Wir schlenderten herum. Wir waren nach Basel gekommen, um die Ausstellung von Primos
Bildern und Objekten zum Thema „Fundsache Engel“ zu eröffnen. Alle
Vorbereitungen waren gemacht. Es blieb uns noch etwas Zeit, das Quartier
Gundeldingen zu entdecken.
An der Laufenstrasse 90 zog mich ein hell erleuchteter Raum in
einer Reihenhaussiedlung magisch an. Im Schaufenster links grüsste ein
feingliedriger Stern, eingerahmt von einem türkisfarbenen
Theatervorhang. Wir standen vor dem Figurentheater „Figuretti“. Ich ging
die Steintreppe hoch. Durch die Glastüre schaute ich auf Kaspers Bühne.
Sie war erleuchtet, aber unbelebt. 25 Stühle, alles Individualisten mit
verschiedenfarbig bezogenen Sitzkissen, standen für einen Auftritt
bereit. Doch nichts regte sich. Das Dutzend Figuren schaute noch aus
einem Fenster und machte auf sich aufmerksam.
Mit mir hatte es funktioniert. Diese intime Theaterwelt
elektrisierte mich, machte mich neugierig. Ich dachte an unsere
Enkelkinder in Paris, zog den Fotoapparat aus der Tasche und blitzte in
den Raum. Ich wollte ihnen Bilder schicken und erzählen, ich wisse
jetzt, wo der Kasper wohne. Vielleicht könnten wir ihn im nächsten Jahr
einmal besuchen.
Sofort erschienen 2 Personen aus einem Nebenraum und öffneten die
Tür. Sie wollten wissen, warum es hier geblitzt habe. Sie schienen sich
an meiner Begeisterung zu freuen. Ich bekam die „Figuretti“-Zeitung“ und den Prospekt „Über uns“. Die Foto zeigt die beiden Personen, mit denen ich gesprochen hatte: Claudia Stoob und Werner Jufer. Die Theaterdirektion also. (Mehr über sie und ihr Theater bei www.figuretti.ch).
Ich versicherte, wieder zu kommen und einer Aufführung beizuwohnen.
Vor lauter Freude vergass ich, dass ich auf dem obersten Treppenabsatz
stand. Als ich zu Primo auf die Strasse zurückkehren wollte, ging ich
wie ein Luftibus ebenaus und wäre beinahe abgestürzt. Ich konnte mich am
Geländer auffangen. Primos Gesichtsausdruck werde ich nicht so schnell
vergessen. Eine Mischung aus Schrecken und vorwurfsvoller Strenge. Ich
hatte grosses Glück. Hat mich vielleicht ein Engel vor einem
katastrophalen Sturz bewahrt?
Mittlerweile war die Sonne untergegangen und allerlei
Weihnachtsbeleuchtungen spendeten festliches Licht. In solchen Momenten
werden alle Schichten von erlebten Weihnachtsgeschichten wieder wach.
Besonders einfache, eher spröde Dekorationen ergreifen mich dann. Sie
erinnern an die Kindheit.
Letztes Jahr um diese Zeit waren wir auch nach Basel gekommen, um
einem Stadtrundgang zu folgen. Eine Kunsthistorikerin führte uns zu
Engeln in der Kunst und Architektur und zeigte auf, wie diese
geflügelten Wesen von den Menschen durch viele Jahrhunderte hindurch als
Beschützer wahrgenommen und sichtbar gemacht wurden.
Damals durften wir auch das Rathaus betreten und im Turmzimmer,
ganz oben, wurde ein Apéritif serviert. Meine Familie kam, in der Gruppe
gehend, unvorbereitet in den Hof dieses prächtigen Gebäudes. Da stand
eine mächtige Tanne, festlich geschmückt, und vor ihr wurde
Drehorgelmusik gespielt. „Oh, wie schön!" entfuhr es mir. Die
Klänge, der Baum, der Lichterglanz, das unbekannte Umfeld, sie gaben den
Blick für Weihnachten frei. Wie ein Blick ins Paradies kam mir das vor.
Ein Ereignis von wenigen Sekunden.
Wir mussten zügig weitergehen. Es vollzog sich alles husch-husch,
wie wenn ein Engel gesichtet worden wäre, der sich aber nicht weiter
bestaunen liess. Und als wir später zurückkamen, waren die Drehorgeln
verschwunden und mit ihnen die grosse Ausstrahlung von vorher.
Jetzt, an diesem Dezembertag 2008, konnten wir bekannten und auch
unbekannten Menschen aus Basel etwas Vergleichbares zurückgeben. Nichts
Herkömmliches und darum überraschend. Ein neuer Blick auf das Wesen des
Engels, den Primo als reine Energie versteht. Für ihn sind Engel keine
Sache, auch keine menschlichen Figuren. Um aber ein Objekt herzustellen,
das diese Energie andeutet, braucht auch er eine Sache: Materialien,
die ihm aus seinem Berufsalltag zufallen, Farben, auch Fundgegenstände,
die er als Velofahrer auf dem Weg zur Arbeit und auf der Strasse oder
beim Spaziergang im Wald oder Feldern entlang, zufällig findet.
Die Ausstellung ist gut aufgenommen worden.
Hinweis auf die Ausstellung mit Werken von Primo Lorenzetti
Sie ist bis Ende Januar 2009 im Restaurant L'esprit zu sehen.
Informationen zum Ort, einer Lesung über Engel und ein Engelmahl finden
sich bei www.lesprit.ch.
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