Heute will ich die Zeit bis zum Sonnenaufgang wieder einmal
bewusst erleben. Ich verlasse das Haus kurz nach 7 Uhr und streune in
der unmittelbaren Umgebung herum. Wie ein Hund. Im Geschäftshaus,
unseren Reihenhäusern gegenüber, brennt schon Licht. Die Kantinen-Küche
ist hell erleuchtet. Ich kann 5 Köchen zuschauen, wie sie im Trab sind
und Vorbereitungen für das Mittagsmahl treffen. Ihre hohen weissen
Hauben tanzen.
Noch immer ist Nachtschwärze am Himmel über der Stadt Zürich.
Doch zur grossen Überraschung haben sich die Wolken, die ich beim
Aufstehen vorgefunden habe, fast alle verzogen, und über mir leuchten
die Sterne. Von ihnen fühle ich mich gehalten. Wir grüssen einander.
Aus den Kaminen steigen Räuchlein auf. Raben kreischen. Das
Tram fährt ein. Frauen und Männer eilen ihren Arbeitsorten zu. Einige
lachen und schwatzen angeregt. Ich gehe ans Limmatufer, laufe ostwärts.
Blesshühner und Enten machen sich hier bemerkbar. Am Himmel sehe ich die
dünnen Wolken nach Norden abziehen. Jetzt sind sie wie zu einem grossen
Flügel formiert. Ein Engelsflügel? Das Licht kündigt sich an. Der
Himmel wird türkisblau, etwas gläsern. Später zieht ein rosa Licht
einher und erhellt die Waldkanten am Zürichberg. Dann mache ich gelbes
Licht aus. Aber es vergeht noch eine weitere Stunde, bis mir die Sonne
ins Antlitz schaut.
Im Gegenlicht erscheinen Bäume, Häuser und mir entgegenkommende
Menschen wie schwarze Scherenschnitte. Als Kontrast flackern
Autolichter nervös über die zweistöckige Limmatbrücke und die Strassen
rechts und links des Flusses. In kurzen Intervallen braust die S-Bahn in
den Tunnel nach Oerlikon. Die Unruhe nimmt zu. Jogger keuchen an mir
vorbei. Eltern stossen ihre schlafenden Kinder Richtung Kinderhort.
Aggressive Velofahrer drängen Fussgänger zur Seite. Einige Mitmenschen
grüssen, andere gehen schlaftrunken einher. Wie immer, stehe ich auf der
Höhe des Wipkingerparks eine Weile still und schaue dem wirbligen Weg
des Wassers zu. Hier kann ich lauschen.
Auf dem Rückweg ist es hell genug, dass ich die Tafel am Hardturm lesen kann. Dieser bewohnte mittelalterliche Wohnturm
gehört zu den ältesten Gebäuden von Zürich. Nur gerade die Spitze
seiner Wetterfahne überragt die neue Wohnsiedlung Züri-West. Und einst
war er ein Kontroll- und Wehrturm.
Alt und neu, Urbanität und Natur, Stille und Hektik. Das ist mein Lebensumfeld, mein Standort, von dem aus ich im Blogatelier berichten werde. Heute also zum ersten Mal.
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