Samstag, 23. Januar 2010

Das Neben- und Miteinander in der S-Bahn nach Rüti ZH

Ab Winterthur wollte ich mit der S-Bahn durchs Tösstal reisen. Die Wartezeit benützte ich, um einen ominösen Stadtplan zu suchen, der mir vor Jahren bewusst gemacht hat, dass mir Planlesen schwer fällt. Ich hatte einen Wettbewerb gewonnen und durfte die Studios von RADIO TOP besichtigen.
 
Den Strassennamen hatte ich auf dem Plan auf meinem Ankunftsperron rasch gefunden. Das Problem war nur, dass er sich hinter Glas und die Stadt, die darauf eingezeichnet war, hinter meinem Rücken befand. Es gelang mir nicht, ihn in der Vorstellung umzukippen. Ich hätte ihn in die Hände nehmen, drehen und wenden wollen. Beispielsweise so hinhalten, dass mir die Eisenbahnschienen die Basis zur Übersicht gegeben hätten. Mit meinem angeborenen Spürsinn aber kam ich dann doch rechtzeitig im Radio-Studio an.
 
Seither rufe ich „Winterthur“, wenn Planlesen schwierig ist. Und mit diesem liebenswürdigen Reizwort sind mir in der Familie Verständnis und Hilfe sicher.
 
Den Plan von damals gibt es nicht mehr. Das habe ich nun letzte Woche festgestellt.
 
Zurück zur Tösstal-S-Bahn. Ich fand dort ein leeres Abteil und richtete mich behaglich ein. Ich wollte an diesem Tag nach dem Winter im Zürcher Oberland Ausschau halten. Die weissen Wälder sehen. Meinen Alltag allein lassen. Eine solche Reise nennt Primo Mutterleibserfahrung. Alle Kontrolle loslassen, fahren und schaukeln, geniessen.
 
Nebenan, auf den Plätzen rechts vom Gang, hatte sich schon eine junge Mutter für eine längere Fahrt eingerichtet. Als ich ankam, packte sie ein Kinderbuch aus ihrem Rucksack und begann sogleich vorzulesen. Etwas später richtete sich eine wortkarge Frau neben mir ein. Sie kümmerte sich hauptsächlich um ihren Hund, war besorgt, dass dieser niemanden störe.
 
Nachdem uns die S-Bahn über die Strecke von 3 Stationen geführt hatte, stiegen 2 Buben zu. Artig fragten sie uns: „Ist hier noch frei?“ Der bisher stille Hund erwachte wie aus einem Schlaf, wedelte mit dem Schwanz, schnupperte an den Hosenbeinen der beiden Primarschüler. Einer erklärte der Frau, das Tier sei auf den Hund ihrer Grossmutter aufmerksam geworden. Dieser schnuppere ebenso gern an ihnen herum. Das könne der Hund riechen.
 
Die sofortige Freundschaft zwischen Hund und Schülern war nicht zu übersehen. Es waren Kinder vom Land, mit Tieren vertraut. Sie sprachen mit dem Hund wie zu einem Kollegen, und er reagierte auf sie. Der ältere der beiden streichelte sein Fell. Mich erinnerte dieses an die Persianermäntel von einst. Das Kraushaar wurde bewundert. Nach einem Bad könnte man die Haare auf Lockenwickler dressieren und eine Hundefrisur kreieren, schlug er vor. Jetzt schmunzelte sogar die Hundebesitzerin. Und eine Weile später sagte er sogar noch zu ihr: „Sie müssen damit rechnen, dass dieser Hund nicht mehr lange lebt.“ ‒ „Ja, er ist sehr alt“, antwortete sie leise.
 
Kinder von heute. Unbefangen, liebenswürdig kontaktfreudig, sagen, was sie denken.
 
Dann wollte der Jüngere, vielleicht ein Viertklässler, einen Witz erzählen: Ein Mann wurde gefragt, ob es Geister gebe. Das wisse er nicht. Er sei nun schon 800 Jahre auf der Welt und doch noch nie einem begegnet.
 
Es amüsierte den Erzähler, dass der alte Mann nicht wusste, dass er selbst ein Geist sei. Zu mir gewendet, sagte er dann: Wenn man einem solchen Geist das Schwert in die Brust stosse, falle es hinten augenblicklich heraus. Ergänzend spielte er die Szene vor und seine Phantasie liess ihn den Todesstoss, der keiner sein konnte, mit verklärten Augen schauen.
 
Dann war die Fahrt der Buben zu Ende. Sie verabschiedeten sich. Sie würden jetzt die Grossmutter besuchen. Die Frau mit dem Hund hatte ihr Ziel ebenfalls erreicht. Jetzt sass ich allein im 6er-Abteil.
 
Nebenan wurde immer noch aus dem Kinderbuch vorgelesen. Der Bub im Kindergartenalter folgte nun schon eine halbe Stunde lang der schriftdeutsch verfassten Geschichte, ohne sich zu langweilen. Ich konnte sie nicht verstehen, aber aus dem Sprachklang ableiten, dass sie sehr spannend sein musste. Es tönte wie aus einem Hörspiel. Wenn der kleine Zuhörer eine Zwischenfrage stellte, sprach er Mundart und verstand offenbar auch die Schriftsprache sehr gut.
 
In Bauma angekommen, liess ich mich wieder einmal in die eigene Geschichte zurückfallen. Jedesmal werde ich beim Anblick der alten Dampfbahn auf das grosse Turnfest von 1946 oder 1947 erinnert. Das fand in Bauma statt. Meine Klasse war dabei. Wir fuhren in dieser grünen Bahn von Wald hierher. Es war aufregend schön. Noch immer wird diese Bahn gehegt und gepflegt und zu Nostalgiefahrten ausgeführt. Ich sah sie vor der Remise stehen.
 
In Gibswil verliessen mich auch die Vorleserin und ihr Knirps. Draussen warteten schon die Grosseltern. Nur ich – auch Grossmutter – wurde nirgends erwartet.
 
Rüti ZH, Endstation. Das wars also gewesen. Als ich aufstand, schaute ich rückwärts. Es erstaunte mich, dass sehr viele Leute in „meinem“ Wagen mitgereist sind. Da sich mein Sitzplatz gleich hinter der Lokomotiv-Führerkabine befand, nahm ich nur diejenigen Mitreisenden wahr, die in meinem direkten Umfeld sassen. Niemand musste an uns vorbeigehen. Wir befanden uns quasi in der eigenen Stube. Und so fühlte es sich auch an.

Freitag, 8. Januar 2010

Widerstand mit dem zürichdeutschen „Nüüt“ (= Nichts)

„Nüüt, nüüt“ ist neuerdings ein geflügeltes Wort in unserer Familie. Wir verdanken es der 3½-jährigen Enkelin. Sie muss es während der gemeinsamen Sommerferien aufgefangen haben. Ihr Grossvater benützt es oft an der Stelle von einem harten Nein. Gleichwohl waren wir überrascht; denn Nora spricht mehrheitlich französisch. Stellen wir Fragen, die sie nicht beantworten will, heisst es abwehrend: „Nüüt, nüüt“.
 
Zu Weihnachten wünschten sich beide Enkelinnen ein Abspielgerät. Wir Grosseltern wurden informiert, dass die früher auf einer CD zusammengetragenen Kinderlieder und Verse in Noras Player eingespiesen werden. Ob wir diese persönliche Sammlung noch ergänzen wollten? Ja, gern. Wir freuen uns, wenn unser Sprachklang den Enkelinnen vertraut bleibt.
 
Primos Beitrag befasste sich dann ausschliesslich mit dem Wort „nüüt“. Ich halte ihn hier fest, obwohl ich weiss, dass der Dialekt an vielen Orten nicht verstanden werden kann. Aber vielleicht freuen sich Leserinnen und Leser am Sprachklang. Einzelne Worte erkläre ich noch am Schluss des Textes. 
Öppis, wo öppis isch
isch nüd nüüt.
 
Öppis Guets isch guet:
Ässe, trinke, suggele,
scho lang nüme nuggele.
 
Wenig isch nonig nüt.
Vill isch nonig alles.
Gar kei da – isch alles wegg.
Gar nüt isch me da.
Niemer da.
 
Niemer, keis, alles furt.
Furt und Schluss. Fidibus. 
Erklärung der Mundartausdrücke
öppis = etwas
isch nüd nüüt = ist nicht Nichts
Guets = Gutes
guet = gut
ässe = essen
suggele = genüsslich saugen
nuggele = lutschen
nonig nüüt = noch nicht Nichts
gar kei = kein, keines („gar“ verstärkt die Aussage)
alles wegg = alles fort
niemer = niemand
keis = keines
furt = fort
Fidibus = Aschenbecher mit Aufsatz. Daran werden Streichhölzer entzündet.
 
Fidibus beschliesst hier das Wortspiel mit einem zündenden Feuer.

Samstag, 2. Januar 2010

Neujahrswünsche, um sich Geld und Glück zu sichern

Ein Geschäftsfreund sandte uns wieder einen sehr originellen Neujahrsglückwunsch. Wie üblich, verlangen seine Ideen, dass die Empfänger mitdenken und die knappen Botschaften entschlüssen.
 
Diesmal kam ein Portemonnaie mit verschiedenen Fächern an. Verpackt war es in einem einfachen Streifband. Korrekt adressiert, alltäglich frankiert. Nüchterner geht es nicht mehr. Doch das Streifband enthielt auch einen Neujahrswunsch. Am linken und rechten Rand wurden die Vornamen seiner Familie genannt. Sie alle „wünschen ein gutes oo". Dieser Wunsch wiederholte sich auf der ganzen Länge des Papierbandes mehrmals.
 
Was war da mit diesen beiden Kreisen gemeint? Wofür stehen sie da? Ich öffnete die Fächer dieses Portemonnaies und fand keine Anleitung. Ich legte es zur Seite. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich eine Botschaft von Ph. nicht sofort verstand.
 
Primo, der Gründliche, aber fand 2 Geldstücke. Ein 20- und ein 10-Rappen-Stück. Er legte sie nebeneinander vor mich hin: Die Zahl des neuen Jahres. Genial!
 
Ich weiss noch nicht, ob ich diese beiden Geldstücke als eiserne Reserve zur Seite legen soll. Es haftet ihnen, zusammen mit den Glückwünschen, ein gewisser Nimbus an.
 
Eine andere Möglichkeit, vom neuen Jahr beschenkt zu werden, hat mir eine in Italien lebende Freundin eröffnet. In Florenz müsse man am 1. Januar Linsen kochen, damit das Geld im neuen Jahr reichlich fliesse.
 
Ein anderer Volks- oder Aberglaube, den mir meine Mutter vermittelte, betrifft die Ordnung im Haus. Am 1. Januar dürfe kein Staub gewischt werden. Man würde sonst das Glück aus dem Haus jagen.
 
Obwohl mit einem zwinkernden Auge, halte ich mich bis heute daran.