Freitag, 31. März 2006

Jugendliche, modische Klamotten und Selbstwertgefühl

Unsere Tochter Letizia erinnert sich, dass Ende der 80er-Jahre die Labels an Kleidern plötzlich wichtig geworden sind. Sie leitete damals eine Jugendgruppe und beobachtete, wie innerhalb der Geografie-Spiele, die sich bis anhin nur mit Bergen, Seen, Flüssen, Städten und Ländern befasst hatten, plötzlich die Sparte „Marke“ dazu kam.

Im gleichen Zeitraum kam sie mit einer neuen Jeans-Hose aus Kanada zurück. Da wurde sie von einem Mädchen aus ihrer Gruppe aufgeklärt, diese sei wertlos. Das Label sei am falschen Ort aufgenäht. Dieser Fehler entlarve die Fälschung. Grosse Verblüffung. Der Tadel kam nicht aus einem noblen Kreis, sondern aus unserem Kreis 5, dem Arbeiter- und Ausländerquartier.

Der Druck, nur teure Markenkleider und Markenschuhe anzuschaffen, muss in den letzten Jahren zu einem beängstigenden Zwang ausgeartet sein. Sonst würde Basel wohl keinen Pilotversuch machen und ab Herbst für 2 Klassen des 9. Schuljahres eine einheitliche, moderne Bekleidung (keine Uniform) zu günstigem Preis anbieten. Die Kollektion ist pfiffig, praktisch und schön.

Wenn sie das Selbstwertgefühl stärken und Unterschiede ausgleichen kann, wäre das eine sinnvolle Einrichtung. Sie würde auch das Portemonnaie der Eltern entlasten. Zudem soll es in Schulen mit Einheitskleidern weniger Neid und mehr Teamgeist geben, berichtete der Tages-Anzeiger am 24. März 2006. Da bin ich gespannt und hoffe, dass über diesen Versuch ausgiebig berichtet wird.

Ich weiss, jeder Mensch wünscht sich mehr oder weniger, was der Rivale oder die Rivalin schon besitzt. Uns drängt eine Art Wettbewerb, andere beeindrucken oder überflügeln zu wollen. Dieser Antrieb zur Darstellung muss aber mit den angeborenen Talenten und den inneren Werten übereinstimmen. Kleider sollten keine Verkleidungen sein, sondern die eigene Persönlichkeit unterstützen.

Wenn Eltern meinen, ihre Kinder nähmen Schaden, wenn diese nicht immer nach der neuesten Designer-Mode und mit der gerade neu auf den Markt gekommenen Technik ausgerüstet seien, dann unterstützen sie die Kehrseite dieser Medaille. Sie machen das Selbstwertgefühl von materiellen Dingen abhängig. Nach meiner Sicht und Erfahrung stärken wir aber gerade unsere Kinder, wenn wir ihnen nicht alles selbstverständlich zur Verfügung stellen. Sie sollen ihren Beitrag daran leisten müssen. Voraussetzung ist aber, dass wir als Erziehende selbst eine gewisse Unabhängigkeit und innere Freiheit erlangt haben und somit glaubhaft wirken.

Mittwoch, 22. März 2006

Stehlen ist keine Tugend, die Schamlosigkeit aber schon

Diebstähle häufen sich, obwohl immer wieder darauf hingewiesen und zur Vorsicht gemahnt wird. Manchmal betreffen sie einen selbst oder Menschen, die einem nahe stehen.

In Rom wurde ich einmal in einem Bus bestohlen. Beim Aussteigen bemerkte ich es und fühlte, wie ich, wie aus einer unsichtbaren Halterung heraus, in die Tiefe fallen gelassen wurde. Noch heute kann ich daran denken und es wieder erleben, dieses Aussteigen und nicht auf dem Boden ankommen, obwohl ich dann doch auf der Strasse stand. Bin ich damals vielleicht hypnotisiert worden?

Gestern nun war meine über 80-jährige Nachbarin ein solches Opfer. Die Methode aber eine andere. N. war am Einkaufen im Lebensmittel-Geschäft und wurde in ein verwirrendes Gespräch mit einer ausländischen und schlecht deutsch sprechenden Frau verwickelt. Sie wurde um eine Erläuterung eines Textes auf einer Waschmittel-Packung gebeten und so geschickt abgelenkt, dass ihr ein Begleiter problemlos das Portemonnaie aus der Tasche ziehen konnte. An der Kasse, als das Malheur dann publik wurde, konnte eine andere Kundin bestätigen, dass auch sie um Hilfe angegangen worden sei. Sie habe diese Frau aber einfach ignoriert.

Ein anderer Fall betrifft meinen Mann. Nachdem er das Portemonnaie an seinem Arbeitsplatz in einer Messehalle hatte liegen lassen, meldete sich einen Monat später die Polizei. Es sei in ihrem Briefkasten gelandet. Die Banknoten entwendet, Kleingeld und Ausweiskarten noch da. Wenigstens das. Ich konnte das Portemonnaie dann abholen und kam mit der diensttuenden Polizistin ins Gespräch. Natürlich waren Diebstähle unser Thema. Sie bestätigte mir, dass diese zugenommen hätten.

Ich wolle mich ausdrücklich weder als brav noch als edel darstellen, müsse aber doch sagen, dass ich kein Verständnis für Diebstähle habe. Da müsste ich dann schon in sehr, sehr auswegloser Situation stecken, bis ich einen Fundgegenstand einfach an mich nähme. Die spontane Antwort dieser Polizistin lautete: „Es geht eben vielen Leuten heute sehr schlecht.“

Und weiter erfuhr ich, dass sie kürzlich im Kreis von Freunden die Frage aufgeworfen habe, was sie machen würden, wenn sie auf einem Spaziergang im Wald eine Tausendernote fänden. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben unumwunden zu, sie würden sie behalten.

Heute ist Schamlosigkeit eine Tugend. Ich frage mich, was dieselben Menschen, die stehlen und abzocken empfinden, wenn die Rollen vertauscht und sie diejenigen sind, die betrogen werden? Da gibt es dann sicher ein grosses Hallo.

Wo steuern wir hin, wenn Diebstähle und Kriminalität ständig zunehmen? Es ist wirklich Zeit, dass sich neue Standards, die das Zusammenleben regeln, einbürgern. Es könnten auch alte Regeln entstaubt und mit neuem Leben gefüllt werden.

Dank Hans Küng, der den Dialog mit den Kulturen belebt, steht die „Goldene Regel“, die vielen Kulturen eigen ist, wieder öfters im Blickpunkt. „Was du nicht willst, was man dir antut, das füge auch keinem anderen zu.“

Mich stört es enorm, dass wir z. B. an touristischen Orten immer auch noch auf uns selbst aufpassen müssen und nicht mehr nur dastehen und staunen dürfen. Tue ich das, besteht die Gefahr, dass ich als ein mögliches Opfer wahrgenommen werde, bei dem es etwas zu holen gibt. Da bleibe ich dann, ehrlich gesagt, lieber zu Hause.

Dienstag, 14. März 2006

Capunet aus Poschiavo, dem „schönsten Ort auf Erden“

Gestern war ich bei Celeste im Altersheim. Heute kochte ich Capunet (Spinatgericht aus dem Puschlav). Kein Wunder. Diese Verwandte hat immer noch grossen Einfluss auf mich. Durch sie habe ich die Puschlaver Küche kennen gelernt. Diese ist ehrlich, kräftig und von südländischer Güte. Und so wie sie mir vermittelt worden ist, kommt sie ohne bewilligte Hilfsmittel aus. Das imponiert mir. Einige ihrer Rezepte gehören heute ganz alltäglich auch in meine Küche.

Celeste stammt aus Poschiavo. Sie wuchs in der Grossfamilie in diesem von mediterraner Kultur geprägten Ort auf. Aber schon mit 13 Jahren musste sie ihre Heimat verlassen, denn das Puschlav kann nicht allen hier Geborenen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz anbieten. Die Kehrseite seiner landschaftlichen Schönheit und Unberührtheit sind die fehlenden Arbeitsplätze.

Oft erzählte sie mir von diesem Abschied, der jetzt ungefähr 77 Jahre zurückliegt. Immer wieder tauche er vor ihrem inneren Auge auf. Sie schilderte, wie sie in der Rhätischen Bahn wegfuhr und immer nur rückwärts schaute. Sie sei untröstlich gewesen, habe herzzerbrechend geweint, als sich der Zug in jene Höhe hochgeschraubt hatte, wo er ein letztes Mal Aussicht auf das gesamte Tal bot. Die Reise den Seen entlang und vorbei an der Wasserscheide in die unbekannte Deutschschweiz, wo Steine und Licht grauer sind, alle diese Stationen schaute sie durch den Tränenvorhang.

In einer Gruppe mit andern jungen Mädchen kam sie in eine Spinnerei. Dort musste sie als Fabrikarbeiterin ihren Lebensunterhalt eigenständig verdienen. Die Arbeitsbedingungen waren demütigend. Celeste ereifert sich auch heute noch darüber, dass die Milch in grosse Becken geleert und anderntags der Rahm abgeschöpft werden musste. Dieser war für den Pfarrer bestimmt. Den Mädchen stand nur die wässrige Milch zu. Ihre Wut kann ich nachvollziehen. Zudem ist sie eine Geniesserin und kennt Qualität. Sie hatte dann das Glück, die Nahrung zum Hauptthema ihres gesamten Lebens zu machen. Sie fand Arbeit im Gastgewerbe. Auch im privaten Kreis kochte und bewirtete sie andere gern.

Viele Puschlaver mussten auswandern, wie sie. Viele fanden Arbeit und Auskommen in der Gastronomie. Berühmt sind Zuckerbäcker, die nach Spanien emigrierten und dort erfolgreich wurden. Aber das Heimweh war schliesslich stärker als der Erfolg. Für den Lebensabend kamen sie zurück und bauten am südlichen Ortsende, etwa um 1830, das so genannte Spaniolenviertel, aneinander gereihte, farbenfrohe Villen.

Poschiavo ist ein prächtiger Hauptort. Er liegt in der Talsenke, ist keine Stadt, aber ein Flecken mit interessanter Architektur, prächtigen Häusern und Palazzi und einer spannenden Geschichte. Hier wird pus‘ciavin gesprochen. Es ähnelt dem Veltliner-Dialekt. Poschiavo gehört zum italienisch geprägten Teil des Kantons Graubünden. Die offizielle Sprache ist hier Italienisch. Das Tal erstreckt sich vom Hospiz des Berninapasses bis an die italienische Grenze.

Im Gegensatz zu den Zuckerbäckern kann Celeste nicht an ihren Geburtsort zurückkehren. Sie ist zu krank. Sie denkt immer mehr ans Sterben. Und sie will vorsorgen, dass es am Leidmahl für sie etwas Rechtes zu essen gibt. Schon vor Jahren, als sie einmal meinte, ihr Ende stünde bevor, eilte sie in jenes Gasthaus, in dem wir uns dann zu ihrem Abschied treffen sollen. Sie verlangte die Speisekarte, erkundigte sich nach den Preisen und traf ihre Wahl. Dann informierte sie den Chef, es handle sich um das Leidmahl für sie selbst. Dem verblüfften Wirt sollen die Worte im Hals stecken geblieben sein. Fürchtete er vielleicht, der Geist einer verstorbenen Person stünde vor ihm? Celeste erzählte, dann habe sie gelacht und schliesslich er auch mit ihr.

Das Capunet-Rezept
Celeste konnte mir den Namen Capunet nicht ins Deutsche übersetzen. Capunet ist Capunet. Ein Eigenname. Eine Puschlaver-Spezialität.

Capunet, das Gericht aus Spinatklössen

Die Zutaten:
zirka ½ kg Blattspinat
5 Esslöffel Paniermehl
Butter
1 Zwiebel, gehackt
1 Büschel Petersilie, gehackt
Muskatnuss
2 Eier
5 Löffel Weissmehl
Salz
Butter
geriebener Parmesan
2–3 Knoblauch-Zehen

Die Zubereitung:
Für dieses Gericht mahle ich trockenes Brot und röste es ohne Fettzugabe in der heissen Pfanne. Oder: Gewöhnliches Paniermehl rösten.

Den Blattspinat und die Zwiebel separat dünsten und durch das Passevite (handbetriebenes Passiergerät mit Siebeinsatz) treiben. Oder: Es kann auch gefrorener, aufgetauter Spinat verwendet werden.

Spinat erkalten lassen, mit dem Paniermehl mischen.

Salz zufügen. Petersilie beigeben. Die Eier darunter ziehen.

Das Mehl darüber streuen. Mit Muskatnuss würzen.

Zu einem dicklichen Teig verarbeiten. Eventuell nach Gutdünken zusätzlich etwas Mehl dazugeben. Die Masse auf ein Brett ausstreichen und ruhen lassen.

Ich bereite die Masse jeweils im Laufe des Morgens zu und lasse sie mindestens 1 Stunde ruhen. Mehl und Brot quellen auf und bilden einen guten „Leim“, der das Gemüse zusammenhält.

Davon dann Klösse abstechen und ins siedende Salzwasser geben. Wenn sie aufsteigen, werden sie herausgehoben, mit dem Käse bestreut und mit flüssiger Butter, in der die ausgepressten Knoblauchzehen gedünstet wurden, übergossen. Celeste sagt: Viel Käse darüber streuen.

Wenn eher grosse Klösse geformt worden sind, steigen sie vielleicht nicht so leicht auf. Das Gefühl muss dann entscheiden, wann sie gar sind und aus dem kochenden Wasser herausgehoben werden können.

Primo gibt noch die Anleitung, wie die Klösse fachgerecht hergestellt werden. In seinem Elternhaus wurde diese Arbeit wie ein Ritual gehandhabt. Man arbeitete mit 2 Löffeln. Er sagt: Man nimmt in jede Hand einen Löffel. Mit dem 1. stichst du aus der Masse eine Portion ab. Mit dem 2. Löffel deckst du diese Portion zuerst zu und hebst sie danach aus ihm heraus. Jetzt liegt sie auf dem anderen Löffel. Dieses Wechselspiel soll sich einige Male wiederholen. Es bewirkt, dass die Klösse gleich gross und etwas gepresst werden. So fallen sie beim Kochen nicht auseinander.

Nach kurzer Anlaufzeit wird diese Arbeit zum Spiel, zum Tanz der Löffel.

Diese Perfektion ist aber nicht zwingend und soll niemanden abhalten, Capunet herzustellen. Die Klösse munden auch, wenn sie ungleich und nur von Hand geformt sind.

Meine Schnell-Version von Capunet
Das typische Capunet-Aroma entsteht im Zusammenspiel von Spinat, Brot, Knoblauch, trockenem Käse und zerlassener Butter.

Oft gibt mir hartes Brot den Impuls, mein eigenes Capunet herzustellen. Ich wäge nichts ab, arbeite mit dem Gefühl. Für einen ersten Versuch kann man sich an obige Masse halten.

Ich mahle immer zuerst das harte Brot zu Paniermehl und röste es. Dann widme ich mich dem Spinat. Zusammen mit der gehackten Zwiebel wird er gedünstet und durchs Passevite gedreht. Dann werden Brot und Spinat gemischt, 2–3 ausgepresste Knoblauchzehen dazu gegeben, ebenso den geriebenen Käse und etwas Kräutersalz und Pfeffer. Wenn vorhanden, mische ich auch Petersilie darunter. Dann träufle ich noch wenig Olivenöl oder zerlassene Butter darüber und fertig ist die schmackhafte Beigabe zu einer währschaften Polenta.

Im Frühjahr ersetzen jeweils die ersten Bärlauchsprossen den Knoblauch in dieser Capunet-Version.

Sonntag, 5. März 2006

Ode an Baum, Holz und Früchte der Fellenberg-Zwetschge

Der Zwetschgenbaum (Prunus domestica L.) schwankte, als wir ihn im letzten Herbst bestiegen. Es waren auch nur noch einzelne Früchte zu ernten. Die Produktion am Auslaufen. Etliches dürres Geäst war schon abgefallen. Der Stamm und zwei starke nach oben auslaufende Äste aber trotzten noch dem endgültigen Absterben. Ihre Figur ähnelte der Bielmann-Pirouette. Und doch war es Zeit, ihn zu fällen. Zwetschgenbäume sind nicht tief verwurzelt, können sogar ohne menschliches Zutun einfach umfallen.

Vom Zwetschgenbaum sagt der Fachmann Paul Guggenbühl in seinem Werk „Unsere einheimischen Nutzhölzer“, er würde selten älter als 30. Und der unsere war ein über 60-jähriger. Er liess sich willig in eine Richtung bewegen. Sein Stamm musste nicht angesägt werden. Wie ein Tier an der Leine, liess er sich ziehen und dann fallen. Wir mussten ihm keine Schmerzen zufügen.

36 Jahre lebten wir miteinander. Und nicht nur wir. Vögel fanden in der Rinde dieses alten Baums reichlich Nahrung, pickten sich Rosinen aus den Schrunden. Abwechselnd beanspruchten ihn auch Nachbars Katzen als Aussichtsplattform. Kaum lag der Baum letzte Woche am Boden, traf ein Braunkehlchen-Paar ein, setzte sich auf das feine Geäst aus der Krone, schaute um sich, blieb lange sitzen, nahm offensichtlich auch Abschied von ihm.

Die noch einigermassen intakten Teile des Stammes befinden sich jetzt in der Werkstatt. Bereits aufgeschnitten sind die Äste. Querschnitte von ihnen zeigen uns den inneren Zerfall. Der Kern ist morsch, zerfasert, erinnert an ein Wespennest. Eine Schnitte dürres Zwetschgenholz sieht wie ein Stück Fleischpastete aus. Und die Handschmeichler aus diesem Astholz erinnern an Kartoffeln, die in der Asche gebraten worden sind. Sie tragen noch die kupferfarbene Rinde. Sie zeigen mir die ganze Landschaft ihres Innenlebens, gesunde und kranke Teile und geölt ihre rot-violette Farbe.

Noch immer pulsiert das Holz aus einem früher abgefallenen Ast. Als grosses Ei geformt, kann ich es in die Hände nehmen und seinen Puls fühlen. Zwischen ihm und den neuen Handschmeichlern liegen Welten. Das Ei entstammt der Zeit, als der Baum noch potent war. Die Handschmeichler in Kartoffelform sind Zeugen des Zerfalls und Andenken an ihn.

Schade, dass das lebhaft farbige Zwetschgenholz nur selten für Möbel verwendet wird. Wegen seines kurzen und drehwüchsigen Stamms ist es für die rationelle Verarbeitung nicht geeignet, wohl aber für Instrumente, z. B. für Flöten, aber auch für Intarsien oder kunsthandwerkliche Arbeiten. Das gesunde Zwetschgenholz ist hart und wurde früher für die Herstellung von Werkzeugen gebraucht.

Pauline Felder ordnet in ihrer Auflistung „Von der Heilkraft unserer Bäume“ dem Zwetschgenholz beruhigende Kräfte zu und rät jähzornigen Menschen, Zwetschgenbäume zu umarmen. Nach Paul Guggenbühl existierte in alter Zeit die Meinung, die Zwetschge heile die Gelbsucht. Er schreibt augenzwinkernd: „Gegen Gelbsucht verschlucke man eine gedörrte Zwetschge, in die man, je nach Landesgegend, zwei bis sieben lebende Läuse gesteckt hat.“

Unser Baum brachte die prächtigen Fellenberg-Zwetschgen hervor. Jedes Jahr habe ich sie nach einem sehr alten Rezept aus dem Buch „Dienstboten-Hausschatz“ zu Marmelade eingekocht. Die Beigabe von Essig entwickelte während der langen Kochzeit ein eigenwilliges Aroma, das immer am Sommerende während einiger Tage unser ganzes Haus erfüllte. Gemäss diesem alten Rezept sollte das Einkochen auf mehrere Tage verteilt werden. Es richtete sich an Frauen mit einem Holzherd. Es heisst da: „Da das Kochen der Zwetschgen langsam vor sich gehen muss, ist es gut, wenn man sie, um Brennmaterial zu sparen, einige Tage während der Zubereitung der Mahlzeit auf der heissen Herdplatte kochen lässt.“ Daran habe ich festgehalten, nachdem ich auch das Schnellverfahren ausprobiert hatte. Diese Marmelade entwickelte sich ohne viel Zuckerbeigabe in diesem langsamen Prozess zu einer wahren Delikatesse.

Gegen Durst wurde uns früher auf Schulreisen und lange Sommerwanderungen gedörrte Zwetschgen mitgegeben. Wir wurden angehalten, den Stein nicht auszuspucken. Das Lutschen verhinderte, dass der Mund austrocknete.

Baum, Blüte und das Reifen der blauen Frucht erleben wir nun nicht mehr aus nächster Nähe. Fellenberg-Zwetschgen kann ich aber auf dem Markt kaufen. Dank diesen Verwandten ziehen auch in den kommenden Jahren die mit dieser Frucht verbundenen Düfte durch unser Haus und erinnern uns an den verstorbenen Freund, den Zwetschgenbaum.