Kreissägen quitschten, als ich zum Lebensmittelgeschäft am
Suteracher unterwegs war. Holzfäller waren im oberen Bereich der
Eugen-Huber-Strasse an der Arbeit, stutzten Bäume, die sich an guten
Plätzen übermütig ausgedehnt hatten. Nachher, auf dem Heimweg, waren die
Arbeiter schon vis-à-vis der kleinen Kirche am Werk. Ich konnte
mitverfolgen, wie ein riesiges Astgebilde einer Hagebuche in den
mächtigen Sammelwagen gehievt wurde. Ich blieb stehen, dachte: Da
ereignet sich etwas, was meinen bereits begonnenen und ins Stocken
geratenen Beitrag fürs Blogatelier beleben kann. Das Thema der
Hagebuche, angesprochen durch eine Leserin, Monja Freiesleben in CH-9607
Mosnang, machte mir bewusst, wie wenig ich von diesem Baum wusste. Sie
stellte die Frage, ob sich Hagebuche für die Herstellung eines Bettes
eigne.
Obwohl in unserer Schreinerei noch nie Hagebuche verarbeitet worden ist, wusste Primo
über sie Bescheid. Aber mir fehlte der echte Kontakt zu diesem Holz.
Wenn ich etwas mit den Händen angefasst habe, kann ich dazugehöriges
Wissen leichter aufnehmen. Das sitzt dann.
Primo hatte schon im Frühjahr am Waldrand oben bemerkt, dass eine
kranke Hagebuche gefällt worden war. Der Schnitt im Baumstrunk war noch
frisch, und es lagen ein paar wackere Aststücke, von den Fällern zum
Verfall preisgegeben, als Zeugen herum. Primo erkannte den Pilz, der auf
abgestorbene Äste hinweist: Xylaria. Er nahm eines der Stücke
auf die Schulter. Für eine normale Schreinerarbeit war es ganz klar
nicht zu gebrauchen. Zerschunden, zerrissen zeigte es uns aber das
Innenleben. Solches fasziniert uns immer.
Das Holzstück lag nun ein paar Monate ohne besondere Beachtung in
der Werkstatt. Und wurde dann hervorgeholt, als ich meinen Wissens- und
Erfahrungsdurst anmeldete. Primo schnitt den Hagebuchenklotz auf und
verschiedene Rohlinge für Küchengeräte zu. Formen für Löffel und solche
für Kellen. Er brachte auch einen Holzreif mit. Diesen hatte er aus dem
Astquerschnitt zugeschnitten. Wegen des Xylariabefalls hatte das Holz
dort sein schlichtes Weiss verloren und zeigt nun eine dem Marmor
vergleichbare Farbe und Struktur. Alle diese Teile könne ich schleifen
und so dem Wesen des Hagebuchenholzes nahe kommen. Verblüfft hat mich
ganz speziell die Form des Reifs. Er passte exakt an meinen Arm, ohne
dass vorher Mass genommen worden wäre. Auch diesen könne ich schleifen
und ihm die ganz persönliche Form noch selber geben.
Etwas viel verlangt! Primo arbeitet seit mehr als einem halben
Jahrhundert mit Holz. In seinen Händen haben sich unzählige Experimente
und Erfahrungen eingenistet, die immer noch sofort abrufbar und
wegweisend sind. Eine solche Hilfe habe ich nicht. Aber immer noch
Begeisterung genug, Erfahrungen zu machen.
Eine einigermassen seidene Oberfläche brachte ich an einem Löffel
zustande. Auch am Reif mühte ich mich ab. Wegen seiner Xylariaerkrankung
und Windrissen brach er mir an 2 Stellen auseinander. Primo leimte ihn
sorgfältig zusammen. Da die Teile gespannt werden mussten, verkleinerte
sich der Umfang. Ich konnte ihn nicht mehr übers Handgelenk streifen.
Wieder war ich auf Hilfe angewiesen, konnte dem Innenradius schleifend
nicht so viel Holz wegnehmen, dass er zum ursprünglichen Mass
zurückfand. Wir fragten uns, ob das Holz vielleicht wegen des wärmeren
Wohnungsklimas geschwunden sei. Jetzt hat er eine passende Form,
hauptsächlich aber von Primo geschliffen. Die Oberfläche ist fein. Ich
berühre sie gern. Ich könne sie ölen oder lackieren. Nein. Ich möchte
den Reif so natürlich behalten und benützen. So kann er atmen, wachsen
und schwinden, wie es seiner Art entspricht.
Es sind noch längst nicht alle Rohlinge geschliffen. Sie liegen gut
sichtbar in meinem Arbeitszimmer. Ich beobachte, wie sich dünne Teile
verziehen, mir ihre Individualität zeigen. Eine Schaufel ist besonders
interessant. Vorderseite fein geschliffen. Die Form linksseitig
ausgerissen, naturbelassen. Die Rückseite zeigt die Spaltoberfläche.
Ungehobelt. Archaisch. Solche Exemplare setze ich im Haushalt nicht ein.
Sie dürfen Ausstellungsobejekte sein und bleiben.
Die Hagebuche hat mir kein persönliches Parfum offenbart. Beim
Schleifen machte sich aber ein leicht säuerlicher Geschmack bemerkbar.
Das Holz ist in seiner ganzen Art schlicht, hart, schwer und doch konnte
Primo aus diesem Material leichte, beinahe luftige Löffel und Kellen
herstellen.
Dem Charakter dieses Holzes begegnen wir im Volkslied „Wänn eine tannige Hose hät und hagebuechig Strümpf ...“
Da wird von einem gesungen, der in Hosen aus Tanne und Strümpfen aus
Hagebuche tanze, ohne dass seine Kleider zerknitterten. Ein solcher
Bursche muss selbst ein unverwüstlicher Kerl sein.
Der Baum im Mittelpunkt dieses Blogs gehört zur Familie der
Birkengewächse (Betulaceae). Er hat verschiedene Namen und ist doch
immer derselbe: Hagebuche, Hainbuche, Weissbuche, Hornbuche. Jeder Name
drückt eine besondere Eigenschaft aus: Hagebuche, weil er geeignet ist,
einen Hag, also eine Abschrankung zu markieren. Hainbuche auf den
Verbund einiger Bäume zu einem Wäldchen hinweisend, Weissbuche wegen
seinem weissen Holz. Und Hornbuche spricht das weisse und hornartige
Holz an.
Das Hagebuchwäldchen vor meinem Bürofenster ist ein hoher Lebhag
und grenzt das Schulhaus Loogarten von unserem Wohnhaus ab. In
wohltuender Distanz und gleichzeitig doch sehr nahe, ist es für mich der
persönliche heilige Hain. Ich nannte ihn schon so, als ich noch gar
nicht begriffen hatte, dass hier Hainbuchen stehen. Inzwischen sind wir
dicke Freunde geworden. Sie lassen mich die Jahreszeiten mit all ihren
subtilen Prozessen miterleben, und ich schenke ihnen viel Interesse und
Freude.
Jetzt gerade zeigen sie mir verschwenderische Fülle. Ihre so
genannten Flügel sind gut sichtbar, weil sie sich bereits verfärbt haben
und sich von den übrigen grünen Blätter abheben. Diese Flügel, ein
Blattwerk, sind 3-lappig und beherbergen das Samen-Nüsschen am
Stilansatz. 6‒8 solcher Flügel sind übereinander aufgehängt. Wie ein
beweglicher, länglicher Schmuck. Er erinnert mich an eine orientalische
Frau, die ich vor Jahren tanzen sah. Sie hatte ihr Kleid vorne auf der
Brust und hinten am Rücken mit ähnlich beweglichem Schmuck behängt. Und
dieser betonte beim Tanzen ihre füllige, weibliche Figur. So sehe ich
die Hagebuchen im Herbst. Sie sind meine orientalischen Frauen.
Sympathisch ist mir auch, dass in diesem Baum Männliches und
Weibliches vereinigt ist. Man nennt das „einhäusig“. Die männlichen
Kätzchen und die weiblichen Blütenstände wachsen auf im selben Haus. Um
die Befruchtung kümmert sich der Wind.
Und der Wind ist es auch, der die Flügelfrüchte mit den Samen
fortträgt. Schon bei leichten Winden habe ich bereits beobachten können,
wie ganze Gruppen solcher Flügel vor meinen Fenstern niedergingen. Mit
sanfter Landung, auch wenn beim Anblick Vergleiche zu Helikoptern
aufgestiegen sind. Diese Samen können kilometerweit fliegen und den
Weiterbestand der Hagebuche sichern. Darum muss ich um den heute Morgen
gefällten Baum nicht trauern. Überdies freuen sich die Bewohner jenes
Hauses, dass der grosse Baum vor ihren Fenstern und dem Balkon
verschwunden ist. Ich konnte beobachten, wie sie hinaustraten und
überrascht ausschauten. Die Frau muss dem Mann gezeigt haben, dass er
jetzt nach Höngg hinüber sehe. Beide strahlten. Soeben wurde ihnen
Weitsicht geschenkt.
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