Jetzt ziehen die neuen Mieter ins frisch renovierte
Mehrfamilienhaus ein. Schon seit Wochen waren das Hämmern und die
mehrheitlich heiteren Rufe der Bauarbeiter verstummt. Der Innenausbau
vollzog sich still.
25 persönliche Wohnungseingänge habe ich gezählt. Dazu auf jedem
der Stockwerke noch ein allgemeiner. Ich bin gespannt, wie wir diese
neue Nachbarschaft erleben. Der Einzug der neuen Mieter scheint gut
abgestimmt zu sein. Es reisen nicht alle am selben Tag an. Wir bemerken
jeweils nur am Abend, dass weitere Fenster erleuchtet sind.
Auf der grossen Wiese wird noch ein Zaun errichtet, damit die
Landverhältnisse klar sind. Eine Massnahme, die in der Erfahrung gründe,
hörten wir von unserem Hausmeister. Die Grosszügigkeit wird
beschnitten, weil nicht alle damit umzugehen wussten.
Auch in der Gesellschaft weisen plötzlich neue Leitlinien auf einen
ähnlichen epochalen Wandel hin. Aber die Sicherheit, die wir suchen
oder neu erschaffen müssen, beschert uns zuerst viel Unsicherheit.
In solchen Situationen schaue ich immer wieder einmal auf einen
Leitsatz, der schon einige Jahre innerhalb meiner Bücherwand hängt. Da
heisst es: „S’chunnt guet. Mer ziehend’s durä." (Es kommt gut. Wir ziehen es durch.)
Dieser stammt nicht aus meiner Feder. Ich entdeckte ihn an Neujahr
2002 auf einem handschriftlichen Plakat an der Konradstrasse in Zürich,
wo sich damals noch viele Drogenabhängige aufhielten. Die positive
Botschaft aus diesem Umfeld erreichte mich wie ein Blitz. Zu Hause
tippte ich sie in den Computer und druckte sie in grossen Lettern aus.
Noch heute, beinahe 6 Jahre danach, unterstützt sie meinen
Durchhaltewillen. Noch selten habe ich 2 Sätzen so viel Zuversicht
entlocken können, wie diesen.
Und ich stelle fest, dass ich dieses jetzt schon etwas abgegriffene
Papier nicht fortwerfen kann. Es ist pausenlos im Einsatz. Ein Problem
löst das nächste ab. Jetzt gerade, weil wir die Kündigung unserer
kleinen Werkstatt akzeptieren müssen. Das Haus wird abgebrochen.
Auch mein Velo, treuer Begleiter, und seit beinahe 15 Jahren Teil
meiner selbst, musste ersetzt werden. Noch bin ich daran, mich mit dem
neuen Gefährt anzufreunden. Muskeln und Knochengerüst sind darob
irritiert und müssen sich arrangieren. Da geht es um kleinste
Massdifferenzen, die mir zu schaffen und auch Angst machen. Oder meine
Zähne, einst mein Stolz, sind nicht mehr fähig, sich selbst zu erhalten.
Was bleibt da Besseres übrig, als der inneren Zuversicht zu
vertrauen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich tiefgreifend
verunsichert werde. Immer gab es eine Lösung der Probleme, die einen
neuen Weg, manchmal eine neue Richtung verlangten.
Der mich behandelnde Zahnarzt ist ein Meister seines Fachs und
kennt auch Sensibilität. Ich fühlte mich aufgehoben, sicher und konnte
alle Spannungen loslassen. Am Schluss sagte ich, das müsse eine grosse
Koryphäe sein, die ihn behandeln dürfe. Er widersprach sofort. Ein
beruflicher Rang sei nicht ausschlaggebend. Es brauche vor allem
Vertrauen.