Mittwoch, 9. August 2006

Leben wie Gott in Frankreich bzw. Paris – bei dieser Luft!

Schon zweimal habe ich den sympathischen Samstags-Markt für Gemüse, Fische und Fleisch unter den Bäumen des Boulevard des Batignolles in Paris besucht und dort reelle, biologische Produkte kaufen können. Dieser Ort hat Charme und ist ein geeigneter Platz für die Präsentation wertvoller Produkte.

Hier kann ich frei atmen. Ganz anders 5 Minuten davon entfernt, rund um Place Clichy, wo ich immer meine, den ganzen Staub und Schmutz der Stadt Paris auf meiner Brust herumzutragen. Ich bedaure alle, die hier leben müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Luftverschmutzung über Jahre hinweg ohne gesundheitliche Folgen bleibt.

Zum Glück gibt es für Mena den Hort, den wir Sommerhort nennen, die Betreuung der Kinder, die während der Sommerferien weder ans Meer noch in die Berge fahren können. Oft werden sie im Autobus an geeignete Spielplätze oder in Wälder ausserhalb von Paris gefahren, damit sie dort unbeschwert und in frischer Luft mit Gleichaltrigen spielen und sich austoben können.

Ich erinnere mich gut – es mag etwa vor 30 Jahren gewesen sein − als ich an einem Morgen in Chur (Schweiz) auf dem Bahnsteig auf den Bernina-Express-Zug wartete. Da traf der Nachtzug aus Paris ein. Ihm entstiegen viele bleichgesichtige Kinder. Jedes trug ein Namensschild an einem Bändel um den Hals. Es waren Kinder, die zu einem Erholungsurlaub in die Schweizer Bergwelt eingeladen worden waren.

Und jetzt habe ich 2 Enkelkinder, und diese wachsen gerade in Paris auf. Keine Wunschdestination der Grossmutter. Damit muss ich mich abfinden. Auch ich schätze natürlich die pulsierende Weltstadt mit ihrem Völkergemisch, mit all ihren kulturellen Angeboten, „dem Leben wie Gott in Frankreich“, mit der Förderung der Intelligenz und ihrer Strahlkraft als Weltstadt. Leben heisst aber atmen. Es erkranken oder ersticken einmal nicht nur Menschen an verschmutzer Luft. Der ganze Planet Erde ist in Gefahr. Alle Probleme müssten sich der Luftreinhaltung unterordnen. Das ist immer noch meine Ansicht.

Es tönte wie kleiner Trost und für mich persönlich geschrieben, was ich im „Magazine d’information de la Marie de Paris“ aus der Feder des Stadtpräsidenten, Monsieur Bertrand Delanoë, lesen konnte. Er erklärte, die gravierenden Probleme rund um die Lebensqualität, die Volksgesundheit und den öffentlichen Verkehr seien erkannt und erforderten einen entschiedenen Einsatz.

Nun eilt es aber, das Erkannte umzusetzen. Hoffentlich kommen alle Bemühungen, die jetzt auch in andern Ländern zu beobachten sind, nicht zu spät. Ein Wettbewerb unter den Weltstädten könnte uns allen nur nützen.

Donnerstag, 3. August 2006

Herausragende Erlebnisse der vergangenen Pariser Tage

Nummer 1: Am Samstagmorgen, 29. Juli 2006, der Gemüsemarkt bei Barbès: Ein langgezogenes, sehr, sehr grosses Gelände, überdacht von der Metrobrücke, die hier ein Stück weit aus dem Erdreich herauskommt. Der Andrang riesengross. Die Angebote verlockend. Die Fülle einmalig. Die Ausrufer mehrheitlich Nordafrikaner, die mit ihren seltsamen, gehackten Worten die Kauflust wecken. Ungewohnt für mich. Da herrscht Existenzkampf pur. Wer hier überleben will, muss schreien. In mir riefen diese diktatorischen Wortfetzen eher Widerstand hervor. Gekauft habe ich dann frische Minze. Für sie musste niemand rufen. Ihr starkes Aroma wirkte magnetisch.

Nummer 2:
Am folgenden Sonntagmorgen eine Fahrt mit dem Velo von Place Pigalle bis nach der Cité de la Villette. Mit Mena als Vorfahrerin. Erstaunlich: Ein 4-jähriges Kind im Pariser-Verkehr. Selbstverständlich auf Velowegen und gut behütet von seinem Papa. Die Strecke, die dem Kanal entlang führt, ist besonders eindrucksvoll, und auf allen Abschnitten gab es immer wieder Partien mit Alleen, schönen alten und auch jungen Bäumen. Am Rand einer Wiese ein überdimensioniertes Velorad, zu zwei Dritteln im Rasen versenkt. Eine Skulptur und Hommage an das Fahrrad, französisch bicyclette, die mich sofort ansprach.

Nummer 3:
Der Besuch in der Mütterberatung. Die neugeborene Nora musste gezeigt, gemessen und gewogen werden. Mit uns im Warteraum auch afrikanische Mütter und ein Vater. Diese sicheren Gebärden, mit denen sie ihre Säuglinge beruhigen oder beim Trinken unterstützen. Feinfühlig und stark. Eine dieser Frauen kam mit Zwillingen hierher. Nach dem Untersuch und dem Füttern konnte ich mitverfolgen, wie sie ihren Rücken im rechten Winkel beugte, das vor sich auf einem Tisch liegende Kind in dieser Haltung eigenhändig auf ihren Rücken platzierte, dann das vorbereitete Tuch nach hinten schwang und mit ihm das Neugeborene festzurrte. Es war am Schluss gar nicht mehr genau nachvollziehbar, wie sich alles abwickelte. Es geschah offensichtlich aus altem Wissen und mit viel Erfahrung und vor allem schnell. Der Moment, wo das Kind mit dem Bauch auf Mutters Rücken zu liegen kam, war der spannendste. Ich hielt den Atem an. Verhält es sich ruhig? fragte es in mir. Ganz ruhig und die nachfolgenden, nur vom Fühlen begleiteten Einpackbewegungen der Mutter entsprachen der Sicherheit, die das Kind offenbar gut kennt. Als sie sich aufrichtete, hing ihr Säugling sicher und wohl geborgen an ihrem Rücken. Das 2. Kind wurde ganz gewöhnlich in ein Frottetuch eingehüllt, wie wir das in Europa auch machen, und auf den Arm genommen. So ging die Frau dann weg.

Wie meine Erfahrungen zeigen, begegnet man in Frankreich nicht nur den Franzosen. Viele Kulturen haben hier ihre eigenen Plätze und Räume und in ihnen ihre Geschäfte für die eigene Nahrung und Kleidung. Das Zusammenleben gestaltet sich kulturübergreifend, wenn es um die sozialen Dienste geht, wie beispielsweise die Mütterberatung, die Gesundheitsdienste, die Einschulung usw. Und aus diesen Kontakten können Freundschaften und Gemeinsamkeiten erwachsen.