Samstag, 24. November 2007

Der Christbaum auf dem Baukran, das Windrad im Garten

Heute steht das Windrad beinahe still. In den vergangenen Wochen aber arbeitete es schwer. Die Bise trieb es an und gönnte ihm keine Pausen. Unsere Augen waren meist zu langsam, um die einzelnen Fächer noch zu erkennen. Einmal landete es im Gras und musste zurechtgebogen werden. Dann folgte es wieder seiner Bestimmung. Primo hatte es aus einer gebrauchten Alu-Getränkedose zugeschnitten und es an der Teppichstange befestigt. Das leichte Material erwies sich als richtig. Es reagiert auf feinste Anstösse und folgt den verschiedensten Windrichtungen.
 
Und heute darf es einmal ruhen. Dafür ist jetzt mein eigenes, inneres Rad im Schwung. Wer es antreibt, weiss ich nicht genau. Ich stelle mir vor, dass es eine geistige Energie ist.
 
Vom Wind wissen wir, dass er ein Beweger ist, eine Energie, die wir nicht sehen können. Was wir wahrnehmen, sind seine Reaktionen: Die Blätter zittern, wenn er in die Bäume fährt. Die Wasseroberfläche kräuselt sich, wenn er gegen den Strom bläst. Als Velofahrende kenne ich ihn als Rücken- oder Gegenwind. Und ich fürchte ihn, wenn er zum masslosen Sturm wird, weil er auch als Zerstörer bekannt ist.
 
In Museen können wir Weltkarten aus jener Epoche finden, als die Erde noch als eine Scheibe aufgefasst wurde. Auf solchen Darstellungen sind an den 4 Ecken des Bildes jeweils die Winde als blasende, menschliche Köpfe dargestellt. Aber niemand hat den Wind je als Person gesehen. Das ist Bildsprache, Symbolsprache. Ich bin immer noch am Suchen, wie ich meine persönliche Lebensenergie als Bild verstehen könnte. Das Windrad allein genügt nicht. Es braucht noch ein Symbol für die Energie selbst.
 
So viel habe ich bis jetzt aber begriffen: Sie braucht Anstösse, um zur Bestform aufzulaufen. Gestern Abend bekam ich einen solchen „Schupf“ (Anstoss), als ich auf dem Baustellenkran in meinem Umfeld einen erleuchteten Christbaum entdeckte. Hoppla! Die Weihnachtszeit bricht an.
Und heute lief dann in dieser Hinsicht vieles wie am Schnürchen: Letizia hatte sofort Zeit, die typografische Textgestaltung unserer Weihnachts- und Neujahrskarte zu besprechen und mir einen Entwurf zu liefern. Dann holte ich in der Papeterie die passenden Briefumschläge und fand in den Auslagen gleich noch die Agenden für 2008. Danach zog mein Velo eine grössere Kurve in die Innenstadt, damit ich die festlichen Briefmarken einkaufen konnte. Die „Philateliestelle“ innerhalb der Fraumünsterpost in Zürich ist dafür die richtige Adresse.
 
Beschwingt bin ich zurückgekommen. Beschwingt gehe ich an weitere Vorarbeiten für den Versand heran. Ich liebe diese Zeit, in der Kontakte wieder gefestigt werden. Es macht mir Spass, Briefe zu schreiben und Glückwünsche zu versenden. Beschwingt bin ich jetzt auch, weil ich endlich eine Form gefunden habe, in der ich die Beobachtungen rund ums Windrad in einen Beitrag fürs Blogatelier einbinden kann. Und jetzt weiss ich auch gleich noch, wie die mich gerade bewegende Energie heisst: Begeisterung.
 
Aber: Begeisterung kann auch gefährlich werden. Darüber gibt jeweils der Blutdruckmesser Auskunft.

Freitag, 9. November 2007

Thema Heizen: Eine Störung weckt Erlebnisse von früher

Letzte Woche erschreckte mich ein mäandrierendes Bächlein im Keller. Es trat wie eine Quelle aus dem Geviert, in dem die Heizung untergebracht ist. Nachdem nun die verkalkten Schutzanoden im Wassertank durch neue ersetzt worden sind, kann ich sie wieder vergessen. Sie ist ja autonom und wird unser Zuhause weiterhin zur rechten Zeit und im rechten Ausmass wärmen.
Ganz anders früher. Da wurde unser Kachelofen mit Holz und Kohle gefüttert, und das war hauptsächlich meine Aufgabe. Ganz im traditionellen Mutter-Verständnis von damals. War ich ohne grosse Unterbrüche zu Hause, war es hier gemütlich und warm. Wir liebten unseren Ofen, der von der Küche her geheizt wurde. Im Spätherbst, wenn die Saison begann, jubelten die Kinder, wenn sie Feuer entfachen und dem Knistern der Tannenholzspäne zuhören konnten. Und alle liebten wir die auf dem Ofen lagernden, mit Kirschensteinen gefüllten Stoffsäcke. Froren wir beim Heimkommen aus der Stadt, legten wir sie auf den Boden, standen darauf und lehnten an den Ofen. Und sogleich kehrte unsere eigene Wärme zurück. Wir nahmen sie auch ins Bett mit. Sie waren immer richtig warm, ganz anders als die Bettflaschen, die mit warmem oder heissem Wasser gefüllt werden müssen.
 
Im Ofen konnte auch gekocht werden. Die beiden Fächer wurden rege benützt. Von der Küche her, hinter einer Klappe, brodelten Eintöpfe und briet Rösti. Im Stubenfach liessen wir Wasser verdunsten. Da konnten die Kinder auch beobachten, wie sich am emaillierten Gefäss Kalk ablagerte und Gesteinswände entstanden. Das aus Messing hergestellte Ofentürli in der Stube wurde jeweils von Felicitas hingebungsvoll poliert und sah dann wie ein Schmuckstück aus.
 
Es faszinierte uns auch das Simmern im Ofen, das vom verdunstenden Wasser ausging. Obwohl sehr leise, tönte es doch so, wie wenn Geschichten erzählt würden. Lauschten wir ihnen, fühlten wir, dass hier unser unverwechselbares Zuhause sei. Das ist denn auch der grösste Verlust, den uns die moderne Gasheizung, mit der wir übrigens sehr zufrieden sind, abverlangte. Das Simmern ist verstummt.
 
Auch in unserer ersten gemeinsamen Wohnung in Zürich-Höngg mussten wir selber heizen. Primo sagte oft, Holz gäbe doppelt warm. Erstmals, wenn wir es in den dritten Stock hinauftrügen und dann, wenn es verbrannt werde.
 
Wir heirateten in jenem Oktober, dem dann der sehr kalte Winter mit der „Seegfrörni“ folgte. (1963 gefror der Zürichsee zum letzten Mal.) Unsere schlecht isolierte Wohnung war kaum zu erwärmen. In der Dachlukarne, die mir als Kühlschrank diente, gefror die Milch zu einem Block. Meinem Schwager, der in einem hinteren, nicht beheizbaren Zimmer wohnte, schob ich jeweils am Morgen nach dem Betten eine heisse Bettflasche unter die Decke, um ihm eine minimale Wärme bereit zu halten. Es bildete sich dann Kondenswasser, und die Matratze schimmelte. So waren die Verhältnisse früher.
 
Und zum Heizen gehörte die Kaminreinigung mit dem unheimlichen Russ, der sich in unserer Stube überall absetzte. Mit Leintüchern deckte ich Schränke und die offene Bücherwand jeweils vorsorglich ab, wenn ich den Kaminfeger erwartete. Wir lebten wirklich elementar.
 
Wenn die Holzlieferung angesagt war, hatte ich immer ein schlechtes Gefühl, dass sich die wackeren Männer für uns abmühen müssen, obwohl es ihr Beruf war. Ein Trinkgeld allein konnte doch ihre Rücken nicht stärken. Einmal ergab es sich wieder, dass eine extreme Kälte wochenlang anhielt und das Holz und die Kohle überall knapp wurden. Es war vor Weihnachten und alle Kundschaft drängte auf Lieferung. Wir wurden als letzte noch bedient. 4 Männer trugen am 23. Dezember die schweren Lasten in unseren Keller. Es war 8 Uhr abends. Man sah ihnen an, wie erschöpft sie waren. Da luden wir sie ganz unkompliziert zu Kaffee, Fleisch, Käse und Brot an unseren Tisch ein. Sie langten gerne zu, konnten aufatmen, denn sie hatten ihr Soll mehr als erfüllt. Wir kamen ins Gespräch. Ich erinnere mich gut, weil dieses Zusammensein für mich zu den schönsten Weihnachtserlebnissen gehört.

Freitag, 2. November 2007

Trost für alle jene, die an übertriebenem Ehrgeiz kranken

Kurz vor ihrem Tod habe ich Doris nochmals getroffen. Wir kennen uns aus der Schulzeit hier in Zürich im Kreis 5. Da sagte sie zu mir: „In mir ist einfach alles zu gross angelegt, mein Mitgefühl, meine Hilfsbereitschaft, mein Gerechtigkeitssinn, mein Engagement, alles.“
 
Sie war eine leidenschaftliche Natur. Gerne wäre sie Anwältin geworden, doch konnten ihr die Eltern das Studium nicht finanzieren. Aber als sie nach einer Lehre eine Anstellung fand, sparte sie konsequent für die Ausbildung zur Krankenschwester und übte diesen Beruf dann viele Jahre aus. Immer mehr sah sie das Leid an den Rändern der Gesellschaft und engagierte sich für Drogenabhängige und Sans-Papiers und begleitete manche Menschen beim Sterben. Sie brachte vielen Hilfe, aber ebenso viele stöhnten, wenn sie ihre kompromisslosen Ideen 1:1 umsetzen wollte. Sie beutete sich aus und verlangte das unbewusst auch von uns andern.
 
Nun ist sie gestorben. Am Grab wurden ihre aus Krankheit und Leid erwachsenen Einsichten vorgelesen. Ob es ihre eigenen Worte oder jene einer Dichterin oder eines Dichters sind, weiss ich nicht.
 
Ich muss
nicht alles richtig machen,
nicht alles beweisen
und nicht alles begründen können.
 
Ich muss
nicht alles verstehen,
nicht alles logisch darlegen
und nicht alles erklären können.
 
Ich muss
nicht über allem stehen,
nicht immer weiter wissen
und nicht immer vernünftig sein.
 
Ich darf
meine Gefühle zulassen,
überschwänglich und traurig sein,
lachen und weinen.
 
Welch ein Glück!
 
Die Trauerfamilie hat diesen Text auch noch als Danksagung verschickt. Da liegt er nun seit Tagen auf meinem Schreibtisch und bewegt mich. Seine Botschaft ist stark und kann gewiss einsichtig machen und erlösend wirken, wenn wir uns zu viel zugemutet haben.
 
Stimmig ist er auch, wenn das Wort „muss“ durch „kann“ ersetzt wird.