1980 hielt ich in meinem Tagebuch einen kurzen Radiobericht zum Thema „Tagesschul-Versuch in Zürich“ fest. Darin war das idyllische Bild vom Mittagstisch skizziert worden: „
Der Vater ist gerade nach Hause gekommen. Die Mutter tischt ein
dampfendes Essen auf. Marili steckt die Finger in den Kartoffelstock und
Hans, noch aufgeregt von der Schule, leert seinen Most aus.“ – „Dieses
Bild gibt es nicht mehr,“ hiess es dazu.
Das war nicht ganz richtig, denn meine Familie lebte noch so. Ich
musste zweimal leer geschluckt haben, denn ich fragte mich, ob wir die
einzigen seien, die solche Idyllen noch weitertragen. Würden wir uns
bald als Wunder oder als Abartige betrachten lassen müssen? Ich wusste
natürlich schon damals, dass viele Väter nicht mehr an den Mittagstisch
kommen konnten, dass viele Zwänge da waren, welche die bis dahin
gültigen Alltagsformen veränderten.
Nun, 25 Jahre später: Am 5. Juni 2005 wurde in einer Abstimmung die ausserfamiliäre Kinderbetreuung
der Stadt Zürich als Aufgabe übertragen. Mit 67,4 % Ja-Stimmen. Im
Stadtkreis 5, wo ich lebe, waren es sogar 83,3 %. Das klare Resultat
wird von den Stadträtinnen Monika Weber und Monika Stocker als ein „Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen familien- und schulergänzenden Betreuung in Zürich“ gewertet.
Kinder auf die Welt stellen und sie dann abgeben, das konnte ich mir
nie vorstellen. Für mich und meinen Mann waren unsere Kinder Aufgaben,
denen wir uns gerne stellten. An einem Elternabend sagte damals ein
Lehrer, es sei nicht die Aufgabe der Eltern, den Kindern Lesen,
Schreiben und Rechnen beizubringen. Wir seien dort zuständig, wo es um
unsere eigenen Talente und die eigenen Erfahrungen und Werte gehe. Diese
hätten wir zu vermitteln. Das entsprach vollkommen meinen
Vorstellungen. Eine Betreuerperson kann das nicht.
Ich weiss: Leben ist Wandel. Unaufhörlich suchen wir nach neuen
Modellen, finden sie, erproben sie, stellen Mängel fest, verändern sie,
und eines Tages haben sie wieder ausgedient.
Darum möchte ich gerne nach weiteren 25 Jahren, dann aus dem
Jenseits, in eine junge Familie hineinschauen und ihre Motive und Werte
zu diesem Thema sehen.
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