Erst als ein Betrag von über 700 Franken genannt wurde, hörte ich
hin. Ich wusste nicht, ob der Pöstler einen Scherz machte oder ob das
Paket, das er überreichen wollte, so viel Wert war. Der Coiffeur
stutzte. Er fühlte sich offensichtlich überrumpelt. Woher das Paket
stamme? Der Bote nannte den Ort. Wo das sei? Auch diese Frage wurde
korrekt beantwortet. Die Anschrift wurde überprüft. Sie stimmte. Der
Absender entpuppte sich dann als der bekannte Lieferant, jedoch mit der
Adresse einer neuen Auslieferungsstelle. Der Coiffeur war immer noch
unsicher. Man müsse vorsichtig sein, sagte er wie zu sich selbst. Gerne
hätte er das Paket geöffnet und den Inhalt überprüft und erst dann
bezahlt. Aber das ist bei einer Sendung „gegen Nachnahme“ nicht
zulässig.
Der freundliche Paketzusteller hatte Geduld, liess dem Kunden
anständig viel Zeit zum Überlegen. Ich hörte, dass er die Sendung schon
am Morgen habe bringen wollen. Das Geschäft war noch geschlossen.
Inzwischen war der Kunde bereit, die „Nachnahme“ zu akzeptieren. Es
wurde bezahlt und unterschrieben. Nachdem der Coffeur seine Neugierde
gestillt, das Paket geöffnet und sich vergewissert hatte, dass die
Lieferung seiner Bestellung entsprach, entschuldigte er sich bei mir,
dass der Haarschnitt unterbrochen worden sei. Dafür hatte ich
Verständnis. Für mich kein Problem. Geschichten rund um die Post sind
immer willkommen, verweisen sie doch auf eigene Erfahrungen und auf
meine Beheimatung in dieser Institution. Und zudem habe sich dieser
Pöstler mustergültig verhalten, fand ich.
Ich erinnerte mich augenblicklich an Episoden meiner Mitarbeit als
Aushilfspöstlerin. Obenauf schwang die folgende: In Zürich-Wipkingen
trug ich die Samstagspost aus. Da kam aus einer Seitenstrasse im Umfeld
der Nordstrasse ein Mann auf mich zu und fragte, ob ich informiert sei,
dass Familie Sch. keine Post mehr annehmen könne. Er sprach aufgeregt
und wiederholte es mehrmals, dass alle Post zurückgewiesen werde. Ich
wusste nicht, wovon er sprach, dachte, vielleicht habe diese Familie
einen Todesfall gehabt und werde möglicherweise von allerlei Schulden
überrascht. Der Mann doppelte nach und sagte, lauter als vorher: „Mached sie mit öisere Poscht, was sie wänd. Rüered si diä doch eifach i Dolen abe!“ (Machen sie mit unserer Post, was sie wollen. Werfen sie diese doch einfach in den Ablauf der Strassenkanalisation!)
Unmöglich. So etwas komme nicht in Frage. Er liess nicht locker,
und ich wiederholte den Widerstand. Aber auf einmal lachte er
liebenswürdig und gestand: „Alles erstunken und erlogen. Ha-ha!“ Ich
lachte mit. Später, wenn wir einander wieder begegneten, winkte er schon
von weitem und schmunzelte. Manchmal blieben wir einen Augenblick
stehen, und er erzählte irgend etwas. Er war alleinstehend, pensioniert.
Das Leben war viel zu ruhig geworden. Darum hatte er das beschriebene
kleine Spiel inszeniert.
Am Samstag vor Weihnachten dann stand er an derselben Stelle und
hielt mir ein Geschenk hin: Ein paar Weihnachtsguetzli, ein kleiner
Tannenzweig und eine sehr schöne, von ihm selbst gestaltete
Glückwunschkarte.
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