Donnerstag, 31. Mai 2007

Paul Treu: Der Fliegerstein und die Luftkrieg-Geschichte

Von Ursula hatte ich vom Fliegerstein gehört. Sie wohnt in Zürich-Affoltern und kommt auf ihren Spaziergängen oft an ihm vorbei. Auf meinen Wunsch begleitete sie mich zu ihm hin. Ich hatte den Einstieg in den Wald schon einmal alleine gesucht, aber nicht gefunden.

Die Hinweistafel, die gleichzeitig den Eingang in den Wald markiert, steht im Bereich, wo Einfangstrasse und Fronwaldstrasse aufeinander treffen. Wir kamen auf der Einfangstrasse daher, der Rosengärtnerei entlang. An deren Ende bogen wir Richtung Zürich-Oerlikon ab. Nach nur 10 Schritten standen wir schon vor dem Wegweiser „Fliegerstein“ und konnten in den Wald eintreten.

Nicht weit von hier erspähten wir dann rechter Hand den Gedenkstein, lasen seine Inschrift.

In Verteidigung der Schweiz. Neutralität stürzte am 5.9.1944
Flieger Oblt PAUL TREU
im Luftkampf tödlich verwundet ab.


Neben diesem Gedenkstein wird in einer Plexiglashülle die dazugehörige Geschichte aufbewahrt. Ebenso Abbildungen aller Flugzeuge, die beteiligt waren.

Es wird da einerseits die ganze Tragödie geschildert und andererseits erzählt ein Augenzeuge, wie er den Absturz beobachtet hat. Es heisst da:

In Gedenken an Oberleutnant Paul Treu, der am 5. September 1944 im Dienste der Eidgenossenschaft in seiner J-378 abgeschossen wurde und den Tod fand.

Am 5. September 1944 um 11 Uhr gibt die Einsatzzentrale Zürich Startalarm für die in Dübendorf stationierten Jagdstaffeln.


Nach einem Luftangriff auf Stuttgart haben soeben über 20 amerikanische Bomberflugzeuge der 8. USAAF die Schweizer Nordgrenze überflogen.


Eine Doppel-Patrouille von je zwei schweizerischen Me-109 E-3 wird auf eine in Richtung Zürich fliegende B-17 angesetzt. Der Amerikaner quittiert die Aufforderung zur Landung mit einer Leuchtkugel und wird nach Dübendorf geleitet.


Nun taucht ein B-24 Bomber auf. Zwei eidgenössische Me-109 kurven in seine Richtung, um auch ihn zur Landung aufzufordern. Plötzlich stürzen sich die Begleitjäger der B-24 mit ihren Mustangs auf die beiden eidgenössischen Maschinen und schiessen sie augenblicklich ab.


Oberleutnant P.Treu (J-378) findet dabei den Tod. Seinem Kameraden, Oberleutnant R. Heiniger (J-324), gelingt mit seinem stark beschädigten Flugzeug noch die Notlandung.


Die US-Piloten haben offensichtlich die eidgenössische Me-109 als deutsche Jäger angesehen.


Und so schilderte ein Augenzeuge den Vorfall:
Ich beobachtete den Luftkampf und sah, wie ein Jagdflugzeug, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, brennend in Richtung Affoltern abstürzte. Sofort fuhr ich mit dem Velo in diese Richtung und traf an der Absturzstelle am Waldrand neben der Fronwaldstrasse ein. Zwischen den Stämmen der Bäume brannte ein fast unscheinbarer Haufen zerbrochener Flugzeugteile. Vermutlich hatte sich der Vorderteil der Maschine mit dem schweren Motor tief in den Boden eingerammt. Fetzen von rot und weiss bemalter Bespannung zeigten deutlich, dass es sich um ein Schweizer Flugzeug handelt. Ein dabei liegendes Stück Blech wies eine ganze Reihe von Einschlägen auf, die wahrscheinlich von MG-Munition herrührte. Innert kürzester Zeit erschienen die Feuerwehr, die Kantonspolizei, Leute vom Luftschutz und ein Sanitätsautomobil.

Ursula sagte, ihre Enkelkinder zöge es auf jedem Spaziergang zu dieser Gedenkstätte hin, wo sie deren Geschichte immer wieder erzählen müsse.

Wer weiss noch davon? Es müssen noch Menschen da sein, die Paul Treu kannten und dafür sorgen, dass sein Andenken nicht verblasst. Obwohl mit einfachen Mitteln gestaltet, berührte diese Gedenkstätte auch mich.

Mittwoch, 23. Mai 2007

Reisen mit Kindern: Wache und verblasste Erinnerungen

„Alles für die Katz!“ sagt Primo jedesmal, wenn wir die Töchter auf weit zurückliegende gemeinsame Ferien oder Reisen ansprechen und sie sich nicht mehr daran erinnern können.

Er reagiert gern humoristisch und fängt so ein vermeintliches Fiasko auf. Klar, er weiss selbst, dass nicht alle Erfahrungen im Bewusstsein bleiben. Manche siedeln sich auf der andern Hirnhälfte an und bereichern das Unbewusste, aus dem sich dann unsere schöpferischen Kräfte entwickeln.

Was uns immer wichtig war: dass Ferien auf spielerische Weise etwas fürs Leben vermitteln. Dass die Kinder von früh auf lernen, sich auch in veränderten Verhältnissen wohl zu fühlen. Dann die praktischen Aspekte, z. B. das Packen der Dinge, auf die man nicht verzichten kann. Den Rucksack selber tragen. Eine Reiseroute überblicken, den Fahrplan studieren lernen. Und sich dann in einer Ferienwohnung einrichten.

An solchen Orten fängt eine Familie bei Null an. Es ist vieles offen. Räume können erobert werden. Man tastet sich gemeinsam vor. Eine vorhandene Leere muss mit eigenem Leben und mit Fantasie gefüllt werden. Damals konnte nicht aufs Fernsehen ausgewichen werden, wenn das Regenwetter Ausflüge unmöglich machte. Für alle Unterhaltung waren die Feriengäste selber zuständig. Diese Situation hat viel Kreativität freigesetzt. Und wir hatten Zeit, auf die Kinder einzugehen. Das eigentliche Ziel der Ferien ist ja, Zeit füreinander zu haben.

Meine Mutter, die Ferien erst kennen lernte, als ich schon verheiratet war, staunte immer wieder, wie junge Familien verreisten und fragte sich, ob das kleinen Kindern und vor allem Säuglingen gut tue. Das frage ich mich grundsätzlich auch, andererseits sind Reiseerfahrungen für Schulkinder sicher sehr wichtig. Reisen muss auch gelernt sein.

Felicitas, unsere Erstgeborene, wollte von klein auf so viel wie möglich reisen. Sobald sie begriff, dass es eine Landesgrenze gibt, wollte sie diese immer wieder überqueren. Wie oft war sie enttäuscht, wenn der Zöllner nicht verlangte, dass sie den Koffer ihrer Puppe öffne und den Inhalt zeige. Sie wollte mit allen Fasern erleben, dass sie in ein anderes Land reise.

Und Letizia fürchtete sich vor dem Zoll. Menschen in Uniform ängstigen sie enorm.

Einmal, an einem Sonntag, als wir die Kinder fragten, was wir unternehmen könnten, wollte Felicitas unbedingt nach Deutschland. Gut. Das war möglich. Reise ab Zürich mit der Bahn nach Stein-Säckingen. Zu Fuss über die prächtige, 220 Meter lange Holzbrücke über den Rhein. Rundgang in der Stadt Säckingen.

Kurz vor der Zollstation merkten wir aber, dass wir wegen unserer überstürzten Abreise keine Identitätskarten mitgenommen hatten. Jetzt wurde es spannend. Wir meldeten uns beim Schweizer Zoll auf der linken Rheinseite. Hier wurde uns geraten, beim deutschen Zoll, also am anderen Ufer, zu fragen, ob Deutschland uns für einen Spaziergang in Säckingen eintreten lasse.

Auf dem Weg dorthin trafen wir in der Mitte auf den Brückenheiligen St. Nepomuk. Wir grüssten und baten ihn, er möge dort drüben ein gutes Wort für uns einlegen.

Auf der anderen Rheinseite angekommen, schickte uns der deutsche Zöllner sofort in die Schweiz zurück und liess ausrichten, wenn man uns dort einen Ausflugsschein ausstelle, sei die Sache in Ordnung. Obwohl wir kein einziges Papier bei uns hatten, das uns als Familie Lorenzetti hätte ausweisen können, schrieb uns der Schweizer Zöllner 2 Ausflugsscheine. Einen für den Vater und die beiden Kinder, einen zweiten für die Mutter.

Nun freuten wir uns riesig, marschierten wieder los. Die überglücklichen Kinder schwenkten die Ausweispapiere und zwinkerten St. Nepomuk zu. Drüben in Deutschland war dann das Zollbüro leer und niemand kontrollierte uns bei der Einreise. Freude und Enttäuschung in einem. Wir hätten unsere Papiere so gerne gezeigt.

Dieses Erlebnis war stark und ist darum in den Erinnerungen gut verankert. Wir können es jederzeit abrufen. Die Ausflugsscheine besitzen wir übrigens noch. Ausgestellt wurden sie am 23. Mai 1974. Einen für den Vater mit den beiden Kindern, einen für die Mutter zu je SFR. 3.–. Sie tragen die Nummern 134 916 und 134 917.

Mittwoch, 16. Mai 2007

Hardhof Zürich: Grundwasserfeld und Naherholungsgebiet

Meine kurzen Ausläufe, weg vom Schreibtisch, führen mich oft in den Hardhof. Dieser befindet sich zwischen der Tramstation Sportplatz Hardturm und der Europabrücke.

In 4–6 Metern Tiefe fliesst da ein 20–30 Meter breiter Grundwasserstrom durch das Limmattal. Zusammen mit dem Regenwasser können ihm 15 % des Zürcher Trinkwassers entnommen werden. Dieses Grundwasser fliesst mit einer Geschwindigkeit von 1–10 Millimetern pro Sekunde, also langsamer als die Flüsse Limmat und Sihl, die es speisen.

Das Areal darüber ist begrünt, mit Bäumen, Sträuchern und geschwungenen Spazierwegen gestaltet und mit verschiedenen Sportanlagen ausgerüstet. Mein Lieblingsweg ist jener, der nach dem Vorbild der Finnenbahnen angelegt ist. Eine Art Orientteppich. Die Wirbelsäule geniesst hier den weichen Auftritt und die sanften Bewegungen, die sich daraus ergeben. Am Rand dieser Oase sind Bäume gegen die Autobahn hin so ideal gesetzt, dass sie viel vom Lärm schlucken.

Die gesamte Anlage ist 25 Hektaren gross und wurde in den 1970er-Jahren geschaffen. Da waren unsere Töchter noch Kinder. Ich sagte ihnen voraus, dass hier ein kleiner Wald heranwachse, in dem sie später einmal mit ihren Kindern spazieren würden. Und schon sind wir in dieser Epoche angelangt. Bereits im Sommer werden wir uns hier einfinden und mit den im Frühjahr neu installierten Wasserspielen vergnügen. Hier kann die 1-jährige Enkelin dann auch laufen lernen.

Das Areal darf in der Mitte auf einem gut signalisierten Veloweg durchfahren werden. Für das gesamte Spazierwegnetz gilt aber ein striktes Fahrverbot. Diesem verdanken wir die geordnete und beschauliche Atmosphäre.

Das Hardhofgebiet ist weit. Grundwasserstrom und Limmat halten uns diesen Raum offen. An Sommerabenden schauen wir uns hier die Sonnenuntergänge an. Der Hardhof ist wirklich ein Erholungsgebiet, eine Oase. Dieser Ort ist geschützt.

Die Wasserversorgung formuliert es so: „Die hohe Qualität des Grundwassers kann garantiert werden, weil das Grundwasserfeld und seine Umgebung durch eine Schutzzone mit strengen Bestimmungen vor Gefahren geschützt wird.“ Und auf einer der Informationstafeln ist zu lesen: „Trotz aller Aktivität, die hier stattfinden kann, gilt: Der Vorrang gehört der Grundwasserförderung. Nur was diese nicht gefährdet, ist hier erlaubt.“

In früheren Sommernächten kamen wir mit den Kindern auch hierher, damit sie das Himmelsgewölbe wahrnehmen und die Sterne beobachten konnten. Auf Wolldecken auf einer der Wiesen liegend, warteten wir auf Sternschnuppen. Als diese dann aufleuchteten, waren wir so überrascht, dass wir vergassen, rechtzeitig unsere Wünsche auszusprechen.

In der Stadt wird es nie mehr richtig dunkel. Auch damals schon hellte eine zwar mindere Beleuchtung den Nachthimmel über Zürich auf. Trotzdem war es möglich, mehr vom Glanz der Sterne zu erfassen als es heute möglich ist.

Mittwoch, 9. Mai 2007

Als der Regen auf die Dächer trommelte, wichen die Sorgen

Auch in Zürich hat es nun geregnet. Am ersten Tag nach der Trockenperiode als feiner Sprühregen, später dann stärker. So, wie wir es gewohnt sind. Wir schmeckten den Regen. Die Erde gab sofort eine Duft-Resonanz. Den feuchten Erdgeruch, frisch und moderig zugleich. Und von den Wetterprognosen wussten wir, dass es nun in der ganzen Schweiz regnete. Erleichterung. Aufatmen. Am liebsten hätte ich in diesem Augenblick mit andern zusammen gesungen.

Da machte es gar nichts mehr aus, dass jetzt die schönsten Blüten nass wurden und auch die Rosen am Torbogen viele ihrer Blätter verloren haben. Wir waren einfach zufrieden, dass der Erde wieder Wasser geschenkt worden ist. Und dass wir wieder freier atmen konnten.

Tage und Wochen zuvor konnten wir ja den Frühling feiern, die Bäume im Blust bewundern, ihre Aromen einatmen und verstehen, warum ein klassisches Brautkleid weiss und mit Spitzen versehen sein muss. Wie der Frühling. Unberührt, rein und schön.

Es wurde uns bewusst, wie machtlos wir wären, wenn das Wasser nicht mehr über unsere Dächer und Felder rieselte. Da könnten wir gar nichts ausrichten. Wir nahmen wieder einmal wahr, dass wir nur Teil der Natur und nicht ihre Gebieter sind.

Erstaunlich: Ich hörte bis jetzt niemanden, der sich beklagt hätte, dass die Temperaturen gesunken und das Klima feucht und der Himmel grau geworden sind. Hoffentlich hält die Zufriedenheit lange an.