Samstag, 21. August 2010

Kunstschaffende beleben das Zeughaus Gelterkinden BL

Radio DRS 2 informierte über die Ausstellung. Das Gespräch mit der Projektleiterin Ursula Pfister weckte sofort mein Interesse. Sie erzählte von ihren Eindrücken, als sie das Zeughaus erstmals besuchen durfte und dass sofort der Wunsch entstand, dieses Gebäude mit seiner Geschichte auf neue Art zu beleben.
 
Sie erzählte vom fettigen Raumgeruch, der ihr da entgegenkam, und da war ich diesem Ort sofort nahe, obwohl ich bis dahin nie einen militärischen Raum betreten habe.
 
Die Militärwelt war für mich in den 60er- und 70er-Jahren, als mein Ehemann die befohlenen WKs (Wiederholungskurse) absolvierte, eine Parallelwelt. Hatte ich mich von ihm verabschiedet, verschwand er in mir unbekannte Gefilde. Noch heute sehe ich eine Art Nebel vor mir, wenn ich zurückdenke. Bekam ich Post von ihm, trugen die Umschläge immer nur denselben Stempel seiner Kompanie. Die Militärpost nannte sich Feldpost. Und da gab es keine Hinweise auf Ortschaften, die ich auf einer Karte hätte ausfindig machen können. Selbst wenn im Brief dann die Region genannt wurde, wo er sich befand, fehlte mir der offizielle Ortsstempel.
 
Und jetzt durfte ich ein zweckentfremdetes Militärgebäude betreten.
 
Ich fand nicht die leiseste Geruchsspur von Gewehrfett, die ich sofort erkannt hätte. Sie war jeweils Hauptbestandteil der Aura, die Primo um sich trug, wenn er heimkehrte. Sie war gemischt mit Schweiss und der unverkennbaren Note der Wundsalbe Unguentolan, die auch heute noch mit naturbelassenem Lebertran hergestellt wird.
 
Primo war anfänglich nicht begeistert, jetzt einer Einladung zum Besuch eines Militärtempels zu folgen; aber er kam mit, und es lohnte sich. Die Vergangenheit ist das Eine, das heutige Leben und Schaffen das Andere. Ursula Pfister sagte schon im Radio-Interview, dass sie den ursprünglich miefigen Geruch jetzt nicht mehr wahrnehme. Ja, er hat sich davongemacht. Die Räume wurden seit dem Frühjahr 2010 begangen, belebt, mit neuer Energie aufgeladen und sie wurden belüftet. Hier arbeiteten in den letzten Monaten jene Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeiten jetzt zeigen.
 
23 Kunstschaffende haben sich mit diesem Haus auseinandergesetzt und Werke geschaffen, die mit seiner ursprünglichen Bestimmung etwas zu tun haben. Und die Bevölkerung wurde eingeladen, ihnen beim Arbeiten über die Schulter zu schauen und mitzuerleben, wie sich das Zeughaus zum offenen Atelier wandelte.
 
Und die Militärmusik der Rekrutenschule 16-1 aus Aarau beehrte Gelterkinden im Juni 2010 mit einem Konzert.

Die aus Holzlatten geschaffenen Räume und Abteilungen, einst für die Lagerung von Waffen, Ausrüstung und Werkzeugen bestimmt, ergaben geeignete Ateliers und Ausstellungsbezirke. Begrenzte Abteile mit Durchsicht zum Nachbarn, wie wir sie als Winde (im Estrich) in den Mehrfamilienhäusern auch kennen.
 
Um all die Zeughaus-Gegenstände zu lagern, verfügte dieses Haus über viele Lattenroste, die jetzt mit anderer Bestimmung wieder eingesetzt worden sind. Sie befinden sich zuoberst im Dachraum z. B., schräg angeordnet an die Wand platziert, zu einem begehbaren Korridor gestaltet, der die Ausstellungsbesucher zu einer Art Heiligtum hinführt. Zu einem Tor mit innerem Licht. Verherrlichung von wem oder was?
 
Ebenfalls auf der obersten Etage zogen mich farbige Oberlichter an. Glasfenster mit Gedanken zum Thema Krieg. Da las ich:
 
Man hofft, solange man atmet.
 
Fast jeder Überlebende hat einen Zufall gehabt, der ihn überleben liess.
 
Man sieht immer nur, was man sehen will.
 
Es war geistig eine tote Zeit.
 
Die Zeit dehnt sich in Unendlichkeit.
 
In der mittleren Etage konnten Räume, die allein mit durchsichtigen Klebebändern umgestaltet worden sind, durchschritten werden. Auch da war der Weg diktiert, jedoch mit der Möglichkeit, ihn zu verlassen. Und in der Ansicht von vorn vermittelte diese Installation das Dahinterliegende in vielfältigen Schichten.
 
Ganz unten, im Erdgeschoss nochmals viel Holz, knorriges Holz, aufgepflanzte Äste und Stöcke, denen der Wildwuchs gelassen, ihnen aber auch schöne Motive eingeschnitzt worden sind. Es gab da auch die gängigen Gehstöcke des Bergsteigers von einst.
 
Sinnbild all der knorrigen Soldaten und Originale und jenen, die es zu besonderem Ansehen und begehrten Dekorationen schafften?
 
Auch die Soldatensprache wurde thematisiert. 71 Begriffe werden in der Ausstellung genannt, von denen ich einige kannte.
 
Beispiele, die gut verständlich sind:
 
bürsten = schikanieren, z. B. die Rekruten bürsten.
 
Bundesziegel = Biskuits. Solche brachte mir Primo jeweils nach Hause.
                              
Fahnentürgg = Prozedere rund um die Fahnenübernahme und –abgabe; Vorbeimarsch, Aufmarsch, Ansprache, Abspielen der Nationalhymne.
 
Grabstein = Erkennungsmarke, die der Soldat auf sich trug.
 
Mami = Feldweibel.
 
Seeletürgg = Feldgottesdienst.
 
Wolf = Hautreizung im Beinbereich (Oberschenkel) aufgrund langer Märsche.
 
Und das uns ansprechendste Wort fanden wir auf einem Stempel, der als Kunstobjekt angeboten wird. Verstanden lautet seine Botschaft. (Den Befehl verstanden.) Humorvoll. Die Idee hat uns gefallen. Ja, wir haben verstanden.
 
Zuerst dachte ich, die Rauminstallationen hätten mich am meisten beeindruckt. Jetzt aber, 2 Tage später, erscheint mir der ca. 2 x 3 m grosse Papier-Scherenschnitt vor den inneren Augen, und ich weiss, dass es für mich und nach Rückfrage auch für Primo das wertvollste Stück der ganzen Ausstellung ist.
 
Eine unglaublich subtile Arbeit, ein Blättergebilde eines Laubbaums, gigantisch in seiner Grösse. In einem mit textilem Schrägband eingefassten Rahmen und daran aufgehängt. Leicht fallend. Und atmend. Es wird auf die Luftfeuchtigkeit reagieren. Es ist lebendig. Es wird wohl das Leben darstellen. Das verletzliche Leben, das geschützt werden muss. Mit oder ohne Militär. Ein Werk ohne Worte, aber mit grosser Wirkung.
 
Primos Interpretation dazu: Anstoss für diesen Scherenschnitt könnte das militärische Tarnnetz gewesen sein. Auch andere Übersetzungen von eingelagerten Materialien sind ihm aufgefallen. „Kraftvolle Übersetzungen“ nannte er sie.
*
 
Hinweis
Die Ausstellung, die mehr darstellt als von mir beschrieben, dauert bis 17. September 2010. 
Alle Information dazu unter www.mobilmachen.ch

Sonntag, 8. August 2010

Postkarten, Briefe aus den Ferien. Umgang mit der Post

Jetzt trifft wieder Ferienpost ein. Heute aus der Bretagne, gestern aus Stralsund und etwas weiter zurück aus Sidney, Prag und aus Appenzell.
 
Ich freue mich immer über sichtbar gewordene Gedanken. Es heisst da manchmal, dieser Ort würde mir gefallen oder es wäre schön, wenn ich auch mitgereist wäre. Was immer auch das Motiv ist, dass Karten verschickt werden: Diese Tradition gefällt mir.
 
Die eingegangenen Karten sind farbig. Der Himmel meist blau, und wo er bewölkt ist, sind imposante Wolkenformationen dargestellt. Aus Prag erreichten mich letzte Sonnenstrahlen vor dem Sonnenuntergang. Da ist die Stadt in ein goldenes Licht getaucht.
 
Das Blau, von dem ich sprach, muss auch anderen gefallen. Sonst würde es nicht so oft dargestellt. In den meisten Fällen wird es nicht exakt den Augenblick eines Himmelbildes darstellen, sondern den Farbentscheid eines Druckers, der den Wunsch einer Tourismusbehörde umsetzt.
 
Der Himmel über Sydney entspricht exakt meiner Wahrnehmung in Norwegen. Ich nenne es Trondheim-Blau. Dort sprach es mich an und nahm mich in seinen Bann. Ich kann es nicht mehr vergessen. Hier gibt es dieses Blau selten, am ehesten nach dem ersten Herbsteinbruch, wenn die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel steht. Dieses Blau wirkt kühl, aber nicht kalt. Es strahlt Frische aus, die zur Klarheit gehört.
 
Ich freue mich, dass es diese Post noch gibt, die auch handschriftlich angeschriebene Briefe und Karten zustellt. Aus der eigenen Erfahrung als Aushilfspöstlerin weiss ich, dass gerade diese Post ein emotionales Gewicht hat, die eine Verträgerin spürt. Auch wenn die Grüsse und Texte nicht gelesen wurden, konnte ich ahnen, dass sie Freude bereiten. Und ich trug sie vor allem gern aus.
 
In letzter Zeit hat meine Liebe zur Post gelitten. Die Tarifanpassung für die Auslandbriefe Europa per 01.04.2010 (bis dahin Fr. 1.30, neu Fr. 1.40) ging an mir vorbei, ebenso letztes Jahr die Reduktion für A4-Briefe in der Schweiz. Es ärgerte mich, dass ich mangels Informationen Fehler machen musste. Es sah so aus, dass nur noch die Grosskunden interessant seien. Nun ist das Rätsel aber gelöst. Der Kleber „Stopp! Bitte keine Reklame“, der in unserem Haus an allen Briefkästen angebracht ist, verhinderte die Zustellung eines neuen Tarifblattes. Da ich ihn nicht selbst platzierte – er war schon da, als wir hier einzogen ­– habe ich mich mit diesem Thema gar nicht befasst. Trotzdem, von der Post hätte ich nicht erwartet, dass sie ihre Tarifmitteilungen als simple Reklame einstuft. Gut. Ich bin jetzt informiert und richte mich danach. Ich habe meine Haltung geändert. Ich warte nicht mehr, dass man mich informiere. Ich will mich von Zeit zu Zeit selber erkundigen, ob sich etwas geändert hat. Und da habe ich gleich eine interessante Beobachtung gemacht. Schon beim nächsten Besuch in der Post fiel mir der Ständer im Eingangsbereich mit vielen Informationen zu allen Dienstleistungen auf. Diese habe ich bisher übergangen, habe alle Schriften als Reklame betrachtet und dort keine Tarifinformation erwartet. Sie wäre aber bereitgelegen.
 
Die ganze Geschichte hat sicher auch mit meinem Alter zu tun. Ich habe ungefähr 55 Jahre lang erfahren, dass mich die Post immer informierte, wenn sie an ihren Tarifen etwas änderte.
 
Wer über 60 Jahre alt ist, muss sich mehr und mehr nicht nur von Menschen, sondern immer auch von Institutionen, Organisationsformen, Gewohnheiten, Sicherheiten usw. verabschieden. Ob es uns passt oder nicht.