Dienstag, 31. Oktober 2006

Wenn die Mutteraufgabe als Beruf anerkannt wäre ...

Auch ich verfolge die Diskussionen um die Mütter, um das „Eva-Prinzip“ (Buchtitel), wie es Eva Herman mit ihrem Buch in die Welt gesetzt hat. Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Unsicherheit jetzt wieder gesät wird.
 
Und ich erinnere mich an Beatrix, an eine Familienmutter zwischen 45 und 50, die mir im Frühjahr einmal erzählte, wie erschöpft und unglücklich sie sei. Neben ihren 3 Kindern im Primarschulalter hatte sie noch eine Freiwilligenarbeit in einer sozialen Institution übernommen und ihre Kräfte überschätzt. Eigentlich ist sie eine Bilderbuchmutter, die es schätzt, der ganzen Familie ein wohliges Zuhause zu schaffen. Das würde ihr grundsätzlich genügen, sagte sie mir. Aber sie fühle sich minderwertig, wenn sie in Gesellschaft keine Arbeit ausser Haus vorweisen könne. Sie weinte, als sie mir ihre Probleme schilderte.
 
Gestern habe ich sie wieder getroffen. Ich fragte nach, ob es immer noch weh tue, wenn die dumme Frage „Was machst denn Duuu?“ gestellt werde. Sie habe jetzt einen Ausweg gefunden, sagte sie verschmitzt. Sie antworte nun meistens : „Ich bin pensioniert und muss nicht mehr arbeiten.“ Da sei das Gegenüber dann irritiert und sie von weiteren Fragen erlöst. Da stimmt doch etwas in unserer Gesellschaft nicht, wenn sich solche Ausweichmanöver aufdrängen.
 
Am 27.10.2006 gesellte sich noch eine weitere Stimme, diesmal aus dem „Tages-Anzeiger“, zu den Aussagen von Beatrix. Im Beitrag „Die kurze Kinderphase geniessen“ las ich von einer jungen Mutter, wie ich solche Erfahrungen aus meinem eigenen Leben auch kenne: „Man wird nur über den Beruf wahrgenommen. Wenn ich an irgendeinem Anlass jemandem erzähle, ich sei Mutter und nicht arbeitsfähig, dann stoppt das Gespräch. Niemand fragt mich, welches Buch ich lese oder ob ich Hobbys habe.“
 
Diese Haltung, oft unter den Frauen selbst, ist in meinen Augen das grössere Problem als die Entscheidung eines Paares, wie Broterwerb und Familien-Management aufgeteilt werden. Es schafft seelischen Druck und schwächt das Selbstwertgefühl.
 
Es sollte sich in unserer Gesellschaft ein offeneres Denken entwickeln, in dem viele Variationen von Lebens- und Familienentwürfen Platz haben. Wir alle sind gefordert. Es gibt nicht nur eine gültige Entscheidung. Je mehr wir uns selber sein können, sind wir echt und stark. Dann fällt es auch leichter, die Verantwortung für unsere Entscheidungen selbstbewusst zu tragen.

Sonntag, 22. Oktober 2006

Folgen des Lichts: Schatten in Zürich und Ombres in Paris

Herbstnachmittag an der Zürcher Bahnhofstrasse. Die Sonne hat uns auch in der Stadt erreicht. Die Luft ist dunstig. Die tief stehende Sonne blendet. Die Menschen, die mir entgegenkommen, kann ich gar nicht richtig wahrnehmen. Sie sind verschwommen.

Aber ich werde aufmerksam auf die Schatten. Das Trottoir ist wild bevölkert von ihnen. Sie verdichten sich, gehen übereinander und wieder auseinander. Ich erkenne, kurze Augenblicke lang, Silhouetten von Köpfen, Körpern, Taschen, auch Veloräder machen an diesem Meeting mit.

Als Kinder sprangen wir unseren eigenen Schatten nach und konnten sie nie erreichen. Aber in jenen der Freundin hinein hüpfen, das gelang. Der eigene Schatten ist untrennbar an uns gebunden. Er ist eine Abbildung von uns, wenn auch abstrahiert oder verzerrt.
Die Ausstellung „Schatten für Kinder (be)greifbar“, hat mich für dieses Thema eingenommen und begleitet mich seither, wie es eben nur der Schatten tun kann. Er ist immer da, wo auch das Licht anwesend ist. Die Aufmerksamkeit den „ombres“ (Schatten) gegenüber, bereichert seither alle Wahrnehmung. Ich besuchte die Installation im Pariser Park de la Villette mit der 4-jährigen Mena. Zu Hause inszenierten wir an den folgenden Abenden dann im dunklen Korridor „ombres“ und kleine Schattenspiele mit Hilfe einer Taschenlampe.

„Ombres“ ist in meiner Familie nun ein geflügeltes Wort, hat eine ähnliche Wirkung wie das überrascht gerufene „Obacht!“. Unsere Beobachtung ist reicher, seitdem wir den Schattenwurf bewusster wahrnehmen und einander zeigen.

Wenn ein Phänomen für die Kinder fassbar dargestellt ist, finden auch Erwachsene leichten Zugang. Das habe ich erlebt und viele, vor allem faszinierte Väter, gesehen. Mena war besonders angetan von der weissen Wand, vor die man sich stellen und bewegen konnte. Sekunden danach zeigte sich darauf die eigene Silhouette, die alle vorgängigen Bewegungen in einem Gesamtbild vereinigte. Auch das gute alte Schattentheater war ein Anziehungspunkt. Mir ist die Darstellung, wie sich die Schatten auf unebenem Grund anpassen, in besonderer Erinnerung geblieben.

Im Ausstellungsprospekt heisst es zu diesem Thema: „Eine Ausstellung zur Beobachtung und zum Experimentieren mit den Phänomenen des Schattens, dem Schlüssel grosser wissenschaftlicher Entdeckungen und der Inspirationsquelle der Kunst.“

Ich bin gespannt, was ich aus diesem Thema noch alles schöpfen werde.

Hinweis
Die Ausstellung kann noch bis Dezember 2006 besucht werden. Adresse: Cité des sciences et de l’industrie, Parc de la Villette, 30, Avenue Corentin-Cariou, 75019 Paris.

Samstag, 14. Oktober 2006

Zürcher Multikulti-Stadtkreis 4: Die Madonna in der Barke

Velofahrt zum Helvetiaplatz. Der Morgen feucht, frisch. Nebel verhangen. Doch je näher ich dem Escher-Wyss-Platz komme, durchdringt die Sonne die Nebeldecke. Nur ein dünner Schleier bleibt zurück und verzaubert das Licht, das uns erreichen will. In feinste Partikel gebrochen, glitzert es jetzt rund um den Feuerball. Der Morgen beschert mir schon ein Schauspiel. Gratis. Ich frage mich, ob solche Lichtspiele zur Fata Morgana gehören. Und weiter gehts.
 
Der Markt auf dem Helvetiaplatz ist bereits belebt. Ich stelle mein Velo hier ab und gehe zu Fuss weiter. Da begegne ich einem jungen Mann, der aus einem Hof heraus kommt. Seine Kleider sind etwas schmuddelig, sein Gesicht umso heiterer. Vor einem parkierten Auto stoppt er, schaut sich im Fenster an, stellt die Mappe ab, zieht den Kamm aus der Hosentasche, kämmt sich, grüsst mich freundlich und geht beschwingt weiter. Ein Lebenskünstler? Vielleicht.
 
Auf dem Weg in unsere Werkstatt, die sich in diesem Umfeld befindet, entdecke ich an der Müllerstrasse die „Madonna in der Barke“. So nenne ich jetzt die Figur, die an der Hauswand des bei jungen Leuten beliebten Szene-Lokals „Daniel H“ angebracht ist. Die Hälfte einer hölzernen Barke simuliert ein gotisches Fenster. Auf einem Tablar im Bug-Bereich steht die blau und weiss gekleidete Madonna mit ihren offenen, schenkenden Händen. Frisch und unberührt erscheint sie im Kontrast zur Oberfläche des Schiffs. Dieses ist lindengrün gestrichen, aber vom Gebrauch arg zerschunden. An den abgewetzten Kanten schaut die darunter liegende Farbe, ein kräftiges Rot, hervor. Die Hausmauer ist in Rosa gehalten. Es wachsen hier auch kleinere Büsche. Eine Idylle. Es ist auch Licht installiert. Ich muss einmal an einem Abend hier vorbeikommen.
 
Wo hat dieses kleine Schiff seinen Dienst getan? Auf dem Mittelmeer? Einem Fischer gedient, der mit vielen Gefahren umgehen und in der Not auf die Madonna vertrauen gelernt hat. Ist es vielleicht ein Nachfahre, der dieses Gefährt vom Grossvater übernommen und in ein Land entführt hat, das keinen Meeranstoss kennt? Wie dem auch sei: Die Installation hat etwas Unaufdringliches, aber Authentisches an sich, ist nicht kitschig. Ein Wurf. Sie berührt mich und ich vermute, nicht nur mich.
 
Der Stadtkreis 4 ist einfach immer wieder für eine Überraschung gut.

Samstag, 7. Oktober 2006

Nachbars Katze, die ihre Beute am Limmat-Ufer fand

Ich sass am Esstisch, schaute in den Garten, trank den Morgenkaffee. Nachbars Katze sprang diagonal über unsere kleine Wiese und schwang sich wie ein Tiger über das niedere Gartentor. Schwupp. Zwischenlandung auf dem schmalen Weg, der unsere Gärten trennt und nochmals Schwupp über das gegenüberliegende Gartentor, dorthin, wo sie zu Hause ist. Ich hatte ihre Sprünge fasziniert beobachtet und bemerkt, dass sie eine Beute in der Schnauze trug. Eine grosse Beute, die ich aber nicht erkennen konnte. Keine Maus, keine Ratte. Diesen Fang wollte sie sicher ihrer Familie zeigen. Zeitung lesend, vergass ich das Gesehene. Doch Minuten später war sie wieder da, muss also mit gleicher Eleganz wieder ihre Sprünge vollführt haben.
 
Jetzt sehe ich das Beutetier mitten in unserer Wiese: Ein Erpel (männliche Ente). Verletzt ist er, versucht aufzufliegen, streckt seinen Hals, wie nach Atem ringend, in die Höhe. Will er vielleicht seine Verwandten zur Hilfe rufen und kann es nicht mehr? Ein Anblick, der traurig stimmt. Die Katze ist jetzt etwas zur Seite gewichen, hält aber die Ente in Schach. Wie ein Urzeiger wechselt sie ihren Platz. Einmal ist die Stunde voll, dann Viertel nach, dann die halbe Stunde, Viertel vor usw. So wandert der Räuber im Kreis herum. In der Mitte die geschundene Ente, die nicht fliehen kann.
 
Als ich die Nachbarin ansprechen kann, ist sie entsetzt. Sie erkundigt sich sofort bei einer Fachstelle für Wasservögel, was zu tun sei und dirigiert die Katze ins Haus zurück. Nicht mehr verfolgt, watschelt die Ente sehr langsam durch das nun offene Gartentor und erreicht innerhalb einer halben Stunde die Hauptstrasse. Fliegen kann sie nicht mehr. Inzwischen wissen wir, dass ihr Ende gekommen ist, dass Katzenbisse tödlich wirken. Dieser Ente hat vielleicht schon vorher etwas gefehlt, dass sie überhaupt gefangen werden konnte. So tröste ich mich.
 
Solche Kämpfe finden täglich zu Hunderten und unbeobachtet statt. Wir denken nicht daran. Aber wenn sie im eigenen Garten stattfinden, kann diese schonungslose Seite an der Natur nicht ausgeblendet werden.
 
Ich sehe Parallelen zu den Machtkämpfen der Menschen. So ist das Leben. Kampf und Leiden sind inbegriffen.

Dienstag, 3. Oktober 2006

Audiagogin erläuterte Bau und Funktion unseres Gehörs

Das habe ich nicht erwartet, dass ein Referat mit dem Titel „Ganz Ohr“ mein Gehör so stark sensibilisieren könnte, dass ich plötzlich Hintergrundgeräusche und das, was ich wirklich hören will, viel besser auseinander halten und Stille umfassender geniessen kann. Es geschah ohne irgendein Training, allein als Folge eines anschaulichen und spannenden Referats. Frau Gigi Ménard, dipl. Audiagogin (Schwerhörigenlehrerin), sprach im Turmzimmer der Zürcher Predigerkirche über das Hörorgan als das sozialste Sinnesorgan und wie wir Hörstörungen besser verstehen können.
 
Alle Erläuterungen liessen sofort eine grosse Ehrfurcht aufkommen. Ein Staunen über dieses Wunderwerk aus dem Zusammenspiel von Aussen-, Mittel- und Innenohr. Daran beteiligt war ein handliches Rechteck aus durchsichtigem Kunststoff, in dem die 3 Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel) eingegossen waren. Dieses in Händen zu halten, liess Grösse, Perfektion und Vollkommenheit erfassen. Aber noch mehr faszinierte mich die Gehörschnecke vom Ausmass einer kleinen Erbse aus dem Innenohr.
 
Hörstörungen können entstehen, wenn in den Gängen dieser winzig kleinen Schnecke Nervenfasern absterben. Dann findet der eintreffende Ton seine ihm eigene Frequenz nicht mehr. Solche nicht mehr ansprechbare Vokale werden dann anders wahrgenommen. Ein „i“ werde als „u“ und ein „e“ als „o“ gehört. Es nützt also nichts, wenn wir mit Schwerhörigen besonders laut reden und meinen, sie müssten uns doch verstehen. Die Hörbehinderung wird nur noch mehr bewusst.
 
Verständlich wird, dass uns alte Menschen manchmal erstaunt und fragend zuhören, aber nicht zugeben wollen, dass sie uns nicht verstanden haben. Aber da liegen dann die Missverständnisse begründet. Wer einfach ja sagt, um nicht eingestehen zu müssen, dass er oder sie nicht verstanden hat, stimmt vielleicht etwas zu, was gar nicht gewollt ist. Hören und verstehen gehören unabdingbar zusammen. Fehlt das Verstehen, ist eine Person von den andern abgetrennt, also in der Isolation und kann weder über ihr Befinden etwas mitteilen, noch irgendwelche Gedanken austauschen.
 
Ein Hörgerät kann Isolation verhindern. Auch die Referentin bedient sich einer solchen Hilfe, hat sie frühzeitig akzeptiert und wird gerade darum als kompetent und als Vorbild wahrgenommen. Schwerhörigkeit könne übrigens vererbt werden.
 
Als ich dieser Tage im Kanton Nidwalden mit einer Seilbahn wieder ins Tal zurückfuhr und mein linkes Ohr noch mit dem Druckausgleich beschäftigt war, hörte ich eine Weile nicht mehr gut. Diesmal nahm ich den Vorgang ganz bewusst wahr und freute mich, als das Ohr wieder offen und für alle Schwingungen normal zugänglich geworden war. Und ich stellte mir vor, welche Teile an meinem Gehör gerade Schwerarbeit geleistet haben.
 
Und was Frau Ménard noch unterstrich: Das Aussenohr sei grundsätzlich selbstreinigend. Niemand solle mit Wattestäbchen, Zahnstochern, Stricknadeln oder ähnlichen Werkzeugen in ihm herumstochern. Der kleine Finger allein genüge für die Reinigung. Es reiche, wenn wir nach dem Bad oder der Haarwäsche den Kopf zur Seite neigen, das Ohr am Läppchen leicht ziehen und leicht ausschütteln. Zu viel Reinigung ist schädlich, regt nur übertriebene Schmalzproduktion an.
 
Mehr Informationen bei www.pro-audito.ch