Schulferienzeit. Es ist still geworden in meiner Umgebung. Das
Kinderlachen verstummt. Die Schaukel im Umfeld des Nachbarhauses
verwaist. Die Schulhäuser geschlossen. Aus unserem Quartier mit seinem
hohen Ausländeranteil werden viele Familien in ihre Heimatländer gereist
sein. Hier fühlt es sich momentan wie in einem Bergdorf an.
Und es regnet. Die Temperaturen sind zurückgegangen. Mit dem
Gedanken an die Bergdörfer frage ich mich, wie es sich jetzt für
Pfadfinder in Zeltlagern anfühle und wie die Schlechtwetter-Programme
aussehen.
Solche Gedanken führen mich in jene Zeiten zurück, als die Töchter
noch zur Primarschule gingen und wir Eltern für sinnvolle Ferien
verantwortlich waren. Und ihre eigenen Initiativen unterstützten.
In einem trockenen Sommer, als die Limmat wenig Wasser führte,
bauten sie, zusammen mit befreundeten Kindern, eine Ruinenstadt. Sie
schichteten am ausgetrockneten Flussrand Grundrisse von Häusern auf.
Jedes Kind nahm sich seinen Bereich und grenzte ihn mit Steinen aus dem
Flussbett ab. Darin wurde gewohnt, gespielt, gegessen und einander
besucht. Und draussen dienten Rindenstücke, Teile von Ästen und Blättern
als Schiffe, die die Limmat mit auf ihre Reise nahm. Es war
ungefährlich. Die Kinder vergnügten sich tagelang. Viele Jahre, auch
nachdem der Fluss zeitweise zu einem reissenden Strom geworden war,
suchten wir nach Zeugen jener Zeit. Erstaunlich lange konnten wir sie
noch finden. Das war auch ein Ziel. Die Kinder hofften, dass Archäologen
diesen Ort einmal fänden und ihn als Römersiedlung interpretierten.
Erstaunlich auch, dass unser zukünftiger Schwiegersohn dieses Thema
schon beim ersten Besuch bei uns im Bernoulli ansprach und sich
wünschte, den Ort (am Fischerweg in Zürich) zu sehen.
Die Schulkameradin Jasmin und ihr kleiner Bruder kamen auch
einmal zu Besuch in diese Ruinenstadt. Dem Kleinen gefiel es nicht. Es
störte ihn vermutlich, dass sich seine Schwester nicht mehr nur ihm
widmete. So deutete ich seine Reaktion. Unmutig riss er in Felicitas
Wohnung einen „Zoccolo" (Holzschuh aus der Südschweiz) an sich und warf
ihn ins Wasser. Dort schwamm das Raubstück wie ein kleinens Dampfschiff
davon. Als Jasmins Mutter davon erfuhr, meldete sie sich und bot Ersatz
an. Felicitas durfte mit ihr in die Stadt fahren und bekam dort das
neueste Holzschuhmodell aus Schweden. Wunderschön, grün, noch nie
gesehen. Die 6 Jahre jüngere Letizia staunte und sagte freimütig: „Hoffentlich wirft mir Robert meine Zoccoli auch noch ins Wasser."
Ein andermal wurde in unserem Garten ein Zirkuszelt eingerichtet.
Leintücher wurden aufgespannt. Es wurde ein Programm ausgedacht, ein
Programmheft gestaltet und Kunst- und Zauberstücke trainiert.
Unglaublich, wie Kinder sich vielen Details widmen, wenn sie sich selbst
ein Ziel gesetzt haben. Das Programmheft gibt es heute noch. Ich hatte
es aufbewahrt und konnte es nun zurückgeben. All die Vorarbeiten waren
vermutlich viel intensiver als die Aufführung selbst.
Einmal, zu Beginn der Ferienzeit, schlug ich vor, dass wir in
unserem Garten ein kleines Restaurant führen könnten. Sofort waren die
Mädchen begeistert. Wir brauchten ein Restaurant-Schild mit der
Aufschrift „Gasthaus zur Sonne" und eine vornehme Speisekarte mit
dem Tagesmenu. Es gab viel zu schreiben, zu malen und zu dekorieren.
Und ein schönes Tischtuch war auch gefragt. Der Erfolg war viel grösser
als erwartet. Ausgelöst auch durch das italienisch temperierte Hallo von
Primo, als er zum Essen nach Hause kam. Sofort liess er die
Rolle als Familienvater fallen und liess sich als Gast in einem guten
Haus beraten und bedienen. Nachbarn hatten uns schon lange beobachtet
und klopften nach dem Mittagessen an unser Gartentor. Das markierte
Gasthaus wirkte einladend. Sie kamen, wünschten Kaffee, plauderten,
hatten Zeit und genossen diese Abwechslung. Das Servierpersonal aber war
müde. Als dann alle Gäste weggegangen waren, atmeten die Mädchen auf.
Aber gerade als sie die Wirtshaustafel abhängen wollten, kam noch Johann Buob
daher. Der letzte Bauer vom Förrlibuck. Auch er ein willkommener Gast,
vor allen für mich. Noch heute freue ich mich, dass er uns besucht hat.
Bedächtig gehend, kam er an unseren Tisch und bestellte, augenzwinkernd,
ein geistiges Wasser. Den Kirsch füllte ich für ihn in das kleine
chinesische Trinkgefäss, das zu trillern anfängt, sobald getrunken wird.
Das kannte er noch nicht. Es gefiel ihm, uns mit diesem Vogelgesang zu
unterhalten und liess sich gerne mehrmals einschenken.
Die Kinder waren in der Zwischenzeit verschwunden, überliessen mir das Geschäft. Es sei sehr anstrengend gewesen.
In der Erinnerung sehe ich Herrn Buob auf seinen Stock gestützt,
langsam heimwärts gehen und dann entschwinden. Gerade so, wie es meine
Geschichten jetzt auch tun. Sie gehen dorthin zurück, wo sie gut
aufgehoben sind.
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