Sonntag, 22. Mai 2005

Die kybernetische Grossmutter lässt grüssen

Wenn ich Daten aus dem Computer versende und die Lichter an meinem Modem flackern, denke ich öfters an DIE KYBERNETISCHE GROSSMUTTER im Puppenspielfilm von Jiri Trnka. Der tschechische Künstler konnte in den 60er-Jahren in der Zürcher Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für Gestaltung) Filme zeigen, und da war ich dabei.

In diesem Film ist die Grossmutter ein technisches, irrlichterndes Gebilde, das am Himmel kreist und von dort aus die Enkelkinder überwacht. Wenn eines Zuneigung braucht, nähert sie sich behutsam. Sie erzählt auch Geschichten. Es ist lange her, seit ich diesen aussergewöhnlichen Puppenfilm sah und erstmals künstliche Sprache hörte. Da war ich noch jung und der Status der Grossmutter kein Thema. Und doch blieben Bilder und Inhalt dieses Spiels in mir haften. Trnka vermittelte seine Vision, dass die Technik mehr und mehr menschliche Fähigkeiten übernehmen werde. In seinem Film sind es sogar Zuneigung, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl.

Nun bin ich auch eine Grossmutter geworden, doch meine Füsse stehen immer noch auf der Erde. Aber einige Aspekte von Trnkas Visionen haben sich bereits erfüllt. Dank der Computer-Technik bin ich mit der Enkelin im Ausland verbunden. Ich kann ihr über E-Mail Geschichten erzählen, Fotos senden und von ihr ebenfalls Bilder und sogar Tonsequenzen empfangen. Ich kann sie singen hören und mitverfolgen, wie sich die Sprache entwickelt.

Angst, dass wir Menschen in Wesen wie die kybernetische Grossmutter umgewandelt werden, habe ich nicht. Alle Technik ist Werkzeug und auf den Menschen angewiesen. Selbst ein Roboter ist eine Maschine, auch wenn er äusserlich einem Menschen nachgebildet ist. Wenn Computer und Roboter destruktiv werden, dann stehen Menschen mit einer solchen Absicht dahinter. Die Technik ist neutral. Und zudem besitzt sie keine angeborene, natürliche Lebensenergie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen