Donnerstag, 30. Oktober 2008

Von Wänden, die besprayt oder beschrieben worden sind

Der „Rosengarten“, ein altes Gasthaus an der Kalkbreite in Zürich, ist auferstanden. 150 Jahre lang war es ein wichtiger Quartiertreffpunkt und die Beiz der Trämler. Nebenan befindet sich das alte Kalkbreite-Tramdepot. Dieses baufällig gewordene und verlassene Restaurant wäre abgebrochen worden, hätte sich nicht der Heimatschutz eingeschaltet und „eines der ältesten Beispiele für die Urbanisierung Zürichs“ gerettet.
 
Kürzlich fuhr ich dort mit dem Velo vorbei und sah dieses alte Haus mit seinen gemütlichen Proportionen in neuem Glanz. Es strahlte. Es erschien mir jetzt grösser. Ich freute mich. Ein paar Tage danach war ich wieder in seiner Nähe und erschrak. Über Nacht hatten schon wieder Sprayer ihre seltsamen und in meinen Augen widerlichen Signaturen angebracht. Eine Schande! Ich liess mir von jungen Leuten sagen, das seien Markierungen der Selbstdarstellung: Ich bin da gewesen.
 
Da frage ich mich dann schon, wie sie reagierten, wenn ich zum Beispiel in ihren persönlichen Wohnraum eindringen und ihre Wände und Decken mit Malereien meines Schönheitsempfindens verschmieren würde.
 
Fotos in den Tageszeitungen zeigen mir heute, dass die betroffene Fassade noch rechtzeitig vor der Einweihung gereinigt und vielleicht nochmals übertüncht werden konnte. Wer bezahlt das eigentlich?
 
„Ich bin da gewesen.“ Dieser Satz liess in mir sofort ein uraltes Erlebnis aufsteigen, das unsere Töchter bestätigen können. Mit ihnen befand ich mich in der Bahnhofhalle des Zürcher Hauptbahnhofs zur Zeit, als diese renoviert wurde. Bauabschrankungen aus Spanplattenmaterial grenzten die Baustelle ab. Auch sie waren beschrieben oder verschmiert, aber nicht im heutigen Sinn versprayt. Dort, wo sich früher die „Chüechliwirtschaft“ befunden hatte, warteten wir auf Primo. Es stand eine Ausstellungseröffnung seiner Arbeiten an. Wir wollten gemeinsam ins Zürcher Oberland reisen.
 
Wir warteten und warteten. Zu dritt im Gespräch, fiel mein Blick schräg auf die Holzwand. Eine unscheinbare Bleistiftnotiz zog mich an. Eine Schrift ähnlich jener von Primo. Ich las: „Ich bin da gewesen, habe etwas vergessen. Reise eine Stunde später nach.“ Eine Botschaft für uns drei. Obwohl nicht unterschrieben, wussten wir augenblicklich, dass sie uns galt.
 
Wie unterschiedlich doch eine gleichlautende Botschaft motiviert sein kann. Da der Platzhirsch, der sich ein Denkmal setzt. Und dort einer, noch nicht im Handy-Zeitalter angekommen, der versucht, eine Verspätung mitzuteilen.
 
Aber beide haben öffentliche Wände benützt.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Deutsche in der Schweiz: Das Thema berührt auch mich

Schlagzeilen wirken weniger als Schläge, wenn sie von Karikaturen, zum Beispiel von Felix Schaad, begleitet sind. Seine träfen Beiträge im Tages-Anzeiger entspannen öfters mein Frühstück.
 
Schon bald eine Woche liegt Seite 21 vom 2. Oktober 2008 offen auf meinem Schreibtisch und amüsiert mich. Eine Bildgeschichte über 5 Sequenzen zu einem Artikel „Wie die neuen Ausländer die Schweiz verändern“.
 
Ein Mann mit locker umgebundener Krawatte, die Ärmel hochgekrempelt, überlegt: Er sei gewiss kein Rassist, aber sein Vorgesetzter sei ein Deutscher, sein Arzt ebenfalls und auch die Dozenten seiner Tochter. Und aus dem Fenster lehnend, sieht er bestätigt, dass es in seinem Quartier von ihnen nur so wimmle. Während dieser Aufzählung zeigte er sich von verschiedenen Seiten, mit der Hand im Hosensack, stehend und gehend. Dann sehen wir ihn bei sich zu Hause. Seine Frau sitzt auf dem Sofa und liest die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Von ihr will er jetzt wissen: „Wofür sind wir eigentlich in die Schweiz gezogen?“
 
Es fällt mir auf, dass in den letzten Monaten das Thema „Die Deutschen kommen“ immer wieder aufgegriffen worden ist. Statistiken dazu belegen, dass die Einwanderung zunimmt.
 
Ich frage mich trotzdem, ob das sinnvoll ist. Wird da Angst geschürt? Ich weiss es nicht. Auf jeden Fall bin ich persönlich vorsichtig, denn meine Urgrosseltern kamen auch aus Deutschland und haben hier wertvolle Arbeit geleistet. Der Urgrossvater war ein Spezialist für den Bau hoher Fabrikkamine. Er und seine Frau stammten aus dem Gebiet der Donau-Versickerungen.
 
2 Tage später betrete ich die Sihlpost beim Zürcher Hauptbahnhof. Es herrscht ein reger Betrieb. Die Schalter von A bis M alle besetzt. Ich drücke die Taste am Automaten, der mir den Zettel mit der anstehenden Nummer ausspuckt. Die 487. Es nimmt mich wunder, wie lange ich warten muss und schaue nach einer Anzeigetafel aus. Am Leuchtkasten oberhalb des Nummernautomaten erscheint die 05. Sie irritiert mich. „Da stimmt etwas nicht!“ sage ich leise vor mich hin und überprüfe nochmals meinen Zettel. Das war vermutlich eine Alterserscheinung, dass ich redete, wo andere schweigen. Ein junger Mann hat mich beobachtet und sofort eingegriffen. Freundlich erklärt er mir das System. Er verweist auf die Anzeigetafel über den Schaltern. Ich müsse nur warten, bis dort meine Nummer erscheine. Zu ihr gehöre ein Buchstabe, der sei für den betreffenden Schalter wegweisend. Es war ein Deutscher!
 
Ich musste lachen. Einerseits über mich, dass ich die 05 am Kasten falsch deutete. Sie ist neu und zeigt die mutmassliche Wartezeit an. Ich kannte sie noch nicht. Andererseits passt es zum Thema, dass die Deutschen da und sogar sehr hilfsbereit sind.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Freundlichkeit gedeiht auf respektvollen Verhaltensregeln

Montagmorgen. Schon vor 8 Uhr beleben die Kinder den Schulhausplatz von nebenan und erinnern mich an ein schönes Erlebnis von gestern. Sie lachen und kreischen. Es tönt fröhlich, aktiv und lebenslustig.
 
Primo und ich gingen erstmals in Zürich-Altstetten abstimmen. Das Abstimmungslokal befindet sich zu unserer Überraschung gleich nebenan im Schulhaus Loogarten. Wir wurden herzlich willkommen geheissen. Ich habe schon mehrmals erwähnt, wie freundlich man sich in diesem Quartier begegnet. Man grüsst sich auf der Strasse, wie das in den Landgemeinden üblich ist. Je näher wir dem Stadtkern kommen, desto nüchterner gehen die Menschen aneinander vorbei. Verständlich. Zu viele sind unterwegs.
 
Als ich am Tisch der Stimmabgabe erwähnte, wie uns die Altstetter-Freundlichkeit auffalle, huschte ein Leuchten über die 3 Personen, die unsere Papiere in Empfang nahmen. Selbstbewusst und gar nicht erstaunt über unsere Beobachtung, sagte eine der Frauen sofort: „Das ist eine alte Tradition!“
 
Ja, eine echte und lebendige. Eine, die entspannt und auch Humor zulässt.
 
Beim Verlassen des Schulhauses wurde ich zufällig noch auf die Verhaltensregeln in der Schule Loogarten aufmerksam. Am Informationsbrett steht geschrieben: 
Wir grüssen alle freundlich.
Wir begegnen allen mit Respekt.
Wir reden und benehmen uns anständig.
Wir folgen den Anweisungen der Erwachsenen.
Wir schlagen und spucken nicht.
Wir tragen Sorge zum Material und halten Ordnung.
Das sind Werte der angesprochenen Tradition.
 
Von ihnen zu reden, war lange kein Thema mehr. Ich freue mich über diese klare Vorgabe, die gewiss auch in andern Schulkreisen wieder salonfähig wird oder schon geworden ist.
 
Ich selbst habe beim Einzug in eine neue Wohnung erlebt, wie klare Regeln eigene Sicherheit hervorbringen. In meinem ganzen Leben musste ich nie eine Waschküche mit anderen teilen. Davor war mir ein bisschen bange. Dank der vorgegebenen Ordnung fand ich mich rasch zurecht.
 
Gut schweizerisch empfinde ich jene Ecke, an deren Wand ein Besen, eine kleine Schaufel und der dazugehörige Wischer aufgehängt sind. Um jeden dieser Gegenstände wurde seine Kontur mit Filzstift an die Wand gemalt, damit ihnen ein immer gleicher Platz sicher ist. Jedesmal denke ich dazu: So klare Vorgaben, locker erfüllt, würden an vielen Orten viele Probleme verhindern.