte
hätte ausfindig machen können. Selbst wenn im Brief dann die Region
genannt wurde, wo er sich befand, fehlte mir der offizielle Ortsstempel.
Und jetzt durfte ich ein zweckentfremdetes Militärgebäude betreten.
Ich fand nicht die leiseste Geruchsspur von Gewehrfett, die ich
sofort erkannt hätte. Sie war jeweils Hauptbestandteil der Aura, die Primo um sich trug, wenn er heimkehrte. Sie war gemischt mit Schweiss und der unverkennbaren Note der Wundsalbe Unguentolan, die auch heute noch mit naturbelassenem Lebertran hergestellt wird.
Primo war anfänglich nicht begeistert, jetzt einer Einladung zum
Besuch eines Militärtempels zu folgen; aber er kam mit, und es lohnte
sich. Die Vergangenheit ist das Eine, das heutige Leben und Schaffen das
Andere. Ursula Pfister sagte schon im Radio-Interview, dass sie den
ursprünglich miefigen Geruch jetzt nicht mehr wahrnehme. Ja, er hat sich
davongemacht. Die Räume wurden seit dem Frühjahr 2010 begangen, belebt,
mit neuer Energie aufgeladen und sie wurden belüftet. Hier arbeiteten
in den letzten Monaten jene Künstlerinnen und Künstler, die ihre
Arbeiten jetzt zeigen.
23 Kunstschaffende haben sich mit diesem Haus auseinandergesetzt
und Werke geschaffen, die mit seiner ursprünglichen Bestimmung etwas zu
tun haben. Und die Bevölkerung wurde eingeladen, ihnen beim Arbeiten
über die Schulter zu schauen und mitzuerleben, wie sich das Zeughaus zum
offenen Atelier wandelte.
Und die Militärmusik der Rekrutenschule 16-1 aus Aarau beehrte Gelterkinden im Juni 2010 mit einem Konzert.
Die aus Holzlatten geschaffenen Räume und Abteilungen, einst für
die Lagerung von Waffen, Ausrüstung und Werkzeugen bestimmt, ergaben
geeignete Ateliers und Ausstellungsbezirke. Begrenzte Abteile mit
Durchsicht zum Nachbarn, wie wir sie als Winde (im Estrich) in den Mehrfamilienhäusern auch kennen.
Um all die Zeughaus-Gegenstände zu lagern, verfügte dieses Haus
über viele Lattenroste, die jetzt mit anderer Bestimmung wieder
eingesetzt worden sind. Sie befinden sich zuoberst im Dachraum z. B.,
schräg angeordnet an die Wand platziert, zu einem begehbaren Korridor
gestaltet, der die Ausstellungsbesucher zu einer Art Heiligtum hinführt.
Zu einem Tor mit innerem Licht. Verherrlichung von wem oder was?
Ebenfalls auf der obersten Etage zogen mich farbige Oberlichter an. Glasfenster mit Gedanken zum Thema Krieg. Da las ich:
Man hofft, solange man atmet.
Fast jeder Überlebende hat einen Zufall gehabt, der ihn überleben liess.
Man sieht immer nur, was man sehen will.
Es war geistig eine tote Zeit.
Die Zeit dehnt sich in Unendlichkeit.
In der mittleren Etage konnten Räume, die allein mit durchsichtigen
Klebebändern umgestaltet worden sind, durchschritten werden. Auch da
war der Weg diktiert, jedoch mit der Möglichkeit, ihn zu verlassen. Und
in der Ansicht von vorn vermittelte diese Installation das
Dahinterliegende in vielfältigen Schichten.
Ganz unten, im Erdgeschoss nochmals viel Holz, knorriges Holz,
aufgepflanzte Äste und Stöcke, denen der Wildwuchs gelassen, ihnen aber
auch schöne Motive eingeschnitzt worden sind. Es gab da auch die
gängigen Gehstöcke des Bergsteigers von einst.
Sinnbild all der knorrigen Soldaten und Originale und jenen, die es zu besonderem Ansehen und begehrten Dekorationen schafften?
Auch die Soldatensprache wurde thematisiert. 71 Begriffe werden in der Ausstellung genannt, von denen ich einige kannte.
Beispiele, die gut verständlich sind:
bürsten = schikanieren, z. B. die Rekruten bürsten.
Bundesziegel = Biskuits. Solche brachte mir Primo jeweils nach Hause.
Fahnentürgg = Prozedere rund um die Fahnenübernahme und –abgabe; Vorbeimarsch, Aufmarsch, Ansprache, Abspielen der Nationalhymne.
Grabstein = Erkennungsmarke, die der Soldat auf sich trug.
Mami = Feldweibel.
Seeletürgg = Feldgottesdienst.
Wolf = Hautreizung im Beinbereich (Oberschenkel) aufgrund langer Märsche.
Und das uns ansprechendste Wort fanden wir auf einem Stempel, der als Kunstobjekt angeboten wird. Verstanden lautet seine Botschaft. (Den Befehl verstanden.) Humorvoll. Die Idee hat uns gefallen. Ja, wir haben verstanden.
Zuerst dachte ich, die Rauminstallationen hätten mich am meisten
beeindruckt. Jetzt aber, 2 Tage später, erscheint mir der ca. 2 x 3 m
grosse Papier-Scherenschnitt vor den inneren Augen, und ich weiss, dass
es für mich und nach Rückfrage auch für Primo das wertvollste Stück der
ganzen Ausstellung ist.
Eine unglaublich subtile Arbeit, ein Blättergebilde eines
Laubbaums, gigantisch in seiner Grösse. In einem mit textilem Schrägband
eingefassten Rahmen und daran aufgehängt. Leicht fallend. Und atmend.
Es wird auf die Luftfeuchtigkeit reagieren. Es ist lebendig. Es wird
wohl das Leben darstellen. Das verletzliche Leben, das geschützt werden
muss. Mit oder ohne Militär. Ein Werk ohne Worte, aber mit grosser
Wirkung.
Primos Interpretation dazu: Anstoss für diesen Scherenschnitt
könnte das militärische Tarnnetz gewesen sein. Auch andere Übersetzungen
von eingelagerten Materialien sind ihm aufgefallen. „Kraftvolle Übersetzungen“ nannte er sie.
*
Hinweis
Die Ausstellung, die mehr darstellt als von mir beschrieben, dauert bis 17. September 2010.
Alle Information dazu unter www.mobilmachen.ch