Mittwoch, 2. Februar 2005

"Einblicke" in unerfüllbare Migranten-Erwartungen

Heute habe ich nun die Schrift gelesen, die mir meine spanische Nachbarin Merce zugesteckt hat. Die soeben erschienene Nummer "Einblicke" aus der Heftreihe Integrationsförderung aus dem Departement unseres Zürcher Stadtpräsidenten widmet sich diesmal den älteren Spaniern in der Schweiz.

Es sind Geschichten und Schicksale von Migrantinnen und Migranten. Wir können erfahren, warum es zur Auswanderung kam. Es wird nachvollziehbar, warum ihre Hoffnungen nicht alle erfüllt wurden. Es wird von Heimweh gesprochen, von Fremdsein und schwer zu erreichender Integration.

Die Aussagen aus dieser Schrift bestätigen die Klischees der Schweizer Eigenart. Wir sind für die südländische Mentalität zu kühl, zu nüchtern, zu verschlossen und angeblich eher unfähig, auf Mitmenschen zuzugehen.

So sitze ich jetzt wieder einmal nachdenklich da, bin betrübt, dass das Bild von uns immer noch mehrheitlich grau gemalt werden muss.

Ist es überhaupt möglich, für andere in allen Belangen angenehm zu sein? Was die Fragen der sozialen Gerechtigkeit betrifft, teile ich die Auffassung, dass sie eingefordert werden muss. Aber die Erwartungen aneinander sind oft unerfüllbar. Wir kommen aus verschiedenen Kulturen, Systemen und sind unter anderen Lichteinfällen aufgewachsen. Warme und kalte Orte bringen verschiedene Mentalitäten hervor.

Jetzt habe ich das Heft nochmals zur Hand genommen. Da ist mir glücklicherweise noch ein ausgleichender Hinweis zugefallen. Die Sozialarbeiterinnen, die die Interviews geführt haben, schreiben: "In Spanien haben wir auch Schweizer Rentner angetroffen. Sie erzählten von ihren Erfahrungen als Migranten, und es ist verblüffend, wie ähnlich doch viele Probleme und Schwierigkeiten sind."

Ich sollte es ja wissen, lebte auch einmal einige Zeit im Ausland. Vieles war mir fremd. Unterliefen mir Fehler oder löste ich Missverständnisse aus, fühlte ich mich schlecht. Alles, was wir im eigenen Land unbewusst aufnehmen – die Sprache, Regeln, Normen, Gesetze, aber auch die Art wie Strassen und Wege bezeichnet werden − verleiht einem Sicherheit. Im Ausland aber ist dieses Wissen oft nicht mehr viel wert. Da bewegen wir uns dann die erste Zeit in einem luftleeren Raum, fühlen uns einsam und unerwünscht.

Heute dürfen wir mit Unterstützung rechnen, finden Anlaufstellen, die Wege zur Integration aufzeigen. Gerade auch die Heftreihe "Einblicke" will das gegenseitige Verständnis wecken. Sicher werden aber immer Wünsche und Sehnsüchte offen bleiben. Menschliche Beziehungen haben etwas Unvollkommenes in sich. Das Leben will es offenbar so. Spannungen machen das Leben spannend. Auch im eigenen Land, in der eigenen Familie, an unseren Arbeitsplätzen und an vielen andern Orten auch, fühlen wir uns oft fremd und heimatlos. Das müssen wir aushalten und dafür sorgen, dass wir wenigstens mit uns selbst im Einklang sind

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