Sonntagabend. Ich spaziere mit Primo am Limmatufer. Es hat
kurze Zeit geregnet. Die Luft ist rein. Die Spazierenden sind
grösstenteils heimgegangen und somit ist hier eine gewisse Ruhe
eingekehrt. Hin und wieder klingeln nervöse Velofahrer, damit wir ihnen
Platz machen. Sie tun es unverfroren, denn hier wäre allgemeines
Fahrverbot.
Dann überholt uns eine junge Frau im Laufschritt. Sie joggt und
stösst gleichzeitig ihren Säugling im Kinderwagen vor sich her. Sie
irritiert mich, scheint sich an diesem Auslauf gar nicht zu freuen.
Keuchend spult sie irgendein Programm ab, das gar nicht ihrem Naturell
entspricht.
Kurz bevor wir unseren Rundgang beenden, kreuzt sich der Weg dieser
jungen Mutter mit dem unsrigen nochmals. Auch sie ist im Kreis
herumgegangen. Gegenläufig. Noch immer im Trab, noch immer keuchend.
Wie erlebt ein Säugling eine solche Tour? Als Tortur? Er wird
geschüttelt, weil der Weg einen Kiesbelag trägt. Er wird den
ungewöhnlich kurzen Atem der Mutter wahrnehmen. Tut ihm das gut? Passt
er sich vielleicht an diesen an?
Als ich am Sonntag zuvor im Kino einen Bildhauer in einem
Dokumentarfilm über sein Werk sprechen hörte, muss etwas ähnlich
abgelaufen sein. Dieser Künstler, offensichtlich ein starker Raucher,
atmete schwer. Er redete und rauchte, dass mir bang wurde. Ich musste
ein Bonbon zu Hilfe nehmen, um zum eigenen ruhigen Atmen zurückzufinden.
Daran denke ich jetzt. Ging es diesem kleinen Kind auch so, dass sein
Atem von aussen beeinflusst und in eine Hektik mitgenommen wurde?
Wir sind im Zeitalter der grossen Beschleunigung angelangt. Alles
geht schnell und muss noch schneller gehen. Gleichgültig, ob es uns
zuträglich ist. Die Züge fahren jetzt mit höheren Geschwindigkeiten und
erreichen Ziele rascher. Die Fahrgäste werden durch Stollen und Tunnels
geführt, gehen aber schönster Landschaftsbilder verlustig. Sie können
dösen oder schlafen wie der Säugling. Sie sehen wenig und jene Orte, die
kurz auftauchen, zeigen sich nur als Aufwasch. Seitdem ich die
Beschriftungen der Bahnstationen wegen der schnelleren Durchfahrt nicht
mehr lesen kann, macht mir das Reisen weniger Freude. Zudem wird mir in
den Neigezügen schlecht.
Ich habe etwas verloren. Der Säugling aber baut sein Leben erst
auf. Möglich ist, dass er bestens gerüstet ist, weil ihn seine Mutter
von klein auf mit übersetzter Geschwindigkeit vertraut gemacht hat. Oder
war das, was ich beobachtet habe, vielleicht nur eine
Ausnahmesituation, und rannte die Mutter nur deshalb, weil sie einen
Frust loswerden wollte?
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