Freitag, 29. Juli 2005

Oft stört mich das Wort „verkaufen“

Oft stört mich das Wort „verkaufen“. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass wir jetzt alles verkaufen müssen. Unser Land, die Berge, Landschaften, Orte, unsere Kultur, Gefühlswelten und vermutlich noch die Sonnenuntergänge. Verpackt als „Produkt Schweiz“ wird das alles auf den Tourismus-Markt geworfen.

Was heisst verkaufen? Etwas abgeben gegen Bezahlung. Konsequent verstanden, ist die Schweiz dann nicht mehr da, wenn sie verkauft worden ist. Dann hat sie jemand mitgenommen, weggetragen, anderswo integriert. Das Bedeutungswörterbuch umschreibt das Wort verkaufen in gleichem Sinn: „(Als Händler) Ware zu einem bestimmten Preis gegen Bezahlung an jemanden abgeben.“

Auch Menschen werden häufig angetrieben, sich selbst oder sich selbst sogar noch besser als bisher zu verkaufen. In einem Vorstellungsgespräch heisst es jetzt häufig: „Verkaufen Sie sich!“, wenn Talente und Erfahrungen beschrieben werden müssen.

Auch Interessengruppen, politische Parteien usw., die sich und ihre Qualitäten ins Rampenlicht stellen wollen, befehlen sich: „Wir müssen uns besser verkaufen!“

Sich selber verkaufen? Eine neue Form von Sklavenhandel? Absurd.

Ich frage mich, wie sich diese ausbeuterische Bedeutung von „verkauft“ weiterentwickeln wird. Steht dieses Wort nach einigen Jahrzehnten vielleicht einmal für „futsch“ (unwiederbringlich verloren)?

Samstag, 23. Juli 2005

Ins Samstagabend-Läuten in Zürich eingetaucht

Es war wie immer. Einfach schön. Bewegend. Etwas für die Seele. Ulli und Norbert, die Gäste aus Deutschland, kamen mit. Wir wollten miteinander ins Samstagabendläuten eintauchen.

Nach einem Rundgang durch Altstadtgassen sind wir auf dem Lindenhof angekommen. Kurz vor 19 Uhr. Hier erwarten wir den abendlichen Siebenuhr-Stundenschlag. Dann wird der Sonntag eingeläutet. Ein schwacher Wind spielt heute mit und trägt die Klänge stärker und schwächer zu uns.

Jetzt, beim Schreiben, erinnere ich mich ans Liebfrauen-Geläute aus der Ferne, dann ans Grossmünster, das einstimmt, an die Klänge der Glocken der Kirche zu Predigern, ein Geläute, das stark auftritt, weil uns direkt gegenüber. Fraumünster und St. Peter sind selbstverständlich auch dabei, aber von unserem Standort aus in der ersten Sequenz nicht speziell wahrnehmbar. Wir gehen langsam weg, bewegen uns auf die andere Seite dieses Hofs und werden dort von den Glocken der Augustinerkirche begrüsst. Hell und mit unbekümmertem Selbstbewusstsein empfinde ich ihren Klang. Dann verlassen wir den Lindenhof, gehen über die Treppe zum Rennweg und weiter nach St. Peter. Dort empfängt uns ein Geläut mit warmer Tiefe, das dem dicken Turm entspricht. Die Wände der Stützmauern vibrieren. In mir schwingt es, wie wenn ich russischen Chören lauschte. Hier möchte ich bleiben und weiss doch, dass wir zum Münsterhof weitergehen müssen, wenn wir innerhalb dieser wichtigen Viertelstunde auch das Grossmünster noch erreichen wollen.

So nehmen uns sehr rasch die leichter schwingenden Glocken von Fraumünster in ihren Bann, wenig später stehen wir auf der Münsterbrücke und finden das gemeinsame Schwingen und Klingen aller Glocken, dominiert von St. Peter. Das Ausklingen geniessen wir endlich vor dem Grossmünster. Unter der Linde sitzen wenige Menschen, still und beschaulich. Eine kleine, hell klingende Glocke setzt den Schlusspunkt. Da fliegen die Mauersegler nochmals um die Türme. Ich hatte schon vom Lindenhof aus bemerkt, dass sie beim Stundenschlag aufflogen.

Dann fährt ein Tram vorbei. Der Lärmpegel des Verkehrs übernimmt wieder das Szepter.

Unsere Gäste zeigen sich bewegt. Norbert hat bemerkt, dass wenige Schritte oder eine Drehung um sich selbst ein ganz anderes Hörerlebnis hervorrufen kann. Es ist auch immer spannend zu erleben, wie Mauern und Gassen Glocken ausschliessen oder zulassen. Und wir im Gehen ermöglichen, dass alle irgendwann Mittelpunkt sein können.

Donnerstag, 14. Juli 2005

Der Ampèresteg in Zürich: Vorurteil und Auswirkung

Letzte Woche haben wir eine neue Brücke bekommen. Den Ampèresteg für Fussgänger und Velofahrende über die Limmat. Er verbindet Zürich-West mit Wipkingen.

Als die Betonpfeiler geschaffen und im Fluss verankert waren, wurden die beiden Brückenelemente angeliefert. Das Regionaljournal berichtete über das Schauspiel, als der grösste in der Schweiz verfügbare Baukran die eine Brückenhälfte durch die Lüfte hievte. Es musste dann leider vorzeitig abgebrochen werden. Die Bohrungen im Pfeiler entsprachen nicht den Verankerungsteilen am 2. Element. Dieses konnte erst später eingesetzt werden.

Vorerst also nur eine halbe Sache. Der Radio-Berichterstatter befragte dann einzelne Zuschauer, wie ihnen das Werk gefalle. Da hörte ich einen Mann voller Abscheu sprechen: Es handle sich bei dieser Brückenkonstruktion um ein U aus Beton. Die Seitenwände seien extrem hoch, aber mit Löchern versehen, damit wir Ausblick aufs Wasser fänden.

Eine Betonbrücke! Ich war enttäuscht und rechnete mir aus, dass mich dieser neue Schandfleck überleben werde. Solche Arbeiten können nicht sofort entsorgt werden, wenn sie den Anwohnern nicht gefallen. Als ich am Mittagstisch davon berichtete, stand ich auf und stellte mich in den Türrahmen meiner Küche und zeigte meinem Mann, wo ich die Ausgucklöcher vermute. Auf Augenhöhe – natürlich auf der meinen!

Am Nachmittag schaute ich mich einmal auf dem Bauplatz um. Die eine, schon gesetzte Hälfte wirkte nicht plump. Der andere Teil jedoch, auf der Ampèrestrasse liegend, wies viel höhere Seitenwände auf als ich sie mir vorgestellt hatte. Doch war die Brücke nicht aus Beton, sondern aus Stahl geschaffen. Trotz der grossen Ausmasse wirkte sie leicht. Und ich fand viele Löcher in den Seitenwänden, für viele Augenhöhen, nicht nur für die meine.

Jetzt ist der Steg eingeweiht. Dass er mir gefällt, verdanke ich jenem Mann, der sich übers Radio sehr abwertend äusserte. Das Vorurteil mit allen bösen Befürchtungen traf nicht zu. Darum freue ich mich. Die schwungvolle Konstruktion, die auf der Wipkingerseite schmal beginnt und sich nicht nur nach Zürich-West, sondern auch in die Höhe schwingt, gefällt mir jetzt. Sie deckt sogar noch die Brücke der Westtangente vorteilhaft ab. Noch meckern etliche Anwohner. Sie mussten keine Vorurteile ablegen wie ich, sehen die Sache unbeeinflusst an. Unter einem Steg verstehen sie etwas Bescheideneres. Aber er dient uns allen, erleichtert uns den Flussübergang. Ich würde mich nicht wundern, wenn er nach Jahren zu den schützenswerten Bauten gehören sollte.

Nur eines missfällt mir: 3 Tage nach der Einweihung finde ich schon schwarze Sprayer-Motive auf der roten Innenwand. Nichts wird von diesen Schmierern verschont. Ein Spatz versöhnt mich dann. Aus dem Flussraum angeflogen, pfeilt er durch eines der Gucklöcher, schwingt sich über den Steg und setzt sich in ein gegenüberliegendes Loch ab. Da sitzt er. Interessiert schaut er zu, wie Menschen vorübergehen. Es gefalle ihm ausnehmend gut hier, vernehme ich. Prima Plattform, der Sitz im Rund wie für ihn geschaffen.

Freitag, 8. Juli 2005

Mitgefühl bei Eiltempo, Quelle des schnellen Glücks

Jedesmal wenn ich den Laden betrete, lese ich im Bereich der Einkaufskörbe „Fühlst du dich auch manchmal alleine, verlassen, im Stich gelassen?“ Diesen Worten kann ich einfach nicht widerstehen.

Unter diesem schwebenden Traktat stehen die Einkaufskörbe mit den dunkelroten Herzen. Wer sie benützt, signalisiert die persönliche Einsamkeit sowie den Wunsch nach Kontakt und Beziehung. Ich habe aus Versehen auch schon mit einem solchen Herz-Korb eingekauft, bin aber nicht angesprochen worden. Verständlich! Grossmütter werden keine gesucht. Hier verkehren junge Menschen, auch viele Schüler. Sortiment und Personal sind auf sie ausgerichtet. Das Durchschnittsalter dürfte 35 Jahre nicht überschreiten. Hier pulsiert die Zukunft. Wir befinden uns im Trendquartier Zürich-West, im Haus „Puls 5“ neben der alten umfunktionierten Giessereihalle, wo das hipe Leben stattfinden kann.

Als ich zum Zahlen anstehe, fällt mir eine Frau auf, die deutlich älter ist als jede Mitarbeiterin in diesem Laden. Sie trägt schon die schwarze Bluse, die hier Uniform ist, jedoch noch ohne aufgesticktes Firmenlogo. Offenbar wird sie in die Arbeit einer Kassiererin eingeführt. Sie sieht überfordert aus. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie sich fühlt. Alles, was sie aufnehmen muss, zieht viel zu schnell an ihr vorbei. Die junge Vorgesetzte ist ein Profi, arbeitet flink und effizient, aber nicht einsichtig für uns, die wir zuschauen. Ich zwinkere der Neuen zu und signalisiere, dass ich sie verstehe. Sie lächelt. Ich sage auch: „Es geht schnell, nicht wahr?“ Sie scheint erleichtert, dass das jemand bemerkt. Jetzt weist mich aber die Verantwortliche zurecht. Sie hätten später Zeit, Details langsam anzugehen. Und ich rechtfertige mich: „Es war kein Vorwurf, nur Mitgefühl.“

Auf dem Heimweg treffe ich auf ein Plakat mit der Foto des Dalai Lama und dem Hinweis auf die bald stattfindenden Unterweisungen, die er in Zürich halten wird. Das Thema: „Mitgefühl, Quelle des Glücks“.

Mein Thema von vorhin. Aber nicht alle waren glücklich dabei. Ja, ich hätte auch Mitgefühl für die erfahrene Kassiererin entwickeln müssen, denn es war Pausenzeit und viele Schüler mussten im Eiltempo bedient werden.

Freitag, 1. Juli 2005

Zahlungsmoral: Die „30 Tage“ werden immer länger

Eine Kundin bestellte bei uns Grundlagenmaterial für ihre Malerei. Sie sagte schon im Voraus, sie würde die Rechnung aber erst anfangs des nächsten Monats begleichen können. Ich lieferte die Teile ab, wurde von ihr zum Kaffee eingeladen, und danach wollte sie vor meinen Augen den Einzahlungsschein ausfüllen und die Zahlung sofort ins gelbe Quittungsbuch der Post eintragen. Damit ich es auch glaube, dass sie die Zahlung nach Eintreffen ihrer AHV-Rente sofort ausführen werde. Von uns wurde sie aber in keiner Weise gedrängt, die Lieferung sofort oder sogar noch bar zu begleichen.

Das ist aussergewöhnlich. Diese Künstlerin ist älter als ich und verkörpert noch jene seriöse Schweizer Mentalität, die einmal das Markenzeichen unseres Volkes war.

Als ich noch Briefpost austrug, hörte ich immer wieder einmal den Ausruf: „Hoffentlich bringen sie uns keine Rechnung!“ Meist ging ich nicht näher darauf ein. Für mich ist eine Rechnung immer eine Antwort auf eine vorher erbrachte Leistung. Darum habe ich Freude, wenn sie eintrifft. So kann ich meine Schuld bezahlen und mich danach wieder frei fühlen. Zudem gehört dann die Leistung, auf die sie sich bezieht, ganz mir. Eine prompte Zahlung kann auch Ausdruck von Dank für eine gute Arbeit oder für die prompte Lieferung eines gewünschten Produkts sein.

Früher wurde die Zahlungsfrist so angegeben: „Zahlung innerhalb von 30 Tagen.“ Dann fiel unversehens das Wort „innerhalb“ weg und das Ziel lautete nur noch „30 Tage“. Wie ich in Gesprächen, aber auch von meiner Mitarbeit in Buchhaltungen weiss, wird heute ab dem 30. Tag begonnen, an die offene Rechnung zu denken. Wie kürzlich veröffentlichte Statistiken zeigen, zahlen Schweizer heute die „30-Tage-netto-Rechnungen“ erst nach 60 Tagen und glauben noch, das sei normal.

Viele Mitmenschen setzen Lieferanten ohne deren Einverständnis als ihre Bank ein. Sie überbrücken Engpässe, indem sie jene warten lassen, die ihnen das geliefert haben, was sie brauchten. Oder sie spielen Macht aus, lassen Lieferanten zappeln. Ich habe auch schon das Argument gehört, Rechnungen sofort zu begleichen, sei übertrieben.

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollten wir einander helfen. Dazu braucht es zuerst die Einstellung, dass wir alle voneinander abhängig und auch auf einander angewiesen sind. Wenn wir uns kulant verhalten, unsere Verpflichtungen rasch und unkompliziert erfüllen, dient das allen. Wir können mithelfen, Engpässe zu vermeiden und Löhne sicherzustellen. Solche Rücksichtnahme kann auch bewirken, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Würde ich nur die Erfahrung aus meiner Mitarbeit in der Schreinerei meines Mannes kennen, ich müsste diesen Aufsatz nicht schreiben. Es gibt diese Kunden, denen der Inhalt des Worts „Zahlungsmoral“ noch geläufig ist. Sie ermöglichten, dass unser Kleinbetrieb seit 45 Jahren bestehen darf.