Zum Jahresende 2008 wurde uns noch eine weisse Decke geschenkt.
Schnee bis in die Niederungen. Dicke, weiche Flocken fielen vom Himmel.
Ein seltener Moment wahrer Ruhe. Er dauerte über eine Stunde. Und ich
sass nur da und schaute diesem Treiben zu.
Die beiden Bäume, eine Aspe und eine Hagenbuche, am Rand von
Nachbars Wiese, müssen mich schon gut kennen. Ich schaue immer nach
ihnen aus. Ich bewundere sie. Sie sind meine Freunde. Nun hat mir der
Schnee zum Neujahr ein Geschenk gemacht. Er setzte sich auf gebogene
Äste und markierte ein grosses Herz. Ich habe es fotografiert. Es ist
keine Illusion. „Meine“ Bäume zeigen mir ihr Herz. Der Schnee macht es
möglich.
Auch auf der Westseite unseres Hauses ist die verschneite Welt nun
eine andere, eine weichere. Hier milderte die weisse Pracht den
radikalen Schnitt der üppig gewachsenen Sträucher, rund um die Einfahrt
in die Höhle des Zivilschutzes. Bis anhin wusste ich nur, dass sich
hinter „meinem“ grünen Hain, den ich vom Büro aus sehen konnte, eine
Einfahrt in den kleinen Berg befinde. Jetzt sehe ich sie. Ich konnte
zuschauen, wie sich die Landschaftsgärtner, vermutlich von „Grün Zürich“
an die Arbeit machten und den ganzen Wall zwar professionell, aber doch
schonungslos zurückschnitten.
Während dieses Abholzens dachte ich manchmal: So jetzt reicht es. Und wusste doch, dass ich da nichts zu bestimmen habe.
Der neue Anblick war anfänglich brutal. Doch entdeckte ich bald,
dass ich jetzt auf den Waldboden sehen kann. Jenseits der
Zivilschutz-Einfahrt sind ein Dutzend stramme Hagenbuchen herangewachsen
und bilden ein Wäldchen als Abschluss des Schulhausareals uns
gegenüber. Wenn die Sonne langsam untergeht, berührt sie diesen
Waldboden und bringt mir Lichtstrahlen auf den Schreibtisch. So kann ich
den Schmerz loslassen und die Sträucher ermuntern, wieder neu
aufzublühen. Der Schnee unterstützt mich. Er mildert alles. Und ich
glaube, dass sich das Grün eines Tages auch wieder zeigen wird.
Der Schnee plaudert auch Geheimnisse aus. Wir bemerkten schon beim
ersten Schnee Angang Dezember 2008, dass der Fuchs vom neuen Zaun quer
durch die grosse Wiese überrascht worden ist. Seine Spuren deckten auf,
wie er die Grenze spürte, sich irritiert abwandte, im Kreis herum ging,
bis er einen neuen Weg in gewohnter Richtung gefunden hatte.
Spuren von Kindern, die unserem Haus entlang schleichen, um den
Schulweg abzuschneiden sind auch sichtbar, ebenso jene einer dicken
grauen Katze, die so gar nichts Liebenswertes an sich hat.
Komme ich nach dem Kern von Altstetten, fallen mir an den
Tramstationen die vielen Zigarettenstummel auf, die jetzt gefroren sind
und erst nach dem Abtauen weggewischt werden können.
Da, wo wir wohnen, wird der Schnee nicht sofort weggeräumt.
Einerseits wird das Weiss lange erhalten, andererseits kann ich jetzt
nicht mehr unbeschwert ausschreiten. Wenn ich einkaufen gehe, laufe ich
auf der nicht stark befahrenen Strasse, vorsichtig bis ängstlich. Und
warte, bis der Schnee schmilzt und bekomme eine Ahnung, wie Menschen,
die in den Bergregionen leben, sich frühzeitig auf den Winter einstellen
müssen.
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