Freitag, 21. Oktober 2005

Schweizer Post: Doppelgesichtige Sondermarke Matterhorn

Stephan Eicher, der bekannte Musiker, gestaltete eine Sondermarke für die Schweizer Post. Sie ist schon seit März 2005 im Umlauf. Eine ganz eigenwillige Erscheinung. Gar nicht so leicht zu beschreiben. Sie weist den Wert von 85 Rappen auf und ist doppelgesichtig.

Sie zeigt uns das Matterhorn. Der Aufdruck HELVETIA, den jede Schweizer Briefmarke auf sich trägt, ist hier aber absichtlich verkehrt aufgedruckt. Nur die Zahl 85 ist normal zu lesen. Wende ich dann die Marke, kann ich HELVETIA lesen. Nun stehen aber die Zahlen auf dem Kopf. Und aus dem Matterhorn ist der Kontinent Afrika geworden.

Wie man heute weiss, stammen die letzten rund 1000 Höhenmeter des Matterhorns ursprünglich aus Afrika. Es sind Teile der afrikanischen Kontinentalplatte, die sich in vielen Jahrmillionen zu uns hin verschoben und aufgetürmt haben. Eicher bedankt sich deshalb beim afrikanischen Kontinent dafür und nennt seine Briefmarke „Merci“.

Ich habe jetzt gleich nochmals einen Vorrat solcher Sondermarken angelegt. Ich möchte sie noch oft benützen und mich weiterhin verunsichern lassen. Denn jedesmal, wenn ich sie aufgeklebt habe, ist mein Ordnungssinn irritiert. Entweder ist die Zahl 85 nicht normal zu lesen oder dann schauen die HELVETIA-Buchstaben aus, als seien sie aus einer russischen Schrift gestaltet.

Es ist hier unmöglich, alles in herkömmlicher, braver Norm zu sehen. Und das tut gut. Die eigene Sicht der Dinge ist sowieso nicht allumfassend. Ebenso verhält es sich mit den Gedanken. Nur wenn wir sie drehen und wenden, können wir zu neuen Anschauungen und kreativen Lösungen gelangen.

Ich hoffe, dass ich eines Tages auch eine so geniale Entdeckung mache wie der Künstler, der im Matterhorn den afrikanischen Kontinent gesehen hat.

Hinweise
Link zur Abbildung der Briefmarke

Freitag, 14. Oktober 2005

Reise nach Genf: Beobachtungen und Begegnungen

Erst Tage danach ist mir aufgegangen, dass der Ausflug nach Genf ein Thema in sich trug, das uns vom Zufall zugespielt worden war. Was sich uns zeigte und ansprach, handelte durchwegs von Verbindungen, Beziehungen und vom Einswerden.

„Schau ein Hochzeitspaar!“ rief Primo, als wir an der Ampel standen. Aus dem Tunnel, aus dem sich der Autoverkehr neben dem Hauptbahnhof in die Innenstadt ergiesst, sausten 2 Velos an uns vorbei. Voraus ein Mann in feinem, dunkelgrauem Tuch, in der Brusttasche eine grün unterlegte weisse Rose. Hinter ihm, auf dem eigenen Rad, eine Frau mit einer hochgeschlossenen, edlen weissen Jacke. Den Brautstrauss aus weissen Rosen und grünen Blättern hatte sie auf dem Gepäckträger eingeklemmt. Die abfallende Strasse schenkte den beiden leichte, fast fliegende Fahrt. – Dieses Paar imponierte mir. Menschen von heute. Ohne Firlefanz oder rauschenden Auftritt, dessen Muster ja einer fernen Zeit entlehnt wären. Das könnten wir beide sein, dachte ich dazu und an unsere eigene Geschichte.

Stunden später standen wir am Zusammenfluss von Rhone und Arve. Wir haben ein Faible für solche Orte. Von Carouge herkommend, dieser charmanten Kleinstadt mit menschlichen Massen, kultureller Ausstrahlung und viel handwerklicher Kreativität, schlenderten wir der wilden Arve entlang bis zum Busbahnhof, der dort das Ende des Wegs markiert. Vielleicht 100 Schritte nebenan liess sich das Rhoneufer finden und bald auch die Landzunge, wo sich die Wasser treffen. Sie taten es in unserer Anwesenheit in beinahe schüchterner Art, indem sie sich berührten und wieder losliessen und so ein Zickzackmuster auf dem Wasser erfanden. Etwas weiter entfernt, beim Stützpfeiler des imposanten Bahnviadukts, wurde die Strömung stärker und das Ausufern in den jeweils anderen Fluss mächtiger. So sahen wir die beiden davonfliessen und sich mehr und mehr vereinigen. Bis zur ganzen Durchmischung wird es lange dauern, wenn das überhaupt möglich ist. Fest steht, dass die Arve in diesem Moment ihre Identität verliert. Die Rhone zeichnet fortan für sie beide. Primo bemerkte sofort, dass die Wände der beiden Flussbetten am Ort, wo sie einander treffen, ganz verschieden geartet sind. Die Arve trifft auf Moos, die Rhone wird von Wandermuscheln begleitet. Welche Polsterung erfindet nun die gemeinsame Wasserqualität auf dem weiteren Weg?

Auf der Heimfahrt im voll besetzten Zug trafen wir erneut auf das Tagesthema. Ein ungleiches Paar neben uns konnte beim besten Willen nicht übersehen werden. Das Rascheln im Proviantsack erinnerte an Nächte im Pfadfinderlager. Der Mann zauberte immer wieder kleine Leckereien daraus hervor, doch seiner Partnerin war fast nichts gut genug. Auch landschaftliche Schönheiten oder der über dem Kanton Fribourg legendäre Sonnenuntergang liessen sie kalt. Die Hinweise von ihm wurden einfach ignoriert. Und doch blieb er der Fröhliche und strahlte über den Gang zu uns hinüber aus. Noch jetzt beim Schreiben kann ich seine Gelassenheit und seinen Humor sofort abrufen. Er hat uns die Heimreise verschönert.

Wir haben keine Ahnung, wer uns jeweils beobachtet, wer von uns etwas weiterträgt und wem wir ein persönliches Erlebnis schenkten, ohne es zu wissen.

Als die Nacht hereingebrochen war, begleiteten uns der Mond und in seiner Nähe die Venus. Tanzend erschienen uns die beiden Himmelskörper, wenn die Bahn ihre Kurven fuhr. Auch sie zeigten uns Nähe.

Wieder zu Hause, fanden wir, das sei ein sehr schöner 43. Hochzeitstag gewesen.

Weitere Reise-Blogs von Rita Lorenzetti
09.10.2005: Unter Kontrolle: Rückreise Köln—Zürich und Reise-Allerlei
07.10.2005: Über Aachen-Eupen in den Naturpark Hohes Venn
28.09.2005: Von Köln Richtung Aachen: Lebensräume, grüne Auen
17.08.2005: Im Zug-Fahrpreis inbegriffen: Kontakte und Geschichten
18.06.2005: Jutzen und Beten in der Cabane: Expo-02-Souvenirs
08.06.2005: Geheimtipp geheimnisvoller Üetliberg (Zürichs Hausberg)
18.05.2005: Gedankenblitze auf einer Velofahrt durch Zürich
24.04.2005: Frühlingsfest im Tessin: Amore e Nostalgia
23.04.2005: Hier dreht sich alles um den Gotthard-Mythos
11.04.2005: Unabhängig und beweglich sein: Ab ins Tessin!

Sonntag, 9. Oktober 2005

Unter Kontrolle: Rückreise Köln–Zürich und Reise-Allerlei

Köln Hauptbahnhof. Unser Zug war eingefahren. Grosses Gedränge. Durch dieses hindurch zwängt sich ein Bahnbeamter und stürmt dann durch die Wagen. Offensichtlich muss er noch etwas erledigen, bevor der verspätet eingetroffene Zug weiterfahren darf. Ich vergesse diese Beobachtung aber gleich wieder. Die Heimreise beginnt.

Letzte Grüsse an unsere Freunde. Winken. Ade! Für Sekunden nochmals auf Kirchtürme und Hochhäuser schauen. Ins Polster sinken und wissen, jetzt gehts heimwärts. In Bonn steht unser Zug dann aussergewöhnlich lange still. Über Lautsprecher werden wir informiert, es müsse eine polizeiliche Kontrolle stattfinden. Man bitte um Verständnis und Geduld. Andächtige Stille im ganzen Wagen. Was steht uns bevor? Jetzt hasten mehrere Kontrolleure durch die Wagengänge. Plötzlich kommt einer zurück, hält abrupt neben meinem Sitznachbarn an und verlangt dessen Ausweis. „In Ordnung! Danke!“, heisst es, nachdem dieser überprüft worden ist.

Diesen jungen Mann habe ich beim Einfinden am reservierten Platz als eine höfliche und zuvorkommende Person wahrgenommen, und ich hätte mir nicht vorstellen können, was er verbrochen haben könnte. Auch er ist ratlos, sagt vor sich hin: „Die haben mich als Kriminellen angesehen!“

Dann fährt der Zug weiter. Nach geraumer Zeit, als ich die beschriebene Episode schon etwas vergessen habe, wird über Lautsprecher informiert, warum die Kontrolle stattfand. Eine hilfsbedürftige Person sei aus einer psychiatrischen Klinik entwichen und soll sich in unserem Zug befinden. Ob sie diese nun gefunden haben, wird aber nicht mitgeteilt. Jetzt lachen alle, als des Rätsels Lösung bekannt ist, verlegen auch der Verdächtigte. Aber es bleibt eine fragende Stille. Niemand spricht. Denken andere auch darüber nach, wie rasch wir abqualifiziert oder sogar vorverurteilt werden könnten. Noch bevor mein Sitznachbar in Koblenz aussteigt, sage ich zu ihm: „Sie können heute Abend etwas erzählen.“ — „So ist es. Tschüüss.“

Und wir reisen weiter, geniessen den Abschnitt, der uns dem Rhein entlang führt. Der Computer hat uns einen Fensterplatz auf der richtigen Seite zugesprochen. Wir danken ihm. Ich geniesse diese Strecke ganz besonders, schaue auf Schiffe und Transportkähne und natürlich auf den Felsen der Loreley. Dem Rhein zu begegnen, fasziniert mich immer. Wir sind Freunde. Ich kenne seinen Ursprung, den Tomasee. Primo zwinkert mir zu. Er weiss von meiner Begeisterung.

Dösend erreichen wir den badischen Bahnhof in Basel. Die Bahnbegleitung wechselt. Schweizer Bahnbeamte wollen die Fahrkarten sehen. „Züri!“ ruft jener, der unsere Billette entwertet, „Chönd grad sitze bliibä!“ (Zürich. Sie können sitzen bleiben.)

Wauw! Wir sind wieder in unserem Land. Wir hören unsere Sprache. Dieser eine Satz elektrisiert mich und beendet unsere Ferien. Ab jetzt muss ich nicht mehr aus dem Fenster schauen. Ich entdecke kein Neuland. Ab jetzt spult der innere Film die letzten beiden Wochen aber in mir ab.

Wenn ich von Zürich wegfahre und jeweils den Schienensträngen zuschaue, wie sie sich verdichten und dann wieder auseinander driften, denke ich öfters an den Text, der an der kleinen Kirche in Hospenthal, einer wichtigen Kreuzung früherer Säumer- und Pilgerwege, zu lesen ist. Es heisst da:

Hier trennt der Weg, o Freund, wo gehst du hin.
Willst du zum ewigen Rom hinunterziehn.
Hinab zum heilgen Köln, zum deutschen Rhein.
Nach Westen, weit ins Frankenland hinein?

Wanderer müssen ihre Weichen immer noch selber stellen. Uns Bahnfahrenden aber ist jede Entscheidung abgenommen. Wir nennen nur noch das Ziel, erhalten eine Fahrkarte und die dazugehörige Abfahrtszeit und alles ist für uns geregelt. Um keine Abzweigung müssen wir uns selber kümmern. Und Wegelagerer im alten Sinn sind ausgeschlossen. Aber manchmal gibt es auch auf einer solchen Bahnreise noch eine Überraschung.

Blogs zu Rita Lorenzettis Deutschland-Reise
07.10.2005: Über Aachen-Eupen in den Naturpark Hohes Venn
03.10.2005: Einmalig: Konzert mit Gemshörnern und Cornamusen
28.09.2005: Von Köln Richtung Aachen: Lebensräume, grüne Auen

Freitag, 7. Oktober 2005

Über Aachen-Eupen in den Naturpark Hohes Venn

Unsere Freunde wollen uns auch das Naturschutzgebiet „Hohes Venn“ zeigen. Auf dem Weg dorthin lerne ich Eupen kennen, eine Stadt, vergleichbar mit Fribourg in der Schweiz: Ebenfalls am Berg und im Tal angesiedelt, ebenfalls mit historischer Ober- und Unterstadt. Quirlig die Atmosphäre auf der Strasse, einladend die Kaffeehäuser mit den leckeren Kuchen. Hier wird deutsch gesprochen, obwohl wir uns in Belgien befinden.

In der Unterstadt zieht uns der Friedensbrunnen zu sich. Hier fliesst Wasser spiralförmig um eine Brunnensäule, von Schale zu Schale. Diese Gefässe sind aus der abstrahierten Form einer Taube gestaltet. Obenauf sitzt die Friedenstaube.

Das Grenzgebiet um Eupen wurde im 1. und im 2. Weltkrieg wiederholt hin und her gerissen, gehörte abwechselnd zu Deutschland und zu Belgien. Den hier ansässigen Menschen muss wohl niemand ein solches Friedenssymbol erklären.

Unsere Reise geht weiter. Wir verlassen das Gebiet der deutsch sprechenden Belgier. Mont Rigi ist unser Ausgangsort für eine Wanderung im Hohen Venn. Ein Naturschutzgebiet von imponierender, nicht überschaubarer Grösse.

Hier gurgelt das Wasser dann unter uns. Auf Holzstegen gehen wir im grossen Kreis herum. Wir fühlen uns sicher, obwohl der Weg nicht nur am Rand, sondern eben durchs Moor hindurch führt. Im Hinterkopf melden sich Geschichten aus Skandinavien, die ich in jungen Jahren gelesen habe. Das Moor als unsicherer Boden, der uns verschlingen kann. Ort des Todes. Das Moor, das in jenen Erzählungen nur im Winter und bei tiefsten Temperaturen auf der Eisschicht überschritten werden kann. Das Moor als Ort von Angst und Schrecken. Und wir sind hier getragen von stabilen Stegen und können uns allen Eindrücken angstfrei hingeben.

Moore entstehen dort, wo die Niederschlagsmenge extrem hoch ist und das Wasser nicht sofort abfliesst. An diesem Samstagmorgen erleben wir den Himmel in Aufruhr und den Wind damit beschäftigt, weisse Wolkenfrachten zu transportieren. Licht und Farben wandeln sich oft. Manchmal sind wir von totalem Grau umgeben. Bäume im Moor erscheinen dann wie schwarze Scherenschnitte. Der Wind pfeift, spielt und schafft die Wolkentürme vorwärts. Es ist spannend, einerseits zum Himmel zu schauen, dann durch das rostbraune Pfeifengras auf den Grund zum schwarzen Torf. Die Ansichten wechseln ständig. Es scheint, als sei die Erde wirklich eine runde Scheibe, an ihren Rändern von schützendem Fichtenwald begrenzt. So präsentiert sich der Rundgang. Im Laufe unseres Ausfluges entdecke ich dann auf einmal einen Ausgang und eine dahinter liegende Landschaft. Aus ist die Vorstellung von der Erdenscheibe.

Die allein stehenden Bäume imponieren mir immer. Sie geben einer Landschaft das Gepräge. Sie sind auch Symbole von eigenständigem Leben, von Standhalten, Festigkeit und Persönlichkeit. Hier sind es Fichten, Espen, Birken und Buschgruppen, die die Moorlandschaft bilderreich gestalten. Unzugänglich ist eine Gruppe – vermutlich Birken –, die um eine Fichte herum wie schützende Feen stehen. Gerne wäre ich zu ihnen hingekommen, doch der vorgeschriebene Weg lässt es nicht zu.
Auf dem Weg für die Kinder finden wir blühende Erikastauden. Und Grasflächen, die den Sonnenstrahlen Tautropfen hinhalten. Farn ist dabei und Espen (in der Schweiz nennen wir sie Aspen). Mein Lieblingsbaum. Wenn das Espenlaub zittert, sehe ich ein Bild von meiner Innenwelt. So bewegt sie sich, wenn ich berührt werde. Wir hatten gerade über Lieblingsbäume gesprochen, und Primo sagte von der Aspe, sie könne singen. Und dann, als wir in die Nähe von noch jungen, niederen Aspen kommen, zittern sie gleich für uns. Sie sirren und tönen, weil der Wind ihre Blätter aneinander reibt. Es ist, wie wenn sie uns das vorher Gesagte bestätigen wollten.

Als sich der Kreis unserer Wanderung schliesst, haben wir viel erlebt und doch nur ein Bruchteil dessen gesehen, was dieses Hochmoor zu bieten hat. Es soll noch viele Wege geben, auch solche, die nur in Stiefeln zu begehen sind.

Wenn ich je hierher zurückkomme, will ich die 3 eigenwilligen Fichten besuchen, die aus einem liegenden Stamm entsprungen sind. Ihr „Grossvater“ wurde gefällt. Die Schnittstelle und der Strunk sind noch zu sehen. Aus ihm entsprang ein Trieb, der sich zum liegenden Stamm entwickeln konnte. Ja, er liegt wirklich auf dem Waldboden. Diesem wiederum entsprossen dann 3 Triebe, die sich zu 3 aufrechten Stämmen entfalten konnten. Und in ihrer Umgebung stehen zwei weitere Fichten, die ihre untersten Äste harfenförmig nach oben heben. Wirkt hier ein „Ort der Kraft“ oder spielt da die Natur einmal zum eigenen Spass ein bisschen verrückt?

Weitere Reiseblogs von Rita Lorenzetti

Montag, 3. Oktober 2005

Einmalig: Konzert mit Gemshörnern und Cornamusen

Der Ursprung des Namens Gemshorn sei unbekannt, erfuhren wir noch vor der Aufführung. Es handle sich hier nicht um das Horn von der Gemse, die jetzt übrigens Gämse oder Gams heisst, sondern um Instrumente aus Rinderhörnern. Natürlich gewachsen und als Form belassen, keines gleich wie das andere, aber alle von weichem, tragendem Klang.

Seit 10 Jahren treffen sich die Gemshornspielerinnen und -spieler (hauptsächlich Frauen) aus kleinen und grösseren Ensembles aus Wuppertal, Köln und Bochum einmal im Jahr, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam zu musizieren. Als Abschluss gestalteten sie in der Evangelischen Kirchgemeinde Köln-Buchheim am 18. September 2005 eine musikalische Vesper mit Werken aus dem 16. und 17. Jahrhundert.

Die Klänge dieser rund 60 Gemshörner, teilweise unterstützt von einer grossen Bassflöte, entführten uns in alte Zeiten, als die Menschen Himmel und Erde noch als eine Ganzheit erfuhren. So drückten es die Texte einzelner Lieder aus. Es liess sich gut auf der Welle dieser Harmonie abheben und zeitweise mitsingen.

Als die Cornamusen dann auftraten, erwachte ich aufgeschreckt in der Gegenwart. Fremde, aber faszinierende Töne! Sie könnten dem Dudelsack entsprungen sein, zeitweise wie kurze Schreie oder gedehntes Stöhnen. Noch nie gehört oder bewusst wahrgenommen. Erstaunt habe ich später erfahren, dass der Cornamusen-Klang nicht ganz perfekt dahergekommen sei. Und mir hat gerade diese leicht schräge Einlage speziell gut gefallen.

Je älter ich werde, desto mehr kann ich mich am Ungereimten und Unvollkommenen freuen, sofern es in homöopathischer Dosis auftritt. Leben ist so, kann nicht in strenge Ordnungen oder Denkmuster eingezwängt werden. Auch die natürliche Form des Instruments passte zum Eindruck, den mir die Töne vermittelten. Mir fiel sofort auf, dass es etwas Eigenwilliges, Gewachsenes behalten durfte und nicht in die strenge Gerade gezwungen wurde, wie das z. B. bei der Blockflöte üblich ist.

Dass ich in der Grossstadt Köln mit Rinderhörnern in Kontakt kommen würde, hatte ich nicht vorausgesehen. Es ist das Verdienst von Freunden. Nur sie können einen an ihnen bekannte Orte und zu leisen Tönen führen. Der normale Tourismus kann das nicht.