Samstag, 29. November 2008

In meinem Fokus sind noch Zuversicht und das Vertrauen

Jetzt ziehen die neuen Mieter ins frisch renovierte Mehrfamilienhaus ein. Schon seit Wochen waren das Hämmern und die mehrheitlich heiteren Rufe der Bauarbeiter verstummt. Der Innenausbau vollzog sich still.
 
25 persönliche Wohnungseingänge habe ich gezählt. Dazu auf jedem der Stockwerke noch ein allgemeiner. Ich bin gespannt, wie wir diese neue Nachbarschaft erleben. Der Einzug der neuen Mieter scheint gut abgestimmt zu sein. Es reisen nicht alle am selben Tag an. Wir bemerken jeweils nur am Abend, dass weitere Fenster erleuchtet sind.
 
Auf der grossen Wiese wird noch ein Zaun errichtet, damit die Landverhältnisse klar sind. Eine Massnahme, die in der Erfahrung gründe, hörten wir von unserem Hausmeister. Die Grosszügigkeit wird beschnitten, weil nicht alle damit umzugehen wussten.
 
Auch in der Gesellschaft weisen plötzlich neue Leitlinien auf einen ähnlichen epochalen Wandel hin. Aber die Sicherheit, die wir suchen oder neu erschaffen müssen, beschert uns zuerst viel Unsicherheit.
 
In solchen Situationen schaue ich immer wieder einmal auf einen Leitsatz, der schon einige Jahre innerhalb meiner Bücherwand hängt. Da heisst es: „S’chunnt guet. Mer ziehend’s durä." (Es kommt gut. Wir ziehen es durch.)
 
Dieser stammt nicht aus meiner Feder. Ich entdeckte ihn an Neujahr 2002 auf einem handschriftlichen Plakat an der Konradstrasse in Zürich, wo sich damals noch viele Drogenabhängige aufhielten. Die positive Botschaft aus diesem Umfeld erreichte mich wie ein Blitz. Zu Hause tippte ich sie in den Computer und druckte sie in grossen Lettern aus. Noch heute, beinahe 6 Jahre danach, unterstützt sie meinen Durchhaltewillen. Noch selten habe ich 2 Sätzen so viel Zuversicht entlocken können, wie diesen.
 
Und ich stelle fest, dass ich dieses jetzt schon etwas abgegriffene Papier nicht fortwerfen kann. Es ist pausenlos im Einsatz. Ein Problem löst das nächste ab. Jetzt gerade, weil wir die Kündigung unserer kleinen Werkstatt akzeptieren müssen. Das Haus wird abgebrochen.
 
Auch mein Velo, treuer Begleiter, und seit beinahe 15 Jahren Teil meiner selbst, musste ersetzt werden. Noch bin ich daran, mich mit dem neuen Gefährt anzufreunden. Muskeln und Knochengerüst sind darob irritiert und müssen sich arrangieren. Da geht es um kleinste Massdifferenzen, die mir zu schaffen und auch Angst machen. Oder meine Zähne, einst mein Stolz, sind nicht mehr fähig, sich selbst zu erhalten.
 
Was bleibt da Besseres übrig, als der inneren Zuversicht zu vertrauen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich tiefgreifend verunsichert werde. Immer gab es eine Lösung der Probleme, die einen neuen Weg, manchmal eine neue Richtung verlangten.
 
Der mich behandelnde Zahnarzt ist ein Meister seines Fachs und kennt auch Sensibilität. Ich fühlte mich aufgehoben, sicher und konnte alle Spannungen loslassen. Am Schluss sagte ich, das müsse eine grosse Koryphäe sein, die ihn behandeln dürfe. Er widersprach sofort. Ein beruflicher Rang sei nicht ausschlaggebend. Es brauche vor allem Vertrauen.

Montag, 17. November 2008

Erfahrungen, Aufgaben und Gedanken rund um den Tod

Jetzt gerade nachdem ich Wäsche aufgehängt habe, ist mir bewusst geworden, dass ich wieder in der Gegenwart angekommen bin. Ich war ganz bei der Sache, freute mich, wie sauber das Stück wieder war, das ich gerade in Händen hielt. Zeitweise war ich stehen geblieben, habe mich rückwärts gewandt und kurz darauf bin ich wieder vorausgeeilt, um dringende Aufgaben zu erfüllen. Die Folge: Ich verlegte Papiere, die Brille, die Schlüssel usw.
 
Der Grund: Celeste, die gelegentlich auch in Beiträgen im Blog-Atelier auftauchte, ist gestorben. Eine Erkältung minderte ihren Lebenswillen so stark, dass sie loslassen konnte. Als man ihr ein Spitalbett versprach, in dem sie besser gepflegt werden könne, gab sie auf. Ich freute mich über diese Art zu sterben. Sie war nicht allein. Pflegefachfrauen hielten sie beim Umbetten und gleichzeitigem Sterben in den Armen.
 
Ein Tod richtet sich nicht nach der Agenda der Betroffenen. Rücksichtslos wurde von mir gefordert, neben anderen Arbeitssträngen jetzt vor allem jenem für die Beerdigung zu folgen. Celeste hat mich zeitlebens als ihre „Seggredärin“ (Sekretärin) vorgestellt und mir rechtzeitig alle Vollmachten gegeben. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ihre letzten Wünsche zu erfüllen.
 
Ich habe schon für verschiedene Mitmenschen diese letzten Aufräumarbeiten übernommen und erfahre auch jetzt wieder, wie hilfreich es ist, wenn lange vorher darüber gesprochen wird. Was ist noch wichtig? Was soll gesagt und geschrieben werden? Wie soll das Leidmahl ausfallen usw. Was geschieht mit wertvollen Möbeln oder Andenken? Diese Fragen und die dazugehörigen Antworten sind enorm wichtig und erleichtern die Arbeit.
 
Celeste wünschte, dass ihre Asche in einer Nische bestattet werde. Der Verantwortliche vom Bestattungsdienst offerierte, selbst begeistert vom Urnenhain, einen Platz in der neu angelegten Nischenwand im Friedhof Sihlfeld. Ich dachte sofort an Kelten oder Römer, die solchen Orten viel Bedeutung gaben. Ideal auch nach den Vorstellungen der Verstorbenen und ideal für mich. Dieser Friedhof ist für mich gut erreichbar und er ist als friedliche Stätte schön. Von seiner Architektur her ein Ort der Geborgenheit.
 
Als wir den Tod im Bevölkerungsamt meldeten, wurden wir an allen Stellen sehr freundlich, mitfühlend und auf eine Art liebevoll begrüsst. Bevor wir an die Reihe kamen, trat eine Dame an den Schalter, die uns schon im Lift aufgefallen war. Sie konnte kaum mehr atmen. Und ihre Stimme versagte oft. Ein Tod, den sie betrifft, muss ihr arg zugesetzt haben. Da können wir uns gut vorstellen, dass das Personal dieses Amtes so geschult ist, dass es Mitgefühl signalisieren kann. Primo setzte für unseren Fall aber gleich ein Zeichen. Er informierte, wir würden einen Tod mitteilen, der als Erlöser gekommen sei. Wir seien nicht traurig.
 
Als Celeste vor 10 Jahren ins Heim eintrat, nannte sie mir Namen und Adressen von Verwandten und befreundeten Frauen. Ich listete sie auf. Ein A-4-Blatt wurde zu ¾ gefüllt, wohlgemerkt, jede Adresse ohne Leerschaltung an die nächste gerückt. Und jetzt, beim Tod, konnte ich nur noch 3 Personen mit der Todesanzeige erreichen. Wer über 90 Jahre alt wird, alleinstehend und kinderlos ist, wird zwangsläufig einsam.
 
Wo immer ihre Seele oder Persönlichkeit jetzt ist, wir wünschen ihr den Frieden. Letizia sagte ein paar Tage später, Celeste habe sich nicht mehr gemeldet (z. B. in einem Traum), und darum stelle sie sich vor, dass sie fadengerade, aber über ihr geliebtes Tal von Poschiavo, in ihre neue Heimat geflogen sei.