Ich fahre mit der S-Bahn weg. Heute steige ich schon auf der
Station „Hardbrücke“ aus und will den Bus nach Fluntern benützen. Es ist
7 Uhr morgens, ungewöhnlich früh für mich. Für alltägliche Kommissionen
zu früh. Es ist ein Arztbesuch fällig. Meine Ohren müssen schon wieder
von Schmalzpfropfen befreit werden.
Darum bin ich heute mitten unter den Menschen, die zur Arbeit gehen und sich dem täglichen Stress unterziehen.
Dieser Lärm! Dieses Quitschen der Eisenbahnschienen und das
Vibrieren der Fahrbahn, die über das aus Zürich hinausführende
Schienennetz gespannt ist. Meine Ohren möchten aufschreien. Sie stechen
mich. Und die Luft ist dreckig.
In solch einer Stimmung bedaure ich alle, die tagtäglich hier
durchkommen und sich erschüttern lassen müssen. An der Busstation
„Hardbrücke“ treffen sich zu viele Lärmquellen und stürmen auf uns ein.
Täglich brausen 70 000 Autos über diese Fahrbahn. Unter ihr verkehren,
ebenfalls täglich, 550 Züge der S-Bahnlinien.
Die Buslinie 33 zum Zürichberg führt oberhalb von Wipkingen an
prächtigen Bauten aus der Jugendstilzeit, an noblen Familiensitzen und
Villen vorbei. Bestandene Bäume scheinen diese etwas zu schützen, denn
da, wo der Bus fährt, ist auch allgemeiner Verkehr. Und mit ihm
Verschmutzung, Hektik und Abnützung. Da nützt die Adresse vom Zürichberg
nicht mehr so viel. Von der einstigen Schönheit dieser Wohnlage ist
einiges an Lack abgefallen.
Und erst dort, wo das Gasthaus „Vorderberg“ und ihm gegenüber die
alte Kirche Fluntern stehen, fühle ich den Schmerz des Ortes beinahe
körperlich. Störenfried ist eindeutig das Auto und die damit verbundenen
Zwänge. In alter Zeit mögen Wege und Strassen, vermutlich 7 an der
Zahl, von einem bedeutenden Mittelpunkt ausgegangen sein. Dieser ist
aber nicht mehr zu finden. „Vorderberg“ und Kirche sind grundsätzlich
Schmuckstücke, aber ihren Plätzen ist die Seele geraubt worden. Musste
vielleicht schon dafür gekämpft werden, dass diese historischen Bauten
überhaupt noch dastehen dürfen? Das weiss ich nicht.
Unter der Linde neben der alten Kirche stehend, überblicke ich den
Ort. Am meisten beeindruckt mich die einfühlsame Schleife der
Tramlinienführung. Als einzige vermag sie es, eine Insel zu schaffen und
Fahrgäste zu beschützen. Wehmütig aufbegehrend, denke ich wieder
einmal: Was doch dem Auto alles geopfert worden ist! Kein Wunder, dass
man darüber nachdenkt, ob eine Seilbahn vom Bahnhof Stettbach zum nahe
gelegenen Zoo gewisse Verkehrsprobleme lösen könnte.
Dann verabschiede ich mich von der Linde und mache mich auf den Weg
zum Arzt. Eine halbe Stunde später sind meine Ohren gereinigt und ein
anschliessender Hörtest gemacht. Mit einem Medikament, das mein
Hörproblem heilen soll, bin ich wieder entlassen. Ich freue mich über
den guten Bescheid und kehre sehr gern nach Altstetten, an den stillen
Waldrand, zurück.
Am Abend dann, vor dem Einschlafen, wiederholt sich vieles. Kaum
habe ich die Augen geschlossen, sehe ich Menschen auf mich zukommen,
weitergehen und andere auftauchen. Wir schauen uns flüchtig in die
Augen, erkennen uns aber nicht. Es bedroht mich niemand, aber ich
befinde mich mit ihnen im Stress. Wir alle hasten vorbei.
Glücklicherweise kann ich die Augen öffnen. Dann ist der Spuk vorbei.
Schliesse ich sie wieder, bin ich gleich wieder unter Druck. Während die
Menschen, denen ich am Morgen begegnet bin, vielleicht unter Zeitdruck
litten, wurde mein Druck (vor allem auf der Brust) durch die verordnete
Pille ausgelöst. Statt dass sie damit begann, mich zu heilen, löste sie
bedrohliche Nebenwirkungen aus und zeigte mir diese in den am Morgen
geschauten Bildern.
Um meiner grossen Unruhe auszuweichen, lasse ich dann ab Computer eine Tonsequenz meiner 2½-jährigen Enkelin Nora
in der Endlosschlaufe ertönen. Der Sprache noch nicht ganz mächtig,
versucht sie in dieser Aufnahme, ein französisches Kinderlied zu singen.
Berührend sind ihre Ansätze, Wörter zu formen. Indem ich mich ganz auf
sie konzentriere, kann ich meine Angst fahren lassen. Und später getraue
ich mich sogar noch, den Blutdruck zu messen. Erschreckend hoch. Und
ich war der Meinung, ich hätte mich beruhigt. Ich schon, doch der Körper
muss mit Chemie fertig werden und kann weder auf mich noch auf die
kleine Nora hören.
Das Schöne an der ganzen Sache: Ich habe wieder einmal erfahren,
wie Bilder mein Denken und Fühlen unterstützen können. Interessant finde
ich, dass die frisch eingespeisten Bilder von jenem Morgen gleich zur
Belehrung eingesetzt worden sind.
Und das Medikament habe ich abgesetzt. Die beschriebenen Nebenwirkungen waren nicht die einzigen.
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