Montag, 24. Dezember 2007

Zurich-Airport: Die bewegende Ankunft von Mena aus Paris

Erst später habe ich realisiert, dass für uns die Welt für eine Weile stille gestanden ist, als wir Mena in der Ankunftshalle im Flughafen Zürich wohlbehalten in Empfang genommen hatten. Ganz selbstsicher kam sie an der Seite des Begleiters daher. Die Übergabe gegen Unterschrift vollzog sich als etwas Selbstverständliches für den Mann und für uns als einen bedeutenden Augenblick.
 
Da standen wir dann, schauten das kleine und in diesem Moment beinahe erwachsen scheinende Mädchen an. Es strahlte, es erzählte. Alles verlief so, wie man es ihm geschildert hatte. Mena wusste im voraus, dass wir an der Glasfront nach ihr ausschauen würden. Sie erkannte uns sofort, winkte, informierte den Begleiter, wir seien da.
 
Anstatt den Weg für andere Ankommende freizuhalten, standen wir einfach still. Erstaunlich, dass uns niemand rügte. Alle fanden ihren Weg wie das Wasser im Quellbereich, wenn es noch kein fixes Bett hat.
 
Unsere 5 ½-jährige Enkelin war in diesem Moment etwas aufgedreht, fotografierte uns, zeigte eine Filmsequenz auf ihrer Digitalkamera, den Blick vom Himmel in die Landschaft, aus dem Flugzeug aufgenommen. Kinder von heute. Da staunen wir. Es wird uns bewusst, wie sich das Wissen der Menschen entwickelt und die Welt verändert hat. Und wie Kinder mit der Technik befreundet sind. Sie spielen mit ihr.
 
Nach der kurzen Bahnfahrt haben wir in Zürich dann die Bahnhofshalle durch den Weihnachtsmarkt verlassen. Mena bewunderte die Tanne mit den vielen Swarowski-Kristallen, die mit dem Licht spielen und Farben herbeizaubern. Sofort wollte sie zu uns nach Hause, um mit dem Grossvater diese Tanne zu malen, das Plakat dann im Freien aufhängen, damit alle wüssten, das „fête“ (das Fest) sei da.
Mit den Farbstiften allein wurde der Baum noch nicht so ausstrahlend, wie sie es gesehen hatte. Anderntags wurde ihm dann aber doch noch zu einem annähernden Glanz verholfen. Der Grossvater schnitt ihr Schnipsel von irisierendem Papier zu und sie verteilte diese so locker, wie es nur Kinder können. Jetzt sei der Baum „magique“ (zauberhaft, magisch), erklärte sie.
Dieses französische Wort werden wir gewiss über die Feiertage hinaus behalten und dort einsetzen, wo das Leben farbig ist und wo wir staunen können.
 
In diesem Sinne „Une bonne année magique 2008!“ (ein gutes, magisches Jahr 2008) an die gesamte Leserschaft.

Sonntag, 16. Dezember 2007

Wintermorgen in Einsiedeln: Besinnliche Dezember-Reise

Weihnachten 2007 wird anders für uns. Wir sind wieder gefordert. Mena, unsere 5 1/2 Jahre alte Enkelin, will mit uns feiern. Sie wird alleine von Paris nach Zürich fliegen. Letzte Woche telefonierte sie mir und sagte: „Grosy! Ich habe es in der Schule erzählt, dass ich allein zu Euch komme. Aber sie glauben es mir nicht!“ (Sie besucht die 3. Stufe der „Ecole maternelle“.) Sie ist fest entschlossen, allein zu reisen, seitdem sie von einer Freundin erfahren hat, wie der Begleitservice der Fluggesellschaften funktioniert. Dieses Mädchen flog in den Herbstferien zur Grossmutter nach Berlin. Es konnte Mena ganz genau informieren.

Nun bin ich nach Einsiedeln gefahren, um dort Kerzen und Schokoladenschmuck für den Christbaum einzukaufen. Es soll diesmal ein besonders strahlender werden. Der offizielle Weihnachtsmarkt war bereits vorbei, doch fand ich in den hier ansässigen, traditionellen Geschäften genau das, was ich suchte. Bei „Lienert“ die Kerzen aus der eigenen Produktion, im Laden der Schafbock- und Lebkuchenbäckerei „Goldapfel“ verschiedenste Varianten von Schokolade, die sich für die Christbaum- und Tischdekoration eignen. Auch bei „Tulipan“ wurde ich fündig. Und dort trinke ich jeweils einen Kaffee und geniesse etwas aus der eigenen Bäckerei. Die Auswahl ist immer gross und die Wahl schwierig. Alles ist fein, von höchster Güte.
 
Auch zu Benziger gehe ich regelmässig. Diesmal schaute ich nach Kinderbüchern aus und fand solche, die einen Bezug zu Weihnachten herstellen. Benziger kenne ich seit Kindsbeinen. Meine Mutter war Präsidentin des Mütter- und Frauenvereins. 1945 fand in unserer Gemeinde, in der katholischen Kirche, eine Volksmission statt. Mutter organisierte den Verkauf von Andenken (Bücher, Andachtsbilder, Gebetsbildchen, Rosenkränze, Figuren von Heiligen, Kreuze usw.) Und diese wurden von Benziger, Einsiedeln, geliefert. Ich durfte, damals 6-jährig, helfen, die grosse Sendung auszupacken und miterleben, wie eine Ausstellung entsteht. Das hat mich geprägt. Wenn von Einsiedeln als einem „Kultur- und Wallfahrtsort“ gesprochen wird, entspricht das auch meiner Wahrnehmung, immer noch. Aber heute ist auch der Sport an diesem Ort ein wichtiger Tourismus-Faktor.
 
Der Mittelpunkt von Einsiedeln ist aber das Kloster mit seiner Gnadenkapelle innerhalb der barocken Kirche. Ein Anziehungspunkt für Millionen von Menschen. Die zeitlose Schönheit der schwarzen Madonna, die aus einer goldenen Wolke hervortritt, fasziniert nicht nur die Katholiken. Hier finden alle, die danach suchen, Einkehr und innere Ruhe. Es ist ein Ort, der uns für eine Weile aus der hektischen und materiell organisierten Alltagswelt heraustreten lässt. Hier können viele ihre Ängste zurücklassen.
 
Wer erstmals nach Einsiedeln kommt, sollte das „Salve Regina“, den Gruss der Mönche an die Gottesmutter, nicht verpassen. Dieses Loblied wird seit beinahe 500 Jahren täglich als Abschluss der Vesper gesungen. (Beginn der knapp halbstündigen Vesper: 16.30 Uhr.) Wer einmal dabei war, wird wiederkommen. Der Gesang ist eindrücklich schön.
 
Es erstaunt nicht, dass das Logo von „Einsiedeln Tourismus“ mit der Silhouette des Klosters für die gesamte Region wirbt.
 
Hier haben Primo und ich geheiratet. Nicht in der barocken Kirche selbst. Zu uns passte die schlichte Turmkapelle besser, die damals den Pfadfindern vorbehalten war.
 
Als Hochzeitsgeschenk durften wir am Tag zuvor die Röcke der Madonna in der Sakristei bewundern. Sie werden in einem alten, gepflegten Schrein aufbewahrt. Ein schmaler Bildband mit dem Titel „Das Kleid der Madonna“ (*) zeigt die offenen Schubladen, in denen die kostbaren Gewänder geschützt aufbewahrt werden. Jedes einzelne hat seine Geschichte. Es heisst da: „Um die Wette vergaben Frauen und Männer ihre kostbaren Stoffe und Röcke an ,Unsere liebe Frauw’. Pater Thaddäus Zingg listet in seiner Dokumentation viele Donatoren aus dem Kreis der Wohlgeborenen auf. Zwei Beispiele sollen das illustrieren: ,Es opferet Maximilian, erwählt König in Polen, Erzherzog in Oesterreich, Ornat mit ganz güldenen Blumen...’ oder ,Die Mutter Napoleons III. besuchte mehrmals Einsiedeln, schenkte ihr Brautkleid, das als Muttergotteskleid verwendet wurde’.
 
Am Tag meines Besuchs trug sie das Menzingerkleid.  Eine Arbeit von Menzinger Nonnen, die 1958 an der SAFFA (Ausstellung für Frauenarbeit) in Bern ausgestellt worden war. Die Stickerei auf diesem Kleid zeigt zwei Engel mit erhobener Krone. Es ist zusätzlich mit virtuosen Ornamenten bestickt.
 
Als ich nach meinem Besuch aus der Kirche heraustrat, war die Welt weiss geworden. In kurzer Zeit fielen so viele Flocken vom Himmel, dass ich eine veränderte, hellere Welt vorfand. Ich war sehr früh nach Einsiedeln gereist, weil ich hoffte, auf dem Weg dem Zürichsee entlang den Sonnenaufgang zu erleben. Den fand ich nicht, bemerkte nur bei der Ankunft, dass die Strassen- und Dekorationslichter gerade ausgeschaltet wurden. Dieser Augenblick markiert überall den eben eingetretenen Sonnenaufgang. Sonst war er für mich als solcher nicht markant wahrzunehmen, die Nebeldecke war zu dicht.
 
Die Anreise nach Einsiedeln ist am schönsten mit der Bahn. Ab Wädenswil überwindet sie innert einer halben Stunde 264 Höhenmeter. Während einem Drittel der Fahrt kann die weite Sicht über den See einerseits nach Zürich hin und andererseits über die Inseln und den Damm von Rapperswil hinweg Richtung Obersee bewundert werden. Die von der Jahreszeit und dem Wetter beeinflusste Sicht ist immer wieder anders. Immer wieder ein Erlebnis, auch wegen der Hügel und der dahinter liegenden Berge, die den See umgeben.
 
Vor Jahren fuhr ich an einem verhangenen Morgen auch nach Einsiedeln.  Es war dunkel, ich war schläfrig, erwachte aber wie nach einem Paukenschlag, als wir in Schindellegi-Feusisberg eintrafen. Der Zug hatte gerade die Nebelgrenze überfahren, und die Sonne lachte über mein Erschrecken. Nie mehr habe ich einen so tief berührenden Sonnenaufgang erlebt. Noch immer hoffe ich auf eine Wiederholung.
*
Hinweis
(*) Der erwähnte kleine Bildband wurde 1974 von Pater Thaddäus Zingg, Einsiedeln, herausgegeben.
Die zweite, 1983 erschienene Auflage, ist bei Buchhandlung Benziger AG, Klosterplatz, CH 8840 Einsiedeln, immer noch erhältlich. Sie ist nicht mit einer ISBN-Nummer versehen.

Samstag, 8. Dezember 2007

Post: Die Mitarbeit in der Briefzustellung beflügelte mich

Heute fehlte der „Tages-Anzeiger“ in unserem Briefkasten. An seiner Stelle lag die „Neue Zürcher Zeitung“. Eine Verwechslung, die ich gut nachvollziehen kann. Abonnierte Zeitungen und neu auch abonnierte Wochenblätter ohne aufgedruckte Adresse zuzustellen, ist eine anspruchsvolle Arbeit.


Meine mehrjährigen Erfahrungen als „Postaushelferin“ (Zustellung der Briefpost am Samstag) spiegeln sich in diesem Verständnis.
 
Für einen Rückblick habe ich mein Tagebuch von 1983 hervorgeholt. Dort ist meine erste, noch von der Vorgängerin begleitete Tour beschrieben. Damals brauchten wir noch Schlüssel, um die Briefkästen innerhalb eines Hauseingangs zu bedienen. Neu waren aber die als Code verschlüsselten Namen auf dem Tableau der Hausglocken. Ein Druck auf das richtige Wort – und die Haustür öffnete sich. Heute müssen die Briefkästen aussen angebracht sein, was die Arbeit wesentlich vereinfacht.
 
Frau K., die mich einführte, beeindruckte mich. Sie verteilte die Briefe in einem erschreckenden Tempo. Da, dort, hier, unten, oben, rechts. Ein kurzer Blick auf eine Anschrift und schon hob sich der Arm in die richtige Richtung. Ihre Arbeit pulsierte und die Briefkästen schepperten in ihrem persönlichen Takt. Schon im 2. Haus übergab sie mir den entsprechenden Bund. Was Frau K. verinnerlicht hatte, fehlte mir aber noch. Zwar gründlich, aber noch zu langsam, versuchte ich, die Adressaten zu finden und die Bürde loszuwerden. Im 3. Haus übernahm sie dann selbst wieder das Zepter, und ich ging neben ihr her. Ihre vielfältigen Hinweise, worauf ich ganz speziell achten müsse, kamen locker daher. Konnte ich das alles behalten? Würde ich überhaupt den Weg mit seinen vielen Abzweigungen wieder erkennen? Ob ich dann noch daran denke, dass der Zugang zu den Briefkästen einmal sogar durch eine Metzgerei und an einem andern Ort durch ein Restaurant führe? Auf unserem gemeinsamen Weg grüsste Frau K. einige unserer Postkunden und stellte mich als Nachfolgerin vor. Mich machte sie auch auf schwierige Kunden aufmerksam. Die hagere Frau dort, höre das Gras wachsen und jener Mann telefoniere regelmässig dem Chef, weil er immer etwas auszusetzen habe.
 
Auf halber Tour war dann unser Handwagen leer, unsere Arbeit aber noch nicht beendet. Es wartete ein deponierter Postsack, dessen Inhalt wir umladen und auch noch verteilen mussten. Wichtig war, dass die einzelnen, nummerierten Pakete in richtiger Reihenfolge verstaut wurden. Nur so können die Pakete selber den weiteren Weg der Tour vorgeben.
 
Nach nur einmaliger Begleitung und doch in kurzer Zeit hatte ich die Aufgabe dann verinnerlicht, und meine Arme reagierten ebenso roboterhaft wie jene von Frau K., wenn ich eine Anschrift las. Und jedesmal, wenn ich den leeren Wagen in die Sihlpost zurückbrachte, freute ich mich, dass jetzt wieder viele wichtige Papiere an ihren Zielen angekommen waren.
 
Gastarbeiter warteten immer schon vor ihrer Haustür auf die Post aus der Heimat. Manchmal musste ich ihnen etwas Amtliches vorlesen, was sie nicht verstanden hatten und nach Möglichkeit erklären. Da leuchtete dann ein sonst verschlossenes Gesicht, wenn eine erwartete Mitteilung endlich angekommen war.
 
Und ich wurde beschenkt. Am Morgen brachte ich jeweils nicht nur die Post in die Metzgerei Gut. Ich gab auch meine Bestellung ab. Im Stoffsack befanden sich der Zettel mit meinen Wünschen und das Portemonnaie mit dem nötigen Geld. Wenn ich ihn auf dem Rückweg abholte, waren immer auch Zugaben darin. Oft hat die liebenswürdige Frau Gut eine Flasche warme Fleischbrühe hinein verpackt, in der ich dann zu Hause die zarten Leberknödel aufwärmen konnte. Die ganze Familie träumt noch von dieser echten Bouillon. Diese feine Metzgerei gibt es leider schon lange nicht mehr. Heute müssen wir in der Stadt an vielen Orten Fleisch in der Plastikfolie kaufen. Das widerstrebt mir immer noch. 
 
Manchmal spüre ich ein bisschen Heimweh nach diesen Zeiten. Auch darum, weil mein Wesen gut zu den Postboten passt. Es ist eine Gemeinschaft eigenständiger Menschen, die sich gerne bewegen, selbständig arbeiten und nicht darüber jammern, wenn es regnet oder schneit. Unvergesslich ist mir der Moment, wenn um 8 Uhr die Glocke im Sortierraum klingelte. Das war das Zeichen, dass wir ausschwärmen konnten. Auch wer seine Tour schon vorher bereitgestellt hatte, musste warten, bis die letzten, manchmal verspäteten Zeitungen eingetroffen waren. Dann stürmten alle zum Lift, zwängten sich mit ihren Ladungen hinein, und sobald sich die Tür unten öffnete, spurteten sie davon. Viel schneller als ich es konnte.
 
Unterwegs durften wir die Einladung eines Wirts zu einem Kaffee annehmen. So informierte mich der für meine Tour zuständige Chef. Die Post schätze ein gutes Einvernehmen mit ihren Kunden. Die Gefahr, zu lange sitzen zu bleiben, kam nicht auf. Meine Tour z. B. wurde mit 3 Stunden à Fr. 16.– entlöhnt. Vertrödelte ich die Zeit aus irgendwelchem Grund, blieb der Lohn doch der gleiche.
 
Anfänglich fühlte ich etwas Stress, hatte Angst, die heiligen Hallen der Sihlpost wären schon verschlossen, wenn ich endlich zurückkäme. Das passierte aber nie.
 
Als ich den Dienst kündigte, erinnerte mich der Chef an die PTT-Brosche, die uns als Aushilfspöstler auszeichnete. Ob ich das Depot von Fr. 5.–  zurückerhalten oder die Brosche behalten wolle. Er lachte, als ich mich für die Brosche entschied. Das habe er erwartet.
Jetzt habe ich bei den Akten meiner Aufzeichnungen auch noch den Ausweis für Postaushelfer gefunden. Primo beobachtete mich, hatte volles Verständnis für meine Rührung.
 
Da heisst es: „Der Inhaber dieses Ausweises ist berechtigt, sich zu postdienstlichen Verrichtungen in den Diensträumen des nachverzeichneten Amtes aufzuhalten.“ 
Mit Stempel der Briefausgabe und Telefon-Nummer.
 
In Zürich-Mülligen ist im November 2007 ein neues, gigantisches Sortierzentrum entstanden. Da habe ich keinen Zutritt mehr. Im ersten Quartal 2008 beginnt dann der Abbau der Sihlpost in Zürich. Wie immer sich jetzt die Verteilung abspielt, ihr letzter Dienstast ist nicht maschinell besetzt. Es sind Menschen, die uns die Post bringen. Weil niemand von uns perfekt ist, können sich Verwechslungen oder Verspätungen einstellen. Gerade auch in der strengen Weihnachtszeit. Für dieses Verständnis werbe ich, obwohl ich Perfektion grundsätzlich liebe und sie voraussetze.